Stefan Szczygieł. His photographic and film work
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Die Geometrie einer Stadt ist in seinen Augen immer Manipulation. Das gilt nicht allein für die Benutzung der Formensprache der Natur: vom Steinbruch über den Jugendstil bis in die heutige Zeit, wenn sich Nachbarbauten, Parks, Himmel und Wolken in Glaspalästen spiegeln und uns eine Materialsimulation ein natürliches Produkt vorgaukelt. Es geht ihm um die Manipulation von Kommunikation. Szczygiełs Werke führen beim Betrachter zu Fragen wie: Welches ist das höchste Gebäude, von wem wurde es errichtet, in welchem Richtungsverlauf sind Straßen angelegt und welche Bauten wurden dort errichtet, an welchen Stellen überqueren Brücken den Fluss und welche Denkmale sollen woran und an wen erinnern? Welche Größe, Breite muss eine Straße, eine Avenue oder ein Boulevard haben, welche Funktionen hatten sie ursprünglich und welche davon haben sich im Laufe der Jahrhunderte verschoben? Was bedeutete die Individualisierung von Architekturstilen und monolithischen Einzelbauten? Was macht die Großbildwerbung mit der Stadt und mit uns und was städtische Beleuchtung und Lichtverschmutzung?
Zudem wird der Begriff Raum bei Szczygieł nicht nur analog, sondern insbesondere technisch digital und geistig virtuell verwendet und kreiert somit alles was vorstellbar ist – auch die nicht mehr (sofort) erkennbare Manipulation. Das Bild Warschau, Przystanek tramwajowy (dt.: „Straßenbahnhaltestelle“) ist ein gutes Beispiel für diese surreale, aber auch politische und gesellschaftliche Irritation, denn der nächtliche orange-braun beleuchtete Platz mit einer Straßenbahnhaltestelle ist dominiert von Großplakaten, Werbung, Firmenlogos und Schriftzügen, die wie hineinkopierte Fremdkörper wirken und den architektonischen Raum fast vollständig auflösen. Der Platz suggeriert, dass das Zentrum der polnischen Hauptstadt zum übermächtigen Konsumraum geworden ist. Alle Signets, Poster und Transparente schweben weithin sichtbar über der Architektur. Wie in US-amerikanischen (Universitäts-) Bibliotheken, in denen häufig Portraits der Präsidenten über den Bücherregalen aufgehängt sind, um uns glauben zu machen, diese Herren seien die Wächter des Wissens, so werden bei diesem Bild unsere Gedanken darauf gelenkt, dass die Unternehmen und ihre kostspielige Werbung die Wächter und Beherrscher der Stadt sind.
Selbst bei Szczygiełs anderen, präzisen, detailgenauen Stadtlandschaften liegt immer die Vermutung der digitalen Veränderung in der Luft. Dem Künstler ist bewusst, dass sich seine Rezipienten damit auseinandersetzen müssen. Das fängt bei Raummanipulationen an und hört bei Farbmanipulationen auf. Das, was in der Malerei noch künstlerische Freiheit ist, wird bei der Fotografie schnell zur verführerischen Machenschaft, denn die technischen Möglichkeiten, die später nicht mehr sichtbaren Veränderungen, werden immer perfektionierter. Das macht sich der Künstler zunutze, denn gerade durch die Präzision, durch die fokussierte Schärfe bis in die Details und den Hintergrund hinein wirken die Fotos „ehrlich“ und „wahrhaftig“. Es wird schließlich alles haargenau gezeigt.