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Alfred Wierusz-Kowalski

Schlittenfahrt, 1890–1900, Öl auf Holz, 28 x 48 cm

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  • Abb. 1 - Überfall von Wölfen, 1910, Holzschnitt
  • Abb. 2 - Widok Suwałk od strony Augustowa [Ansicht von Suwałki von Augustów gesehen], Lithographie von Alojzy Misierowicz, Album Augustowskie, 1855
  • Abb. 3 - Taufschein von Alfred Jan Maksymilian Wierusz-Kowalski der Heiligen-Alexandra-Kirche in Suwałki, 02.12.1849
  • Abb. 4 - Alfred Wierusz-Kowalski in Kalisz, 1865–1868
  • Abb. 5 - Postwagen in der Stadt, 1871-1872
  • Abb. 6 - Alfred Wierusz-Kowalski in Dresden, 1871-1872
  • Abb. 7 - Dziewczynka z fiołkami [Mädchen mit Veilchen], 1873, Öl auf Leinwand, 50 x 38 cm
  • Abb. 8 - Powrót kwestarza [Die Rückkehr des Gabensammlers], 1873, Öl auf Leinwand, 42 x 65,8 cm
  • Abb. 9 - Zaloty [Liebeswerbungen], 1875–1877, Öl auf Leinwand, 50 x 42 cm
  • Abb. 10 - Auf Vorposten, 1877, Aquarelle, Gouache auf Papier, 23,7 x 21,7 cm
  • Abb. 11 - Spazierritt im Park, vor 1880, Öl auf Leinwand, 30 x 54 cm
  • Abb. 12 - Heimkehr vom Markt, um 1880, Öl auf Leinwand, 61 x 96 cm
  • Abb. 13 - Wypadek w podróży [Reisemalheur], 1873, Öl auf Leinwand, 56,5 x 101 cm
  • Abb. 14 - Kaukasische Aufklärung, um 1880, Öl auf Leinwand, 61 x 101 cm
  • Abb. 15 - Postój powstańca [Rast eines Aufständischen], Öl auf Holz, 20 x 35 cm
  • Abb. 16 - Alfred Wierusz-Kowalski in seinem Münchner Atelier, 1895-1905
  • Abb. 17 - Portret Jadwigi Wierusz-Kowalskiej, Porträt der Gattin des Künstlers Jadwiga von Alfred Wierusz-Kowalski, 1907, Öl auf Leinwand, 101 x 79 cm
  • ABB. 18 - Alfred Wierusz-Kowalskis Kinder Janina, Michalina und Czesław, 1884–1885, München
  • Abb. 19 - Wyprawa na niedźwiedzia [Bärenjagd], vor 1889, Öl auf Leinwand, 102 x 73 cm
  • Abb. 20 - Überfall von Wölfen, 1885–1890, Öl auf Leinwand, 110 x 150 cm
  • Abb. 21 - Schlittenfahrt, 1890–1900, Öl auf Holz, 28 x 48 cm
  • Abb. 22 - Polnische Bauernfahrt, 1900, Öl auf Leinwand, 45 x 58,5 cm
  • Abb. 23 - Pferdegespann über einer Furt, 1890, Öl auf Leinwand, 72 x 118 cm
  • Abb. 24 - Fragment eines von Münchner Künstlern beidseitig bemalten Fächers, 1883–1884, Öl auf Holz, 57,8 x 32 cm, Miniatur von Alfred Wierusz-Kowalski.
  • Abb. 25 - Polnische Post, nach 1883, Öl auf Leinwand, 56 x 45 cm
  • Abb. 26 - Im Februar, 1890, Öl auf Leinwand, 74,5 x 100 cm
  • Abb. 27 - Heiliger Hein, nach 1903, Öl auf Leinwand, 47 x 62 cm
  • Abb. 28 - Alfred Wierusz-Kowalskis Atelier in München, 1889–1890, Fotografie
Schlittenfahrt, 1890–1900, Öl auf Holz, 28 x 48 cm
Schlittenfahrt, 1890–1900, Öl auf Holz, 28 x 48 cm

Alfred Wierusz-Kowalski wurde am 11. Oktober 1849 in Suwałki geboren (Abb. 2). Sein Vater zog lange Jahre zuvor hierhin, um als Notar tätig zu werden. Das kleine Städtchen mit nur wenigen tausend Einwohnern lag zwischen Seen und Wäldern und war von ländlichem Charakter. Die Einwohner waren eher arm und gehörten mehreren Volksgruppen an. Außer Polen und Juden lebten überwiegend Russen hier, da sich dieser Teil Polens zu jener Zeit unter russischer Vorherrschaft befand.[1] An allen vier Ausfallstraßen der Stadt wurden Kasernen gebaut. Das kulturelle und das künstlerische Leben der Stadt waren als dürftig zu beschreiben. In der Familie Wierusz-Kowalski, deren Wurzeln bis in das 13. Jahrhundert reichen, kamen bis dahin keine Künstler vor. In diesem Milieu bildeten sich das Talent und die Sensibilität des künftigen Malers heraus. Seine Kindheitsjahre sind bis auf den Taufschein (Abb. 3) nicht weiter dokumentiert.[2]

1865 verzog die Familie Wierusz-Kowalski nach Kalisz im Zentrum des Landes. Die Stadt, eine der ältesten in Polen, bot mehr Kultur, ein entwickelteres Bildungswesen und bessere Arbeitsmöglichkeiten.[3] Alfred Wierusz-Kowalski besuchte dort ein Gymnasium, das sich eines guten Rufes erfreute und als Lehrer für die Fächer Zeichnen und Kalligraphie den ausgebildeten und talentierten, wenn auch letztlich nur provinziellen Maler Stanisław Barcikowski beschäftige.[4] Nicht auszuschließen ist, dass er bereits die Fähigkeiten seines Schülers entdeckte, der Kalisz daraufhin (Abb. 4) 1868 verließ und sich nach Warschau begab. Dort besuchte er die Zeichenklasse, die einzige Einrichtung für künstlerisch begabte Jugendliche.[5] In dieser Zeit trat er auch in das Privatatelier des sehr begabten Malers und ausgezeichneten Pädagogen Wojciech Gerson, dem Lehrer vieler Künstler.[6] Seine Schüler lernten bei ihm das Handwerk der Malerei von der Pike auf, sie wurden in der Beobachtung der Natur geschult, die für sie der größte Meister sein sollte, und sie erlangten kunstgeschichtliches Wissen. Bei alledem war der Besuch der Zeichenklasse für die Ausbildung von Wierusz-Kowalski nicht weiter bedeutsam, auch wenn er hier mit nicht minder befähigten Künstlern wie Rafał Hadziewicz und Aleksander Kamiński zu tun bekam.

Der nächste Ausbildungsschritt führte den künftigen Maler an die Kunstakademie in Dresden. Die Wahl dieses Studienorts war nicht zu erwarten, da die Dresdner Schule damals alles andere als führend war. Die Lehre ließ zu wünschen übrig. Dabei kamen polnische Familiennahmen kaum unter der geringen Zahl der Studenten vor, obwohl in der Hauptstadt Sachsens viele polnische Familien lebten.[7] Dafür könnten die zahlreichen eingesessenen Migranten, zu denen auch Józef Ignacy Kraszewski[8] zählte, für Wierusz-Kowalski das ausschlaggebende Argument für die Wahl der Stadt gewesen sein, die stark mit der polnischen Geschichte und Kultur verbundenen war.[9] In Dresden entstand dann auch das Porträt des Schriftstellers, das künstlerisch zwar nicht überzeugt, immerhin aber korrekt angefertigt ist.[10] Aus dieser Zeit stammt auch das bis heute erhaltene Bild Stacja pocztowa (Postwagen in der Stadt, Abb. 5).[11]

 

[1] Polen war seit 1795 kein eigener Staat mehr. Die Nachbarmächte Preußen, Russland und Österreich teilten das Territorium der Polnischen Republik insgesamt drei Mal (1772, 1793 und 1795) unter sich auf.

[2] Der Taufschein befindet sich im Archiwum Państwowe [Staatliches Archiv] in Suwałki.

[3] Als Kalis erwähnt Gallus Anonymus die Stadt in seiner Polnischen Chronik, 1112-1116.

[4] Stanisław Barcikowski (1832–1897), Maler und Zeichner, Zeichenlehrer an Schulen in Kalisz.

[5] Die Zeichenklasse wurde 1865 gegründet, um Zeichenlehrer für Mittelschulen auszubilden. Die Repressionen des zaristischen Russlands wurden nach dem Januaraufstand (1863-1864) auf das gesamte Königreich Polen ausgedehnt und betrafen unter anderem die Auflösung aller Hochschulen, auch der künstlerischen. Die Zeichenklasse war die einzige Bildungseinrichtung für artifiziell begabte Jugendliche. Sie wurde 1920 in die Akademie der Bildenden Künste [Akademia Sztuk Pięknych] umgewandelt.

[6] Wojciech Gerson (1831–1901), Landschaftsmaler, Autor historischer Szenen, Pädagoge, Kunsthistoriker. Er studierte in Petersburg und bei Leon Cogniet in Paris. Zu seinen Schülern zählten unter anderem: Józef Chełmoński, Adam Chmielowski, Henryk Piątkowski, Antoni Piotrowski, Leon Wyczółkowski.

[7] In Dresden studierten Władysław Czachórski und Ludwik Kurella, die ihre Ausbildung später in München fortgesetzt haben. Siehe: Matrikel der Königlichen Akademie der bildenden Künste in Dresden von Ostern 1855 bis Ostern 1882. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden.

[8] Józef Ignacy Kraszewski (1812–1887), Schriftsteller, Publizist, Verleger und Historiker mit politischem und gesellschaftlichem Engagement für Migranten. Autor von 232 Romanen!

[9] Die bedeutende Sammlung europäischer Gemälde wurde von August dem Starken, dem ersten polnischen König aus dem sächsischen Fürstengeschlecht der Wettiner und seinem Sohn August III begründet. Sie wird im Dresdner Zwinger präsentiert, den August der Starke erbaute.

[10] Portret J. I. Kraszewskiego [Porträt des J. I. Kraszewski], Signatur: A. Kowalski/ Drezno 71 [Dresden 71], Öl auf Leinwand, 127 x 87 cm. Muzeum Okręgowe [Bezirksmuseum] in Suwałki, aus dem Depot des Muzeum Narodowe in Warszawa [Nationalmuseum Warschau].

[11] Stacja pocztowa, 1871–1872, Bleistift auf Papier, 23,5 x 32 cm. Muzeum Okręgowe [Bezirksmuseum] in Suwałki.

In Dresden hatte Alfred Wierusz-Kowalski (Abb. 6) die Gelegenheit, die große europäische Malerei kennenzulernen. Er sah Werke von Rubens, Rembrandt und Dürer. Als Student verbrachte er lange Stunden in den Sälen der Galerie des Zwingers, um die Arbeiten der Meister zu kopieren. Dabei befand er sich oft in Gesellschaft seines Kommilitonen Vaclav Brožik, der dem Studium an der Akademie ebenfalls abgeneigt war und später Historienmaler wurde.[12] Die Freundschaft mit dem Tschechen hat das Leben Wierusz-Kowalskis beeinflusst. Im Dezember 1872 unternahmen die beiden jungen Männer einen Ausflug nach Prag. Diese Erkundungsreise verlief so vielversprechend, dass sie Dresden schon im Winter 1873 endgültig verließen und an die Moldau zogen. Dort verbrachten sie rund ein halbes Jahr im Kreis junger tschechischer Künstlerfreunde, zu denen František Ženišek und Josef Myslbec gehörten.[13] Brožik immatrikulierte sich an der Kunstakademie und sein polnischer Freund begann seine frei schaffende Arbeit. Er schuf kleine Genreszenen (Abb. 7), die er im renommierten Kunstsalon von Nikolaus Lehmann in Prag ausstellte und verkaufte.[14] Diese frühe Selbständigkeit und die ersten finanziellen Erfolge wirkten sich auf die weiteren Entscheidungen des Künstlers aus.

Im Frühsommer kamen Wierusz-Kowalski und Brožik überein, sich nach München zu verändern. Beide schrieben sich an der dortigen Kunstakademie ein und nahmen im Herbst ihr Studium auf, der erstgenannte bei Alexander Wagner, letzterer bei Karl Piloty. Nach einem Jahr trennten sich dann die Wege der beiden jungen Männer: Brožik zog es nach Paris, während Wierusz-Kowalski für immer in der Bayerischen Hauptstadt bleiben sollte.

1873 war für den polnischen Künstler das Jahr seines internationalen Debüts. In der Allgemeinen ständigen Kunstausstellung in Wien wurde seine Arbeit Powrót kwestarza [Die Rückkehr des Gabensammlers] (Abb. 8) gezeigt.[15] Dieses Werk als bedeutend zu bezeichnen, fällt schwer, obwohl es bereits charakteristische Elemente des reifen Schaffens des Malers enthält, beispielsweise das dem heimischen Brauchtum und der heimischen Landschaft entlehnte Genrethema, die Stimmung des Motivs, die Perspektivverkürzungen, die ausgebaute, große Figurengruppe im Vordergrund, den entfernten und synthetisch wiedergegebenen zweiten Hintergrund, hinter den weitere Hintergründe gestaffelt sind, die sparsame und harmonische Farbgebung sowie die gekonnt gesetzten Farbakzente. Insofern belegt das Gemälde Powrót kwestarza, das sicher vor der Aufnahme des Studiums an der Münchner Akademie entstand, das Talent des Künstlers und kündigt seine Kariere an.

 

[12] Naděžda Blažíčkowa-Horová, Václav Brožík (1851–1901), Prague 2003.

[13] Błażiczkowa, op. cit., S. 20–21. František Ženišek (1849–1916), Maler. Josef Myslbec (1848–1922), Bildhauer.

[14] Catalog moderner und alter Gemälde der allgemeinen permanenten Kunst-Ausstellung von Nikolaus Lehmann`s Kunst-Handlung in Prag, Prag 1873, S. 6–7.

[15] Powrót kwestarza, 1873, Öl auf Leinwand, 42 x 65,8 cm. Muzeum Południowego Podlasia [Museum des Südlichen Podlachiens] in Bielsk Podlaski. 

In Wagners Werkstatt, die sehr beliebt bei den polnischen Studenten war, studierte Wierusz-Kowalski ungefähr anderthalb Jahre.[16] In dieser Zeit wurde dort auch der nur wenig ältere Józef Brandt[17] ausgebildet, dessen Arbeiten die damals entstandenen Werke des Schülers Wierusz-Kowalski Zaloty [Liebeswerbungen] (Abb. 9)[18] sowie Na zwiadach (Auf Vorposten, Abb. 10)[19] beeinflussten.

Für den jungen Künstler waren die ersten Jahre in München die Zeit seiner künstlerischen Selbstfindung. Wie viele andere Weggenossen war er dabei temporär vom Schafen des Maksymilian Gierymski fasziniert.[20] Nach dessen Vorbild malte er Jagd- und Spazierfahrtszenen in vornehmen Kostümen des 18. Jahrhunderts (Abb. 11), also im sogenannten „Zopfstil“, sowie Szenen vor dem Hintergrund kleiner polnischer Städte (Abb. 12). Für sein Gemälde Wypadek w podróży [Reisemalheur] (Abb. 13) diente ihm ein heute verschollenes Bild von Gierymski als Inspiration.[21] Die Bilder im besagten „Zopfstil“, die bis Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts entstanden, entzückten durch ein zartes Licht, das die frühherbstlichen Landschaften mit weißlich, goldfarbenen Birkenhainen erhellten, in denen Jagdhunde schnüffeln und elegante Reiter in roten Röcken auf schlanken Pferden unterwegs sind. Allmählich aber sagte sich der Künstler von diesen Darstellungen los, da Motive aus dem fernen Kaukasus um 1880 sein Interesse weckten. Reiter, die felsige Berglandschaften durchqueren, werden die neuen Protagonisten seiner Bilder. Dies hatte mit dem Krieg im Kaukasus zu tun, der in Europa aufmerksam verfolgt wurde.[22] Józef Brandts Atelier verfügte über eine beachtliche Sammlung von Ausrüstungsgegenständen, Uniformen, Trachten und Waffen kaukasischer Krieger, die einst dem Maler Theodor Horschelt gehörten. Wierusz-Kowalski nutzte diese Exponate für seine Bilder mit tscherkessischen Themen (Abb. 14). Diesbezüglich haben sich im fotografischen Nachlass der Familie des Malers Aufnahmen von Modell stehenden Personen und Kosaken erhalten. Unabhängig davon schuf Alfred Wierusz-Kowalski in dieser Zeit ähnlich wie in Prag einfache, rührende Genreszenen im Geist des Biedermeiers, die zahlreich in der polnischen Presse reproduziert wurden. Außerdem griff er wie auch später immer wieder Motive des Januaraufstands auf (Abb. 15).[23]

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gründete Alfred Wierusz-Kowalski (Abb. 16) eine Familie. Er heiratete Jadwiga (Abb. 17), die Tochter des Schriftstellers und Journalisten Wacław Szymanowski. Sein bekannter Schwiegervater, der zudem viele Beziehungen hatte, stellte sich als große Stütze heraus, was dem Künstler, dessen Karriere sich rasch entfaltete, durchaus kritisch vorgehalten wurde. Die Eheleute ließen sich in München nieder. Kinder kamen auf die Welt (Abb. 18), wobei die Familie mit jedem neuen Spross eine größere Wohnung bezog.[24] Das immer größere Atelier, gut möbliert und gefüllt mit Bildern und Malutensilien, war Ort der Arbeit und der Präsentation der eigenen Werke sowie der Besuche von Sammlern, Kunsthändlern und Käufern. Das Paar Wierusz-Kowalski führte ein offenes Haus, das regelmäßig von jungen Leuten aufgesucht wurde, denen der Künstler gerne half. 1885 kam Olga Boznańska mit den an ihn gerichteten Empfehlungsschreiben nach München. Als Dank für seine Hilfe porträtierte sie an ihrem zweiten Wohnsitz Paris Czesław, den dort studierenden Sohn Wierusz-Kowalskis.

 

[16] Über dreißig Polen haben bei ihm studiert; der von den Studenten meist gewählter Professor der Akademie.

[17] Józef Brandt (1841–1915), polnischer Schlachten- und Kriegsmaler. Schüler von Franz Adam, der in München große Erfolge feierte.

[18] Zaloty, 1875–1877, Öl auf Leinwand, 50 x 42 cm. Privatsammlung.

[19] Na zwiadach, 1877, Aquarelle, Gouache auf Papier, 23,7 x 21,7 cm. Privatsammlung.

[20] Maksymilian Gierymski (1846–1874), Maler, Autor realistischer Szenen aus den polnischen Aufständen sowie Jagdszenen und Kompositionen vor dem Hintergrund polnischer Kleinstadtszenerien.

[21] Wypadek w podróży, 1873, Öl auf Leinwand, 56,5 x 101 cm. Muzeum Narodowe, Warszawa [Nationalmuseum Warschau]

[22] Besonderes Augenmerk auf diesen Krieg hatten die Polen, bei denen der ungleiche Kampf der Tscherkessen gegen die russische Übermacht die Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit weckte.

[23] Der Aufstand gegen die russische Besatzungsmacht brach im Januar 1863 aus.

[24] Das Paar hatte fünf Kinder: Janina (*1879), Michalina (*1880), Czesław (*1882), Józef (*1885) und Jerzy (*1892).

Seit Beginn der achtziger Jahre treten in Wierusz-Kowalskis Bildern Winterszenen auf, mit Jägern die mit ihren Hunden aufbrechen, mit Kutschen und Schlitten auf verschneiten Wegen und mit aggressiven Wölfen. Aus dieser Zeit stammen die Gemälde Wyprawa na niedźwiedzia [Bärenjagd] (Abb. 19) und Napad wilków (Überfall von Wölfen, Abb. 20).[25] Und obwohl diese Themen nicht die Hauptmotive seines Schaffens sind, haben doch gerade sie dem Künstler größten Ruhm beschert.[26] Vor allem wird seine Malerei mit den dramatischen Überfällen der Wölfe assoziiert, während seine Bilder weder grausam noch schockierend sind, da Blut und Tod ausgespart sind.

Schnee zu malen beherrschte Alfred Wierusz-Kowalski meisterhaft (Abb. 21, 22). Auf seinen Gemälden schillert er an frostigen Morgen in vielen Nuancen, er färbt sich purpurrot im Licht der sinkenden Sonne, während er bei Tauwetter an bewölkten Tagen unter den Pferdehufen bricht und der graue Himmel sich in den Wassertropfen spiegelt. Auf anderen Bildern bedeckt weißer Pulverschnee zart die Hügel oder lastet schwer auf dem Geäst der Sträucher. Lichtreflexe wechseln mit tiefen Schatten, Kontraste von warmen und kühlen Tönen kommen vor, aber auch spezielle Techniken wie grobe grelle Farben, pastose Aufträge und der großzügige Duktus des frei geführten Pinsels. Stilmittel, die der Künstler verwendet, um die ungleichmäßige, leicht auf jede Schwankung der Temperatur und des Windes reagierende Textur von Schnee einzufangen.

Zu Beginn der achtziger Jahre verfestigten sich die typischen Merkmale der Malerei von Alfred Wierusz-Kowalski, der seine Themen bevorzugt aus dem polnischen Brauchtum und der Landschaft Polens schöpfte. Die von ihm dargestellten Szenen spielen sich meist in Dörfern und weniger in kleinen Städten ab, wobei sie sich nicht der Arbeit und den Mühen des täglichen Lebens, sondern den Betätigungen und Vergnügungen des ländlichen Adels widmen: Jagdausflüge, Rückreisen von Jahrmärkten und Schlittenfahrten, und zwar stets in Bewegung, bei wechselnden Witterungen, Tages- und Jahreszeiten. Seine Protagonisten befinden sich gewissermaßen immer in der Schwebe, in einem Interim, zeitlich und räumlich, wodurch sie frei von Pflichten und von den Lasten des Alltags sind.

[25] Wyprawa na niedźwiedzia, vor 1889, Öl auf Leinwand, 102 x 73 cm. Privatsammlung. Napad wilków, 1885–1890, Öl auf Leinwand, 110 x 150 cm. Privatsammlung.

[26] In Nordamerika erfreute sich das Bild Rabuś [Der einsame Wolf] großer Beliebtheit, das ein einziges Tier in einer Schneelandschaft zeigte. Dieses Motiv zog sehr viel später in die Pop-Kultur ein und wird seither auf T-Shirts, Mützen, Bechern und ähnlichen Werbeträgern reproduziert.

Große Figurengruppen stellte der Künstler im Vordergrund dar, wobei er sie meist dynamisch und mit starken perspektivischen Verkürzungen angelegt hat sowie diagonal verlaufende Kompositionen wählte. Im Hintergrund treten häufig andere Figuren auf, die als Variation der Hauptgruppe erkennbar sind, etwa ein weiterer Schlitten oder ein weiteres Fuhrwerk mit Leuten aus dem Dorf, um die Tiefe des Motivs zu betonen und die subjektive Zeit- und Raumwahrnehmung des Betrachters zu schärfen. Die Farbpalette bleibt bei feinen Tonabstufungen harmonisch eingeschränkt. Die auf der Fläche der Bilder gekonnt gesetzten Lichtreflexe und Farbakzente zogen das Auge des Betrachters als Blickfänge an. Die Darstellungen waren ungestüm, voller Energie und Kraft, oder sie waren, ganz im Gegenteil, sehr stimmungsvoll und gedämpft (Abb. 23, 24).

Ab 1883 nahm Alfred Wierusz-Kowalski an den meisten Ausstellungen, die in München stattfanden, teil. Seine Bilder kamen unter anderem nach Paris, Wien, Berlin, Brüssel, Prag sowie in die Vereinigten Staaten. Schon als junger Künstler beteiligte er sich regelmäßig an Ausstellungen in Polen, konkret in Krakau, Warschau, Lemberg und sporadisch auch in anderen Städten. Dafür waren seine Werke in den achtziger und neunziger Jahren nur noch selten in Polen zu sehen. Gekränkt von herabsetzenden Kritiken und entmutigt durch fehlendes Kaufinteresse gab er es auf, seine Arbeiten dorthin zu schicken. Demgegenüber arbeitete er in München mit den Galerien Wimmer, Heinemann, Fleischmann und Hugo Helbing, den besten Kunstsalons der Stadt, zusammen. Dabei handelte es sich damals um junge, aufstrebende „Unternehmen”, die Ausstellungen veranstalteten und Kataloge herausgaben und die Dependancen in europäischen Hauptstädten und in Amerika unterhielten. Die Zusammenarbeit mit ihnen garantierte Künstlern Erfolge.

Wierusz-Kowalski hat seine künstlerische Kariere sehr bewusst betrieben. Er entwickelte einen eigenen Stil und er bediente den Markt mit beliebten Motiven. Zudem belieferte er illustrierten Zeitschriften, die sich gesellschaftlichen und künstlerischen Themen verschrieben und Holzschnitte seiner Gemälde druckten. Auch Verlage vervielfältigten Fotografien seiner Werke mit edlen Reproduktionstechniken in verschiedenen Formaten und großen Auflagen. Indessen blieb er selbst um seinen hohen gesellschaftlichen Status bemüht, was der Erlangung lukrativer Aufträge förderlich war. Auch Prinzregent Luitpold erwarb eines seiner Bilder aus einer privaten Gemäldesammlung.[27]

 

[27] Łosie na litewskich bagnach [Elche in litauischen Sümpfen], Öl auf Leinwand, 118 x 152 cm. Siehe: Ausstellung der Gemälde aus der Privatgalerie weiland Seiner Königlichen Hoheit des Prinzregenten Luitpold von Bayern, München 1913.

Alfred Wierusz-Kowalski erfreute sich vieler Auszeichnungen und Ehrungen. 1883 erhielt er anlässlich der Ausstellung im Glaspalast eine Medaille für das Bild Polnische Post, das er in mehreren Versionen angefertigt hat (Abb. 25).[28] Einen großen Erfolg feiert er 1892, als sein Gemälde Wilki. W lutym na Litwie (Im Februar, Abb. 26) mit einer Goldmedaille bedacht wird.[29] Das ausgezeichnete Werk erwarb die Neue Pinakothek, die damals bereits seit drei Jahren das ihr 1889 geschenkte Porträt des Ministers Johann Freiherr von Lutz in ihren Beständen hatte.[30] 1890 erhielt der Künstler den Titel eines Ehrenprofessors an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in München. 1894 verlieh ihm das Bayerische Ministerium den Verdienstorden Kreuz vom Heiligen Michael vierter Klasse. Daneben fielen in Wien, Lemberg, Berlin und St. Luis weitere Medaillen und Auszeichnungen. Außerdem wurde der Künstler in die Jurys internationaler Kunstausstellungen in München und Berlin eingeladen.

Die Erfolge hielten den Lauf der Zeit jedoch nicht an, auch nicht die Veränderungen, denen die Kunst unterlag. Insofern begab sich der über das nachlassende Interesse an seiner Arbeit besorgte Alfred Wierusz-Kowalski auf der Suche nach neuen Motiven und künstlerischen Inspirationen 1903 auf eine Kurzreise nach Nordamerika (Abb. 27). Gleichwohl gelang ihm nicht, seinen künstlerischen Ausdruck grundlegend zu verändern. In dieser Zeit schuf er skizzenhafte Bilder, in denen er Details abstrahierte sowie Figuren und Gegenstände synthetisierte. Dabei wandte er sich durchaus leger aufgetragene Farben zu, doch sein Ansatz ging nicht mehr wirklich über seinen Schaffensgeist des 19. Jahrhunderts hinaus. Immer noch stellten seine Bilder galoppierende Pferde dar oder einen Zug festlich gekleideter Dorfbewohner bei ihrem Kirchgang.

1910 unternahm er noch einen Versuch, seine langsam schwindende Popularität wiederzuerlangen und bereite den schon vor Jahren fertiggestellten panoramaähnlichen Überfall von Wölfen (5 x 10 Meter) für eine Ausstellung vor. Er rechnete mit einem Erfolg und mit dem Verkauf des Werkes, dessen Skizze, die viele Jahre in seinem Atelier in der Herzogstraße 15 hing (Abb. 28), die Kritiker und die Besucher seines Ateliers entzückte.

Schließlich aber ging er dahin im Gefühl seines verblassenden Ruhms, ohne die Veränderungen um ihn herum noch zu verstehen und mit den Schwierigkeiten des Lebens beschäftigt, mit der Führung des kostspieligen Guts in Mikorzyn bei Konin, das er 1896 erwarb, mit den heranwachsenden Kindern, mit den Krankheiten seiner Frau und mit seinen eigenen Malaisen.

 

[28] Polnische Post, nach 1883, Öl auf Leinwand, 56 x 45 cm. Muzeum Okręgowe [Bezirksmuseum] in Suwałki.

[29] Wilki, 1890, Öl auf Leinwand, 74,5 x 100 cm. Muzeum Narodowe, Poznań [Nationalmuseum Posen].

[30] Minister fr. von Lutz na polowaniu na gemzy [Minister Freiherr von Lutz auf der Gamsjagd], Öl auf Leinwand, 104 x 78 cm. Das Werk gilt seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Familie (die Wierusz-Kowalskis waren Untertanen des russischen Zaren) durch Fronten und Grenzen geteilt. Alfred Wierusz-Kowalski starb am 15. Februar 1915 und wurde auf dem Waldfriedhof in München bestattet.[31] Die Familie löste die Werkstatt unter Schwierigkeiten auf. Die Bilder wurden im April 1917 auf einer Auktion im Kunsthaus Hugo Helbing verkauft. Die Atelierausstattung, die Möbel, die Staffeleien, der übrige künstlerische Nachlass und das Archiv wurden nach Polen verbracht. In München verblieben die Erinnerung und die Bilder, Zeugnisse des über vierzigjährigen künstlerischen Wirkens des Meisters.

 

Eliza Ptaszyńska, Mai 2017

[31] 1936 hat die Familie das Grab von Alfred Wierusz-Kowalski auf den Warschauer Powązki-Friedhof verlegt.