Dorota Danielewicz – Kulturmanagerin, Slawistin, Schriftstellerin und Journalistin

Dorota Danielewicz, Porträt um 1998, im Łazienki-Park, Warschau, Copyright: Renate von Mangold
Dorota Danielewicz, Porträt um 1998, im Łazienki-Park, Warschau

Literarische Brücken zwischen Deutschland und Polen 
 

Nach ihrer Rückkehr nach Berlin beginnt Dorota Danielewicz ihre Arbeit beim Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Ihre ersten Schritte im LCB machte sie damals noch mit Werner Fritsch. In Berlin wird Dorota zu einer Ein-Frau-Institution. In dieser Zeit, in der es noch kein Internet gab, konnte sie zahlreiche der brillantesten polnischen Autor:innen ins LCB bringen. Nachdem sie sich zuvor deren aktuelle Bücher besorgt hat, stellt sie diese selbstbewusst den Kolleg:innen vor, die kein Polnisch sprechen. Das Buch-Institut (Instytut Książki) in Polen, das heute Partner vieler deutscher Literaturinstitutionen ist, gab es damals noch nicht. Obwohl die Literaturstipendien des DAAD seit jeher auch an polnische Autor:innen in Berlin vergeben wurden, gab es lange Zeit keine entsprechendes Äquivalent in Polen. Diese Lücke füllt Dorota Danielewicz auf ihre Weise. In den 1990er Jahren will sie eine Brücke zwischen der polnischen und der deutschen Literatur schlagen. Die von Danielewicz organisierten Veranstaltungen sind sehr erfolgreich und gelten in Berlin noch immer als „legendär“. Kurz nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989 organisiert sie die „Polnische Literaturwoche“ (Tydzień literatury polskiej) im LCB. So besuchen Agnieszka Osiecka, Ryszard Krynicki, Hanna Krall, Paweł Huelle, Tadeusz Konwicki, Tadeusz Nowakowski, Janusz Głowacki und Janusz Anderman Berlin. Nach den Lesungen finden noch abendfüllende, lebhafte Diskussionen in einem engen Kreis statt. Dorota Danielewicz wird oft von ihrem Partner und späteren Ehemann, dem Politikwissenschaftler Basil Kerski, begleitet. Das Paar lernte sich bei einem slawistischen Seminar in Berlin über polnische Lyrik des Jahres 1968 kennen und sollte später viele der dort besprochenen Autor:innen persönlich treffen. Im Jahr 1989 findet parallel zum Polnischen Literaturfestival im Gebäude des LCB eine Ausstellung von Büchern statt, die in Polen im sogenannten „Zweiten Umlauf“ (drugi obieg) veröffentlicht wurden. Danielewicz erarbeitete sie gemeinsam mit Leszek Szaruga, einem damals in Berlin lebenden Dichter und Schriftsteller, der seine umfangreiche Sammlung von Untergrundpublikationen aus der kommunistischen Zeit zur Verfügung stellte. 

Ihre Aktivitäten verbindet Danielewicz mit ihrem Familienleben und Studium. 1992 heiratet sie Basil Kerski. 1993 wird ihr erster Sohn Jan geboren, vier Jahre später kommt Alexander zur Welt. In den Jahren 1992/93 schreibt Dorota Danielewicz ihre Magisterarbeit bei Prof. Witold Kośny über die Übersetzung eigener Texte als dritte literarische Form auf der Grundlage der Werke von Stanisław Przybyszewski und Tadeusz Rittner.

 

Literarische Diamanten
 

Zu Beginn der 1990er Jahre debütieren in Polen zahlreiche Schriftstellerinnen, was Danielewicz aufmerksam beobachtet. Auf ihre Initiative hin kommt im Jahr 1995 die spätere Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk mit ihrem Romandebüt „Die Reise der Buchmenschen“ (Podróż ludzi księgi) erstmals nach Berlin. Magdalena Tulli, Natasza Goerke, Anna Bolecka, Inga Iwasiów, Hanna Kowalewska und die Dichterin Mira Kuś stellen zu dieser Zeit ihre Bücher vor. In Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste und dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD lädt Dorota Danielewicz im Jahr 1996 die klassischen Autoren der polnischen Literatur ein: den emigrierten Gustaw Herling-Grudziński, Sławomir Mrożek und Adam Zagajewski. Im LCB organisiert Danielewicz auch die Reihe „Zweite Generation nach dem Holocaust“ mit Ruth Klüger, Imre Kertész und Leo de Winter sowie die Reihe „Literatur von Sinti und Roma“ mit dem Schriftsteller Matéo Maximoff. Dr. Ulrich Janetzki vom LCB engagiert Dorota Danielewicz gerne als Assistentin bei Reisen deutscher Schriftsteller:innen ins Ausland. Mit Katja Lange-Müller, Klaus Schlesinger, Andreas Neumeister und Edgar Hilsenrath reist sie nach Polen zu Lesungen an den Goethe-Instituten. Nach Rumänien und Moldawien reist sie mit Brigitta Burmeister, Marion Tietze, Martin Ahrends, Wolfgang Hilbig, Andreas Neumeister, Jan Koneffke.

Besonders gern erinnert sich Dorota Danielewicz an zwei Reisen durch Deutschland mit Hanna Krall in den Jahren 1996 und 1997. Damals moderierte und übersetzte sie Lesungen mit der Schriftstellerin in Nordrhein-Westfalen und Frankfurt am Main. Jahre später, als Hanna Krall im Jahr 2000 zusammen mit Marcel Reich-Ranicki den Samuel-Bogumil-Linde-Preis in Göttingen erhielt, wurde Danielewicz erneut als Begleitperson für die Preisträgerin angefragt. Damals interviewt sie den Verfasser der Laudatio für Hanna Krall, Ryszard Kapuściński. Auch die Lesungen von Ryszard Kapuściński selbst, bei denen sie übersetzte, zum Beispiel im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, haben bleibende Erinnerungen hinterlassen.

Im Jahr 2000 organisiert Dorota Danielewicz im LCB eine Reihe von literarischen Veranstaltungen mit dem Titel „Kosmopolen 2000“. Um den Begriff „Emigration“ zu vermeiden, der ihrer Meinung nach für die im Ausland lebenden polnischen Schriftsteller:innen nicht mehr zutreffend ist, wählt sie den eingängigen Namen „Kosmopolen“, den Andrzej Bobkowski in einem seiner Essays geprägt hat. Czesław Miłosz, Krzysztof Rutkowski aus Paris, Bronisław Świderski aus Kopenhagen, Henryk Grynberg aus New York, der in Deutschland lebende Nachwuchsautor Krzysztof Niewrzęda, Janusz Rudnicki und Dariusz Muszer stellen zu dieser Zeit in Berlin ihre Werke vor. Die Autorenlesungen haben wie immer im LCB einen perfekten Rahmen – sie werden von einem hervorragenden Team von Übersetzer:innen begleitet, Redakteur:innen von Zeitungen und Radiosendern sind eingeladen. „Es geht mir wirklich um die Literatur, nicht um mich“, sagt Danielewicz im Gespräch mit „Porta Polonica“. „Es war mir sehr wichtig, dass die Inhalte der polnischen Literatur in die Welt hinausgehen.“

Deshalb schreibt Dorota Danielewicz Rezensionen für deutsche Verlage und empfiehlt polnische Autor:innen – Paweł Huelle, Martyna Bunda, Dorota Masłowska, Michał Witkowski, Jerzy Pilch, Wojciech Kuczok, Janusz Anderman. Gemeinsam mit Katharina Raabe vom „Suhrkamp Verlag“ arbeitet sie an der Herausgabe eines zweisprachigen Bandes mit dem Titel „Der Augenblick. Chwila“ von Wisława Szymborska[2]. Lebhaft erinnert sie sich an die Sendung „Gespannt auf...“, die im Jahr 1992 vom WDR Fernsehen in Bonn aufgezeichnet wurde. Die Diskussion über die Bücher von Andrzej Szczypiorski wurde von Iris Radisch geleitet. Dorota Danielewicz trat in der Sendung neben Verena Auffermann und Henryk M. Broder auf.

Obwohl Danielewicz in den 1990er Jahren beruflich durchstartet, kann sie keinen Vollzeitjob annehmen. In den späten 1990er Jahren ist sie privat durch die fortschreitende, unerklärliche Krankheit ihres älteren Sohnes, der in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist, extrem belastet. Sie wird einige Jahre auf die Diagnose der sehr seltenen und unheilbaren GM1-Gangliosidose warten. Jahre später beschreibt sie die bewegende Geschichte des Kampfes ihres Sohnes mit der Krankheit und der Beeinträchtigung in einem berührenden Buch mit dem Titel „Jans Weg“[3]. Dorota Danielewicz setzt ihre berufliche Tätigkeit in dieser schwierigen Zeit nach ihren Möglichkeiten fort.

Nach dem Jahr 2000 organisiert sie weiterhin Lesungen – nun im Literaturforum im Brecht-Haus, wohin sie Olga Tokarczuk, Adam Zagajewski und Inga Iwasiów einlädt. Man kann unmöglich alle deutsch-polnischen Literaturveranstaltungen aufzählen, die in Berlin dank ihres Engagements stattgefunden haben. Zu den größten in jüngster Zeit zählt das Festival „Unrast“, das Danielewicz im Herbst 2022 gemeinsam mit der renommierten, in Berlin lebenden polnischen Journalistin Ewa Wanat in Kooperation mit dem Verein „Berliner Literarischen Aktion“ organisierte. Daran nahmen 50 Schriftsteller:innen, Übersetzer:innen und Moderator:innen aus Polen und Deutschland teil.

Im Herbst 2023 moderierte Danielewicz für die Berliner Öffentlichkeit und die Deutsch-Polnische Gesellschaft in Berlin sieben Veranstaltungen unter dem Titel „Lesen, was die Nachbarn schreiben“, bei denen lokale polnische sowie Schriftsteller:innen aus Polen ihre Werke präsentierten.

 

[2]   Wisława Szymborska: Der Augenblick. Chwila. Suhrkamp Verlag, Berlin 2005.

[3]   Dorota Danielewicz: Jans Weg. Europa Verlag, München 2022 (aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller); Original: Droga Jana. Wydawnictwo Literackie, Krakau 2020.

Mediathek
  • Dorota Danielewicz-Kerski

    2022
  • Im Sitzungssaal der UN-Vollversammlung

    Hinterm Rednerpult, New York 1988
  • Ausstellung „Decolonization“ im UNO-Hauptquartier

    New York, 1988
  • Zu Hause, 1988

    Broadway / Ecke 97th Street, New York
  • Bei Jerzy Giedroyc

    Maisons-Laffitte bei Paris, 1991
  • Evangelische Akademie zu Berlin, 5.10.1995

    Dorota Danielewicz-Kerski, Leszek Szaruga, Lidia Herling-Croce, Gustaw Herling-Grudziński, Ludwig Mehlhorn (Direktor der Akademie), Agnieszka Grzybkowska und Basil Kerski
  • Mit Hanna Krall

    In NRW, 1996/1997
  • Dorota Danielewicz im Studio von Funkhaus Europa

    RBB Berlin, 1999
  • DAAD Berliner Künstlerprogramm

    Denis Scheck, Ryszard Kapuściński, Dorota (Danielewicz-)Kerski im Haus der Kulturen der Welt, Berlin 1999
  • Mit Czesław Miłosz

    Dorota Danielewicz-Kerski, Czesław Miłosz, N.N., Michael Krüger / LCB (Literarisches Colloquium Berlin), Mai 2000
  • In der DAAD Galerie über dem Café Einstein, Berlin 2002

    Henryk Bereska, N.N., Dorota Danielewicz-Kerski, N.N., Olga Tokarczuk, Lila Karbowska, N.N.
  • Mit dem Sohn auf dem Cover

    „Wysokie Obcasy” (Beilage zur „Gazeta Wyborcza”), Nr. 7 (1073) vom 15.02.2020
  • Mit Brygida Helbig

    Reihe „Lesen, was die Nachbarn schreiben” („Czytać, co piszą sąsiedzi”) in der Humboldt Bibliothek, Berlin-Tegel 2023