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Franz Hengsbach - Polenseelsorger, Bischof, Kardinal

Besuch von Kardinal Wojtyla bei Bischof Hengsbach in Essen (September 1978)

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  • In Nowa Huta -
  • Bischof Hengsbach mit Solidarność-Sticker - April 1982
  • Mit dem Erzbischof von Breslau Bolesław Kominek in Rom - Bischof Bolesław Kominek war Initiator des polnisch-deutschen Briefwechsels von 1965
  • Im Lager für polnische DP's in Augustdorf - Begrüßung von Weihbischof Hengsbach, Mai 1955
  • Franz Hengsbach - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" - In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.

    Franz Hengsbach - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku"

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.
Besuch von Kardinal Wojtyla bei Bischof Hengsbach in Essen (September 1978)
Besuch von Kardinal Wojtyla bei Bischof Hengsbach in Essen (September 1978)

Fast zwangsläufig richtet sich daher das Interesse auf die polnischen Geistlichen am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Schwierigkeiten und Konflikte - letztere vor allem im Zusammenhang mit einer misstrauischen und subtil polenfeindlichen preußischen Staatsgewalt. Hier sind in erster Linie die polnischen Priester Josef Szotowski und Franz Liss zu nennen, die neben ihres pastoralen Wirkens auch die Pflege des Polentums und des nationalen Bewusstseins unter den ‚Ruhrpolen‘ als ihre Aufgabe ansahen. Dagegen finden jene deutschen Polenseelsorger, die aus dem Klerus der einheimischen Bistümer hervorgegangen waren kaum Beachtung, obwohl diese die Polenseelsorge mittrugen und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht selten aufgrund dieser pastoralen Erfahrung zu entschiedenen Verfechtern und Wortführern deutsch-polnischer Versöhnung wurden.

Um die Seelsorge unter den immer zahlreicher immigrierenden polnischen Katholiken in Mittel- und Westdeutschland zu gewährleisten, richteten einige deutsche Diözesen in ihren Priesterseminaren Polnisch-Lektorate ein. Neben den Bistümern in den preußischen Ostprovinzen war es vor allem das Bistum Paderborn, das seine Seminaristen auf die religiöse Betreuung der polnischsprechenden Gläubigen vorbereitete. Geschuldet war dies u.a. der Tatsache, dass die Paderborner Ortskirche sowohl von der Polenzuwanderung in die Städte des westfälischen Teils des Ruhrgebiets als auch durch polnische Saisonarbeiter auf den landwirtschaftlichen Gütern Mitteldeutschlands tangiert betroffen war. Zugleich versuchte man auf diese Weise, eine politisch-nationale Agitation der Polenseelsorger zu unterbinden. Auch wenn die angehenden Paderborner Priester diese zusätzliche Qualifikation sowie den Polnischunterricht meist als lästig und nicht immer ernsthaft wahrnahmen, so konnte dennoch bis Ende der 1930er Jahre eine bemerkenswerte Dichte an einheimischen Polenseelsorgern ausgebildet werden, die haupt- oder nebenamtlich für die polnischen Katholiken in den Kirchengemeinden die Pastoral übernahmen. Dem Kreis dieser Seelsorger gehörten anfangs junge Kapläne an, von denen einige in der Folgezeit zu führenden Repräsentanten der Katholischen Kirche Deutschlands aufsteigen sollten, wie der spätere Bischof von Essen, Franz Hengsbach.

Franz Hengsbachs erste Begegnung mit den ‚Ruhrpolen‘ dürfte zu Beginn der 1920er Jahre in Gelsenkirchen-Schalke erfolgt sein, wo sein Onkel Konrad Hengsbach in der dortigen St. Joseph-Gemeinde, die einen hohen Anteil polnisch sprechender Mitglieder aufwies, als Pfarrer amtierte. Der Neffe folgte der Berufung des Onkels und wurde 1937 ebenfalls Priester. Im Paderborner Priesterseminar nahm Hengsbach die Möglichkeit wahr und lernte Polnisch, um auch die katholischen Polen in den Arbeitergemeinden des Reviers religiös betreuen zu können, was bereits an seiner ersten Wirkungsstätte in Herne-Baukau eintreten sollte, wo ihm u.a. die Verantwortung für die Seelsorge an den polnischen Katholiken übertragen wurde. Hengsbach berichtete später über diese Zeit: „Da ich in meinem Studium etwas Polnisch gelernt hatte, wurde ich zum – nebenamtlichen – Polenseelsorger ernannt. Meine Hauptaufgabe war, den polnisch sprechenden Pfarrangehörigen Gottesdienste in ihrer Muttersprache zu halten und ihnen in der Beheimatung in der Kirche zu helfen.“[1] Allerdings fand seine Tätigkeit als Polenseelsorger bald ein Ende, da mit Kriegsausbruch am 1. September 1939 jegliche spezielle Polenseelsorge verboten wurde. „Das heißt selbstverständlich nicht, daß die persönlichen Verbindungen, die sich bis dahin aufgebaut hatten, dann auch abgebrochen waren. Ich habe auch während der Kriegszeit noch viel persönliche Seelsorge an den Polen in unserer Gemeinde ausüben können.“[2] Dabei pflegte und verbesserte Hengsbach nicht nur seine Polnisch-Kenntnisse, sondern kam auch mit den Eigenarten und Formen der polnisch-katholischen Religiosität in Berührung – ein Fundus, der sich später als äußerst hilfreich erweisen sollte.

Hengsbach Zeitgenossen aus Herner Zeit assoziierten ihn noch Jahrzehnte später vielfach mit der Polenpastoral und verbanden ihre Erinnerungen an „den jungen Vikar mit der Polen-Seelsorge und polnischen Messen – mit polnischen Liedern und Predigten – auch noch in der Hitlerzeit, wo diese Institution freilich abgeschafft wurde“.[3] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hengsbach an die Erzbischöfliche Kurie in Paderborn berufen und in der Folgezeit mit mehreren leitenden Aufgaben betraut, vor allem mit der Leitung des Seelsorgeamtes. 1953 zum Weihbischof konsekriert, war Hengsbach auch für die pastoralen Anliegen der Polen in seinem Bistum zuständig. Im Rahmen dieser Verantwortung besuchte er 1955 u. a. das Lager für polnische Displaced Persons in Augustdorf.

 

[1] Bistumsarchiv Essen (weiter: BAE), NL 1/1560, Vortrag von Bischof Hengsbach „Auf Schalke“ vom 25.07.1985, o. S.

[2] BAE, NL 1/1454, Interview von Krystyna Grzybowska mit Bischof Hengsbach für Radio Freies Europa (Transkript), ohne Datum (wahrscheinlich um 1988), o. S.

[3] Schüppen, Franz: Kardinal Franz Hengsbach (1910-1991). Ein Bürger des Ruhrgebiets mit Herner Hintergrund, in: Binder, Bücher und ein Bischof. Streifzüge durch die Geschichte und Gegenwart von Wanne-Eickel und Herne (= Der Emscherbrücher, Bd. 14), hrsg. v. Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel, Herne 2008, S. 131.

Für den am 1. Januar 1958 in das Amt des ersten Bischofs von Essen eingeführten Franz Hengsbach sollten die Erlebnisse in der Polenseelsorge bereits wenige Jahre später erneut zum Tragen kommen. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) führte deutsche und polnische Bischöfe zusammen. Bereits zu Beginn des Konzils knüpfte Hengsbach erste Kontakte zu seinen polnischen Amtsbrüdern. „Diesem ersten zufälligen Kontakt folgten in den weiteren Konzilswochen viele Zusammenkünfte zwischen polnischen und deutschen Bischöfen“ – berichtet er seiner Rückkehr vom Konzil. Die persönlichen Begegnungen der Bischöfe in Rom ließen eine ‚besondere Frucht des Konzils‘ reifen, die im Briefwechsel zwischen den Episkopaten Polens und Deutschlands vom Spätherbst 1965 ihren sichtbarsten Ausdruck fand. Hengsbach, der aufgrund seiner Erfahrungen in der Polenseelsorge rasch das Vertrauen seiner polnischen Amtsbrüder gewann, gehörte auch zum engen Kreis jener Exzellenzen, die der Breslauer Erzbischof Bolesław Kominek in das Vorhaben des polnischen Episkopats eingeweiht hatte, die deutschen Bischöfe zur Millenniumsfeier der Christianisierung Polens nach Tschenstochau im Mai 1966 einzuladen.

Die Aussöhnung mit dem polnischen Volk stellte für den Ruhrbischof ein besonders Anliegen dar. Der polnisch-deutsche Briefwechsel der Bischöfe hatte das Fundament für eine Annäherung und Normalisierung zwischen Deutschen und Polen gelegt. Für Hengsbach bedeutete der Briefwechsel nicht nur die „Krönung“ der deutsch-polnischen Begegnungen in Rom, sondern kam für ihn einer Verpflichtung für die Zukunft gleich. Mitte Oktober 1965 notierte er: „Aus dem Geist des Konzil[s]! Aus der Sorge der Nachbarn! Aus der Gesamtverantwortung f. die Kirche werden die Poln[ischen] u. Deutschen Bischöfe im regen Gedanken- und Erfahrungsaustausch bleiben, der in Rom so glücklich begonnen wurde. So wollen sie [die Bischöfe – S. G.] dem so notwendigen Frieden zwischen ihren beiden Völkern dienen“.[4]

In diesem Sinne wirkte Hengsbach in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten, als es galt, schwierige, beide Völker trennende Themen anzugehen, hier insbesondere die Oder-Neiße-Grenze. Im Sommer 1966 bezog er deutlich Position in dieser Frage, als er im Wallfahrtsort Neviges vor den dort versammelten Polen aus dem gesamten Bundesgebiet bekannte, „daß eine Aussöhnung Polens mit Deutschland niemals an der Frage der Ostgrenze scheitern darf“; eine Position, die er auch gegenüber den deutschen Vertriebenen vertrat.[5]

Im Rahmen der Katholischen Woche in Bochum 1970 knüpfte er dabei an die Einwanderung der Polen ins Ruhrgebiet im 19. Jahrhundert an. Den Teilnehmern rief Hengsbach zu: „Wo die internationale Politik dem Geiste Christi widerspricht, biete sie keine tragfähige Grundlage für das Zusammenleben. [Wir wollen] – und das spreche ich bewußt aus mitten im Ruhrgebiet, wo Tausende und Tausende Angehörige des polnischen Volkes seit Generationen zu Hause sind – […] nichts anderes, als daß ein brüderliches Verhältnis beider Völker in voller Aufrichtigkeit und ehrlichem Dialog wächst. Wir bejahen alle notwendigen Voraussetzungen dafür.“[6]

Bischof Hengsbach versäumte es nicht, bei Presseanfragen und Interviews zum Briefwechsel von 1965 oder zu seinem Engagement für die deutsch-polnische Verständigung auf sein pastorales Wirken unter den polnischen Katholiken in Herne hinzuweisen. Aus seinem Dienst in der Polenseelsoge leitete Hengsbach die Berechtigung ab, innerhalb des deutschen Episkopats für die Fragen der deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen prädestiniert zu sein. Gleichzeitig aber fühlte er sich aufgrund dieser Erfahrung in besonderer Weise verpflichtet, für die Aussöhnung mit Polen zu werben und sich einzusetzen.

In der Folgezeit konnte Hengsbach noch mehrfach seinen Versöhnungswillen unter Beweis stellen, sei es in der Funktion als Leiter der Kommission der Deutschen Bischofskonferenz für die Kontakte mit dem polnischen Episkopat, sei es als Mitorganisator erster offizieller Besuche einer polnischen Bischofsdelegation in Westdeutschland 1978 mit Primas Wyszyński an der Spitze und einer deutschen Delegation in Polen 1980. Besonders hervorzuheben ist Hengsbachs Einsatz für die notleidende polnische Bevölkerung infolge der Niederwerfung der Solidarność-Bewegung Anfang der 1980er Jahre. Im April 1981 rief er in seinem Bistum die Aktion „Hilfe für Polen“ ins Leben, um durch Lebensmitteltransporte und Spenden Hilfsbedürftige in Polen zu unterstützten. Diese Aktion trug mit dazu bei, dass in Polen ein anderes, positives Bild von den Deutschen gezeigt werden konnte als es die offizielle kommunistische Berichterstattung in Polen es zuließ. So verwundert es nicht, dass Bischof Hengsbach für dieses Engagement in Polen und Deutschland hohe Anerkennung erfuhr und als „Wortführer der Versöhnung“ gewürdigt wurde.[7] 1988 erhob ihn Papst Johannes Paul II. in den Kardinalsstand. Als im November 1990 die deutschen und polnischen Bischöfe gemeinsam den 25. Jahrestag des Briefwechsels beider Episkopate im Dom zu Gniezno (Gnesen) begingen, taten sie dies als Vertreter der katholischen Kirche eines wenige Wochen zuvor vereinten Deutschlands und eines freien Polens. Obwohl Bischof Hengsbach aus gesundheitlichen Gründen an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen konnte, so dürfte er sich bewusst gewesen sein, an einem historischen Prozess erfolgreich mitgewirkt zu haben. Sein jahrzehntelanges Bemühen für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen, das seinen Ursprung in der Seelsorge an den katholischen Polen in Herne-Baukau hatte, bildet eine „besondere Frucht“ seines priesterlichen Dienstes.

 

Severin Gawlitta, Juni 2014

 

[4] BAE, NL 1/1292, Ergänzung von Bischof Hengsbach zum Gutachten von Prof. Jedin vom 16.10.1965, o. S.

[5] BAE, Bischöfliche Pressstelle, Bd. 4 (1966), Mitteilung für die Presse vom 20.06.1966. – Hengsbach, Franz: Pflüget einen neuen Acker. Gedanken zu Friede und Versöhnung, Sankt Augustin 1970, S. 114.
[6] BAE, Bischöfliche Pressestelle, Bd. 8 (1970). Mitteilung an die Presse vom 26.O10.1970. – Zitiert auch in: Ruhrwort, Nr. 44 vom 31.10.1970, S. 4.
[7] So Kardinal Joseph Razinger am 9.09.1990 im Dom zu Essen, in: Das Münster am Hellweg 49 (1991), S. 10.