Madame Szymanowska und Goethe – eine aufflammende Liebe?

Walenty Wańkowicz (1799-1842): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, 1828. Öl auf Leinwand, Bibliothèque polonaise de Paris/Biblioteka Polska w Paryżu
Walenty Wańkowicz (1799-1842): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, 1828. Öl auf Leinwand, Bibliothèque polonaise de Paris/Biblioteka Polska w Paryżu

Die Allgemeine musikalische Zeitung berichtete: „Am 20sten October verschaffte uns Mad. Szymanowska, erste Pianofortistin Ihrer Maj. der Kaiserinnen von Russland, den herrlichsten Genuss. […] Mad. Szym. ist auf ihrem Instrumente Meisterin im ganzen Sinne des Wortes. Fertigkeit und musikalischer Geist sind gleich stark in ihr. […] Darauf wurde das neueste Rondo brillant von Hummel, eine sehr dankbare Composition, mit einer solchen Sicherheit im Starken und Zarten von ihr vorgetragen, dass der ganze Saal vom rauschendsten Beyfall wiederhallte. Ihr Spiel hat nicht Ueberladenes; jeder Ton ist, wie er eben seyn soll …“ (PDF 4).[49] Die in Dresden erscheinende Abend-Zeitung schrieb über die beiden Leipziger Konzerte: „Mad. Maria Szymanowska … trat … zuerst in einem Abonnement-Concerte auf und erwarb sich durch ihr treffliches Spiel so viel Ruf, daß bei dem später selbst arrangirten Concerte der Saal kaum die herbeigeströmte Menge fassen konnte, ein Fall, der in Leipzig, wo man mit Musik überfüttert wird, höchst selten ist. Laien und Kenner waren von der Präcision und dem Ausdrucke ihres Spiels in gleichem Grade entzückt und letztere behaupten, einen noch höheren Genuß gewähre es, sie spielen zu sehen, die Behendigkeit ihrer Finger und ihre, ganz von den gewöhnlichen Regeln abweichende, originelle Applikatur in der Nähe zu bewundern. In Privatzirkeln soll Mad. Szymanowska auch durch geistreiche Fantasieen auf dem Pianoforte bezaubert haben …“[50]

Am 24. Oktober 1823 traf Szymanowska mit Schwester und Bruder „von Dresden und Leipzig kommend“, wie Goethe in seinem Tagebuch vermerkte,[51] in Weimar ein und erregte auch hier Aufsehen. Kanzler von Müller notierte: „Goethe gab eine große Abendgesellschaft jener interessanten polnischen Virtuosin, Mad. Marie Szymanowska zu Ehren, von der er uns schon so viel erzählt hatte und die gestern ihn zu besuchen mit ihrer Schwester, Casimira Wolowska hier angelangt war. Auf sie hat er zu Carlsbad (sic! richtig: Marienbad) die schönen gemüthvollen Stanzen gedichtet, die er uns kürzlich vorgelesen und die seinen Dank dafür aussprechen, daß ihr seelenvolles Spiel seinem Gemüthe zuerst wieder Beruhigung schaffte, als die Trennung von Levezows ihm eine so tiefe Wunde schlug. Goethe war den ganzen Abend hindurch sehr heiter und galant, er weidete sich an dem allgemeinen Beifall, den Mad. Szymanowska eben so sehr durch ihre Persönlichkeit, als durch ihr seelenvolles Spiel fand.“[52]

Jeden Mittag aßen Szymanowska und ihre Geschwister bei Goethe, während die Pianistin sich mit Tafelmusiken revanchierte. Am 27. Oktober lud Goethe erneut zu einer musikalischen Soiree ein: „Vorbereitung zu dem abendlichen Concert. […] Die Gesellschaft kam nach und nach an. Madame Szymanowska spielte. Madame Eberwein sang, von Saiten- und Blasinstrumenten accompagnirt. Blieben bis gegen 10 Uhr“, schrieb Goethe in sein Tagebuch.[53] Eckermann vermerkte: „Am andern Tag erzählte man mir, daß die junge polnische Dame, Madame Szymanowska, der zu Ehren der festliche Abend veranstaltet worden, den Flügel ganz meisterhaft gespielt habe, zum Entzücken der ganzen Gesellschaft.“[54] Am Tag darauf, so Kanzler von Müller, war wieder „Concert bei Goethe. Ein Quartett von der Composition des Prinzen Louis Ferdinand und gespielt von Mad. Szymanowska gab Goethen zu den interessantesten Bemerkungen Anlaß. Er faßt, wie wohl ganz schüchtern, den Gedanken, daß die Künstlerin ein öffentliches Concert geben sollte, und forderte Schmidt, Coudray und mich auf, es auf alle Weise zu befördern.“[55] Auch am 30. Oktober gab es „Abends Concert bei Goethe.“[56]

 

[49] Nachrichten. Leipzig, vom Michael 1823 bis zum März 1824, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 13, Leipzig, 25. März 1824, Spalte 204 (siehe PDF 4), Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10528025?page=128,129

[50] Correspondenz-Nachrichten. Aus Leipzig, in: Abend-Zeitung, Nr. 268, Dresden, 8.11.1823, Seite 1072, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10530367_00463_u001?q=Szymanowska&page=4

[51] 24. Oktober 1823. Goethe: Tagebücher (siehe Anmerkung 28), Seite 132

[52] Freitags, den 24. October. Goethes Unterhaltungen (siehe Anmerkung 38), Seite 71, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11001483?page=86,87

[53] 27. Oktober 1823. Goethe: Tagebücher (siehe Anmerkung 28), Seite 134

[54] Montag, den 27. Oktober 1823. Eckermann: Gespräche (siehe Anmerkung 38), Seite 72, Online-Ressource: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10068560?page=92,93

[55] Dienstags, 28. October. Goethes Unterhaltungen, Seite 71 (siehe Anmerkung 52). – Clemens Wenzeslaus Coudray, Architekt, arbeitete von 1816 bis zu seinem Tod 1845 als Oberbaudirektor in Weimar. 1832 begleitete er Goethe in dessen drei letzten Lebenstagen und fertigte darüber Notizen an, die später veröffentlicht wurden.

[56] Donnerstags, den 30. October. Goethes Unterhaltungen, Seite 71 (siehe Anmerkung 52)

Mediathek
  • Abb. 1: Szymanowska, 1816

    Zofia Woyno (um 1810-1830): Porträt der Pianistin Maria Szymanowska, Miniatur, 1816. Gouache über Bleistift auf Papier, 14 x 10,4 cm, Inv. Nr. Min.628 MNW, Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Wa...
  • Abb. 2: Serenade für Anton Radziwiłł, 1819

    Marie Szymanowska: Serenade für Klavier und begleitendem Violoncello, komponiert für und gewidmet seiner Hoheit, dem Prinzen Anton Radziwiłł, Leipzig: Breitkopf und Härtel 1819, Nationalbibliothek War...
  • Abb. 3: Marienbad um 1815

    Der Kreuzbrunnen zu Marienbad, um 1815. Aus: Franz Satori, Oesterreichs Tibur, oder Natur- und Kunstgemählde aus dem oesterreichischen Kaiserthume, Wien 1819, Frontispiz, Österreichische Nationalbibli...
  • Abb. 4: Marienbad um 1820

    Ansicht von Marienbad, um 1820. Kupferstich, 8 x 13 cm. Titelblatt zu: Liste der angekommenen respectiven Brunnengäste zu Marienbad im Jahre 1823, Eger 1823
  • Abb. 5: Marienbad um 1820

    Ludwig Ernst von Buquoy (1783-1834): Ansicht von Marienbad, um 1820. Kupferstich, koloriert, 28,5 x 44 cm, Privatbesitz
  • Abb. 6: Goethe, 1823

    Orest Adamowitsch Kiprensky (1782-1836): Porträt Johann Wolfgang von Goethe, Marienbad 1823. Lithographie nach einer Bleistiftzeichnung
  • Abb. 7: Goethe, 1823/26

    Henri Grévedon (1776-1860): Porträt Johann Wolfgang von Goethe, Paris 1826. Nach einer Zeichnung von Orest Adamowitsch Kiprensky (1782-1836) von 1823, Lithographie, Inv. Nr. his-Port-G-0077, Universit...
  • Abb. 8: Goethe, 1828

    Joseph Karl Stieler (1781-1858): Johann Wolfgang von Goethe, 1828. Öl auf Leinwand, 78 x 63,8 cm, Inv. Nr. WAF 1048, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München
  • Abb. 9: Brösigke’sches Haus, um 1821

    Unbekannt: Brösigke’sches Haus (Palais Klebelsberg) in Marienbad, um 1821, kolorierte Lithographie, 44,9 x 65,1 cm, Klassik Stiftung Weimar
  • Abb. 10: Ulrike von Levetzow, um 1821

    Unbekannt: Bildnis Theodore Ulrike Sophie von Levetzow, um 1821. Pastell, 43,4 x 33,5 cm, Klassik Stiftung Weimar
  • Abb. 11: Szymanowska, 1825

    Aleksander Kokular: Bildnis Maria Szymanowska/Portret Marii Szymanowskiej, 1825. Öl auf Leinwand, Inv. Nr. K.839, Muzeum Literatury im. Adama Mickiewicza, Warschau
  • PDF 1: Liste der Marienbader Kurgäste, 1823

    Liste der angekommenen respectiven Brunnengäste zu Marienbad im Jahre 1823, Eger 1823 (Titelblatt fehlt), Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar
  • PDF 2: Kurjer Warszawski, 1822

    Nowosci Warszawskie. Kurjer Warszawski, Nr. 77, 31. März 1822, Seite 1, Biblioteka Jagiellońska w Krakowie
  • PDF 3: Kurjer Warszawski, 1823

    Nowosci Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 183, 3. August 1823, Seite 1, Spalte 2, Biblioteka Jagiellońska w Krakowie
  • PDF 4: Allgemeine musikalische Zeitung, 1824

    Nachrichten. Leipzig, vom Michael 1823 bis zum März 1824, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 13, 25. März 1824, Spalte 204, Münchner Digitalisierungs-Zentrum
  • PDF 5: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, 1823

    Madam Szymanowska – zu Weimar. Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Jahrgang 38, Nr. 109, November 1823, Seite 889-892, Klassik Stiftung Weimar
  • PDF 6: Kurjer Warszawski, 1824

    Nowosci Warszawskie, in: Kurjer Warszawski, Nr. 14, 16. Januar 1824, Seite 1, Spalte 1 f., Biblioteka Jagiellońska w Krakowie