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Frömmigkeit und Nachtgesichte – Naive Kunst aus Polen im Spiegel der Moderne

Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, 21. Februar bis 10. April 2016.

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  • Jerzy Truszkowski (*1961): (von links nach rechts) Das Wissen ist mir in den Schoß gefallen (Wieda padła mi w usta); Die Romantik des Unvermeidbaren (Romantyism nieuniknio nego); Die Taktik eines doppelseitigen Lappens (Taktyka dwuustnej szmaty); Idee und Norm eines Tollpatsches (Idea normy fujary), alle 1984, Acryl auf Papier, Museum Jerke, Recklinghausen.
  • Katarzyna Kozyra (*1963): Summertale, 2008. Video, 19:56 Minuten, Galerie Żak|Branicka, Berlin.
  • Nikifor (1895-1968): Spaziergänger (Selbstbildnis), undatiert. Aquarell auf Papier, 21 x 17,5 cm, Clemens-Sels-Museum, Neuss.
  • Nikifor (1895-1968): Selbstbildnis, undatiert. Aquarell, 22,5 x 18,5 cm, Kunsthalle Recklinghausen.
  • (von links nach rechts) Anonym: 20 Vögel (Sammlung Jaeschke); Bolesław Suska: Adam und Eva (Clemens-Sels-Museum, Neuss); Emilia Leśniak: Vogelbaum (Kunsthalle Recklinghausen); Stanisław Marcisz: Paradiesvogel (Sammlung Jaeschke).
  • Bolesław Suska (*1919): (von links nach rechts) Heilige mit Kerze und Wölfen (Clemens-Sels-Museum, Neus); Hochzeit; Tänzerin (beide Kunsthalle Recklinghausen); Auf dem Spaziergang (Sammlung Jaeschke); Bauernhochzeit; Rabbi im Gehrock (beide Kunsthalle Recklinghausen).
  • (von links nach rechts) Józef Orlecki (*1931): Der Hl. Georg im Kampf mit dem Drachen; Einzug in Jerusalem, 1986; Stanisław Ciszek: Christus im Elend; Józef Orlecki (*1931): Engel; Franciszek Lenart: Adam und Eva, alle Kunsthalle Recklinghausen.
  • Bruno Podjaski (1915-1988): Monster fallen in Bukowiec ein, 1975. Öl auf Leinwand, 35 x 49 cm, Kunsthalle Recklinghausen.
  • Jan Lamecki (1895-1960): (von links nach rechts) Priester beim Bibelstudium; Die Heilige Philomena (beide Clemens-Sels-Museum, Neuss); Zwei Heilige (Sammlung Jaeschke), alles farbig gefasste Holzskulpturen, undatiert.
  • Stanisław Denkiewicz (1913-1990): (von links nach rechts) Frau mit Radio; Frauen mit Volkstracht aus Radom; Frau mit Tochter und Sohn (alle Sammlung Jaeschke); Paar; Butterfrau (beide Kunsthalle Recklinghausen), farbig gefasste Holzskulpturen, undatiert.
  • Stanisław Denkiewicz (1913-1990): (von links nach rechts) Dreifaltigkeit; Rückkehr des verlorenen Sohnes; Christus im Elend (alle Sammlung Jaeschke); Bäuerin als Bienenstock; die Beichte des Kranken (beide Clemens-Sels-Museum, Neuss); Bauer (Sammlung Jaeschke), farbig gefasste Holzskulpturen, undatiert.
  • Teofil Ociepka (1891-1978): Selbstbildnis als Heiliger Antonius, 1966. Öl auf Leinwand, 85 x 70 cm, Kunsthalle Recklinghausen.
  • Maria Korsak (1908-2002): Polnisches Dorf, undatiert. Öl auf Leinwand, 70,5 x 89,2 cm, Kunsthalle Recklinghausen.
  • Katarzyna Gawłowa (1896-1983): (obere Reihe von links) Schwarze Madonna; Heiliger Antonius; Adam und Eva; Christus betend auf dem Weg nach Golgatha; Herz der Mutter Gottes; (unter Reihe von links) Anbetung des Kindes; Abendmahl; Grablegung Jesu; Bischofsmesse, alle undatiert, Kunsthalle Recklinghausen.
  • Paweł Wróbel (1913-1984): Stadt im Zeichen des Bergbaus, 1975. Öl auf Leinwand, 41 x 66 cm, Kunsthalle Recklinghausen.
  • Adam Zegadło (1910-1989): Das Engelsgericht, undatiert. Holz, farbig gefasst, Höhe 79 cm, Clemens-Sels-Museum, Neuss.
  • Adam Zegadło (1910-1989): Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis, undatiert. Holz, farbig gefasst, Höhe 87 cm, Kunsthalle Recklinghausen.
Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, 21. Februar bis 10. April 2016.
Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, 21. Februar bis 10. April 2016.

Grochowiaks Interesse, eine Galerie Naiver Kunst für die Recklinghäuser Museen aufzubauen, rührte unter anderem daher, dass die Abteilung für Volkskunst des Vestischen Museums im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. „Erste Anstöße“, so berichtete Hans-Jürgen Schwalm, stellvertretender Direktor der Kunsthalle Recklinghausen und Kurator der Ausstellung, bei der Eröffnung, „gaben die vielen Werksausstellungen, die kreuz und quer durch das Ruhrgebiet ein ‚sinnvolles Laienschaffen‘ propagierten.“ Die Freizeit sinnvoll zu gestalten, sei auch die Aufgabe der 1947 gegründeten Ruhrfestspiele gewesen, in deren Rahmen 1953 eine Ausstellung mit dem Titel „Arbeit – Freizeit – Muße“ stattfand, in der neben Meisterwerken der Moderne auch Gemälde naiver Künstler präsentiert wurden. „Noch hatte das Fernsehen,“ so Schwalm weiter, „nicht den Feierabend erobert, und so zeichnete und malte, schnitzte und fotografierte man voller Hingabe, schloss sich zu Theatergruppen zusammen oder machte gemeinsam Musik. Als Juror sogenannter ‚Steckenpferdturniere‘ und in Lohnhallenausstellungen, zwischen Hobbykunst und Laienmalerei stieß Thomas Grochowiak auf künstlerische Talente, die, wie er schrieb, ‚ohne Ausbildung, instinktiv und intuitiv, von Anfang an ihre eigene, ihnen unbewusste Darstellungsweise und Ausdrucksform hatten‘“.1956 begann er mit dem Aufbau einer Sammlung, die von seinen Nachfolgern weitergeführt wurde und heute über achthundert Werke aus zahlreichen Ländern umfasst, darunter etwa neunzig bis einhundert Arbeiten naiver polnischer Künstler. Es sind zum großen Teil Kleinskulpturen aus Holz in freiplastischer Technik und als Relief mit profanen und religiösen Themen.

Etwa zehn Jahre später, Mitte der 1960er-Jahre, begann die Direktorin des Clemens-Sels-Museums in Neuss, Irmgard Feldhaus, eine Sammlung Naiver Kunst anzulegen, die in den folgenden Jahrzehnten systematisch erweitert wurde. Auch sie verfügt über etwa achthundert Werke aus Europa und Übersee. Aus den etwa zweihundertfünfzig Arbeiten polnischer Künstlerinnen und Künstler war 2012 eine Auswahl in der Ausstellung „Mit unverstelltem Blick – Naive Kunst aus Polen“ im Rahmen des neunzehn Städte umfassenden Festivals „Klopsztanga – Polen grenzenlos NRW“ im Feld-Haus Museum für populäre Druckgraphik in Neuss zu sehen. Die Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen 2016 zeigte zusätzlich Leihgaben aus dem Neusser Bestand sowie aus hochkarätigen Privatsammlungen, sodass in der Ausstellung „Frömmigkeit und Nachtgesichte – Naive Kunst aus Polen im Spiegel der Moderne“ insgesamt etwa einhundertsiebzig Werke polnischer Naiver Kunst zu sehen waren.

Um dem künftigen Museum Jerke ihre Reverenz zu erweisen, war die Ausstellung um Werke von zeitgenössischen polnischen Künstlerinnen und Künstlern herum gruppiert, die Werner Jerke in den vergangenen Jahren gesammelt hat und die, so Schwalm, eher „Grobschlächtiges“ zeigen, darunter religiöse, politische oder sexuelle Themen und Popkultur. Unter den insgesamt fünfzehn Werken von Paweł Susid (*1952), Ryszard Grzyb (*1956), Paweł Jarodzki (*1958), Jerzy Truszkowski (*1961, Abb. 1), Marcin Maciejowski (*1974) und Agata Bogacka (*1976), die den Titelzusatz der Ausstellung „im Spiegel der Moderne“ illustrieren sollten, war zweifellos das  zwanzigminütige Video „Summertale“ (2008) der in Berlin und Warschau lebenden Video-Künstlerin Katarzyna Kozyra (*1963) als Leihgabe der polnischen Galerie Żak|Branicka in Berlin die interessanteste Arbeit. Grundlage ihrer Filmerzählung ist das Märchen von „Schneewittchen“ – ein Thema, das wunderbar in den Kontext der Ausstellung passte. Es nimmt in Kozyras Version neben zahlreichen anderen unerwarteten Motiven die finale Wende, als ihre weiblichen Zwerge (Abb. 2) zu blutrünstigen Mörderinnen werden (vollständig in der Online-Filmothek des Museums für Moderne Kunst in Warschau / Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie anzusehen).