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Geschichten aus dem Berg – Schicksale polnischer Zwangsarbeitender an der Porta Westfalica 1944/45

Panoramaaufnahme der Porta Westfalica vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus

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  • Bild 1: Panoramaaufnahme der Porta Westfalica  - Panoramaaufnahme der Porta Westfalica vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus
  • Bild 2: Postkarte „Porta Westfalica“ - Postkarte „Porta Westfalica, Wittekindsberg mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal“
  • Bild 3: Postkarte „Porta Westfalica“ - Postkarte „Porta Westfalica, Wittekindsberg mit Denkmal“
  •  Bild 4: Fest- und Theatersaal im Hotel Kaiserhof in den ausgehenden 1930er bzw. frühen 1940er Jahren - Fotografie des Fest- und Theatersaals im Hotel Kaiserhof in den ausgehenden 1930er bzw. frühen 1940er Jahren.
  • Bild 5: Fest- und Theatersaal im Hotel Kaiserhof in den ausgehenden 1930er bzw. frühen 1940er Jahren - Fotografie des Fest- und Theatersaals im Hotel Kaiserhof in den ausgehenden 1930er bzw. frühen 1940er Jahren.
  • Bild 8: Dachs I Treppe  - Fotografie Dachs I Treppe.
  • Bild 9: Dachs I-3 - Fotografie Dachs I-3.
  • Bild 9.1: Dachs I-3 - Fotografie Dachs I-3.
  • Bild 10: Abgesperrter Eingang Dachs I - Fotografie abgesperrter Eingang Dachs I.
  • Bild 10.1: Abgesperrter Eingang Dachs I - Fotografie abgesperrter Eingang Dachs I.
  • Bild 11: Hotel Kaiserhof (aktuell) - Fotografie des aktuellen Hotels Kaiserhof.
  • Bild 11.1: Hotel Kaiserhof (aktuell) - Fotografie des aktuellen Hotels Kaiserhof.
  • Bild 11.2: Hotel Kaiserhof (aktuell) - Fotografie des aktuellen Hotels Kaiserhof.
  • Bild 12: Grabstein „Hier ruhen unbekannte KZ-Häftlinge 1939-1945“ - Fotografie Grabstein „Hier ruhen unbekannte KZ-Häftlinge 1939-1945“
  • Bild 13: Mahnmal am Grünen Markt in Hausberge - Fotografie des Mahnmals am Grünen Markt in Hausberge.
  • Bild 14: Besuchergruppe Dachs I - Fotografie Dachs I Besuchergruppe.
Panoramaaufnahme der Porta Westfalica vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus
Panoramaaufnahme der Porta Westfalica vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus

Einleitung
 

Im nordöstlichen Teil Nordrhein-Westfalens befindet sich die malerische Stadt mit dem außergewöhnlichen, latinisierten Namen Porta Westfalica – eine direkte Anspielung auf die Lage des Ortes an der sogenannten „Westfälischen Pforte“, im Volksmund kurz als Porta bezeichnet. Im Stadtteil Barkhausen ragt das große Kaiser-Wilhelm-Denkmal, ein Wahrzeichen der Region, aus dem Wittekindsberg hervor und bietet einen atemberaubenden Ausblick auf den Durchbruch des Flusses Weser zwischen dem idyllischen Wiehen- und Wesergebirge (Bild 1 . ). Während ich bei meinem ersten Besuch in der Stadt im Herbst 2019 die Aussicht von der großen Ringterrasse des Denkmals genieße und meinen Blick über weitere Ortsteile Porta Westfalicas schweifen lasse, ist es nur schwer vorstellbar, dass hier inmitten der schönen Landschaft einst mehrere Tausend Menschen schwerste Zwangsarbeit für das NS-Regime leisten mussten: In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges wurden die damals noch eigenständigen Gemeinden Barkhausen, Hausberge und Neesen des heutigen Porta Westfalicas als Außenlager-Standorte des Konzentrationslagers Neuengamme bei Hamburg genutzt. Ziel der Einrichtung gleich mehrerer Außenlager war ein groß angelegtes Rüstungsproduktionsvorhaben, an dem viele große Firmen, wie z. B. das niederländische Unternehmen Philips oder die hannoversche Ölraffinerie Deurag-Nerag, beteiligt waren. Das Erstaunen über die Lage der Produktionsstätten war auch bei den Zwangsarbeitenden groß. Der ehemalige polnische KZ-Häftling Wiesław Kielar erinnert sich an die Ankunft an der Porta folgendermaßen:

„Man lud uns auf dem Güterbahnhof eines kleinen Städtchens mit dem merkwürdigen Namen ‚Porta Westfalica‘[1] aus. Unser Erstaunen wurde noch größer, als wir dieses stille Städtchen sahen, das sich an beiden Ufern des Flusses an Gebirgshängen mit typischen Ferienhäusern ohne jegliche Spuren von Industrieobjekten hinzog. Wo waren denn hier die Philipswerke, in denen wir arbeiten sollten?“[2]

Dass die besagten Werke wie auch viele weitere für die NS-Kriegswirtschaft tätige Firmen unter der Erdoberfläche eingesetzt werden sollten, erfuhren die Zwangsarbeitenden erst vor Ort – die sogenannten „U-Verlagerungen“ wurden mit Decknamen versehen und strengstens geheim gehalten. Um kriegswichtige Rüstungsproduktionsstätten vor alliierten Bombenangriffen zu schützen, verlagerten die Nationalsozialisten diese nämlich ab 1943 auch unter Tage. Obwohl es in den Gebirgen an der Porta schon früher Sandsteinbrüche gegeben hat, mussten diese dennoch erst einmal in mühevoller Arbeit ausgebaut werden, bevor dort Fabriken für die Kriegs- und Rüstungswirtschaft einziehen konnten. Ein extrem aufwändiger Plan, der für seine Umsetzung vor allem eines erforderte: Arbeitskräfte. Nicht wenige ausländische Zwangsarbeitende mussten mit ihrem Leben bezahlen, doch die genaue Zahl der Todesopfer ist bis heute unbekannt.

Seit der Gründung der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V. im Jahre 2009 erfährt nun das Gedenken an die ausgebeuteten Zwangsarbeitenden in der Region Konjunktur und hält damit wider dem Vergessen die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wach.

Wie stellte sich die U-Verlagerung an der Porta Westfalica dar? Welches Quellenmaterial und welche persönlichen Erinnerungen sind überliefert? Was waren die Arbeits- und Lebensbedingungen der KZ-Häftlinge, die an der Porta für Arbeiten unter der Erdoberfläche herangezogen wurden? In meiner wissenschaftlich-historischen Recherche begebe ich mich auf die Spuren der NS-Rüstungsproduktion und der Schicksale polnischer Zwangsarbeitender an der Porta Westfalica.

 

[1] Die Stadt Porta Westfalica entstand erst 1973 im Rahmen der kommunalen Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen. Der Autor verwendet an dieser Stelle die Bezeichnung Porta Westfalica vermutlich deshalb, weil diese für die Region am Weserdurchbruch bereits zu jener Zeit geläufig war.

[2] Kielar, Wiesław: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz, S. 369.

Strategischer Luftkrieg, Gründung des Jägerstabs und Untertage-Verlagerungen – Historischer Hintergrund
 

Zwischen dem 20. und 25. Februar führten die Alliierten in der sogenannten Big Week eine Reihe von Luftangriffen durch, die auf Standorte der NS-Rüstungsindustrie ausgerichtet waren. Im Fokus jener Bombardements stand die Zerschlagung deutscher Flugzeugproduktionsstätten mit dem übergeordneten Ziel, der NS-Luftwaffe einen entscheidenden Schlag zu versetzen.[3]

Die gezielten Luftangriffe verfehlten ihre Wirkung nicht: Insbesondere die Produktion der für die Reichsverteidigung unentbehrlichen Jagdflugzeuge geriet stark ins Stocken. Die Reaktion des NS-Regimes folgte prompt: Auf die Initiative des Reichsluftfahrtministeriums und des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion wurde schon am 1. März 1944 der sogenannte Jägerstab gegründet.[4] Dieses Gremium hatte die Aufgabe, Maßnahmen zu treffen, die den Schutz und die weitere reibungslose Produktion der Luftfahrt- und Luftwaffenindustrie gewährleisten würden:

„Zur Sicherstellung des Jägerprogramms wird beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion mit sofortiger Wirkung der ‚Jägerstab‘ vorläufig auf die Dauer von 6 Monaten gebildet. Er hat die Aufgabe, ohne bürokratische Hemmungen durch unmittelbare Befehlsgebung die Instandsetzung beschädigter Werke [der Luftfahrt- und Luftwaffenindustrie; Anm. d. Verf.] oder deren Verlegung durchzuführen. Diese Aufgabe steht – insbesondere soweit es sich um die baulichen Arbeiten handelt – vor allen anderen in letzter Zeit als besonders wichtig erkannten Aufgaben. (…) Der Jägerstab errichtet bei den in Frage kommenden Produktionsstätten Außenstellen.“[5]

Der Wortlaut der Anordnung über die Errichtung des Jägerstabs weist auf Seiten der Nationalsozialisten auf die akute Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen für den Kriegsindustriezweig zu jenem Zeitpunkt hin. Die Mitglieder des Gremiums beschlossen sogleich Verlagerungen der Luftfahrt- und Luftwaffenproduktionsstätten in ländliche Gebiete, die weniger von alliierten Bombenangriffen betroffen sein würden. Nach Möglichkeit sollten sogar Verlagerungen unter die Erdoberfläche vorgenommen werden. Dieses enorme Vorhaben erforderte eine hohe Anzahl an Arbeitskräften, die nicht allein durch die deutsche Bevölkerung gedeckt werden konnten: Immer wieder mussten ohnehin schon in verschiedenen Wirtschaftszweigen deutsche Arbeiter ersetzt werden, die als Soldaten mobilisiert wurden bzw. an der Front gefallen waren, was zur Folge hatte, dass die Anzahl deutscher Arbeitskräfte weiter schwand. Gleichzeitig stieg jedoch seit der Kriegswende im Winter 1941/42 der Bedarf an Rüstungsgütern und die Verlagerungen kriegswichtiger Industriestätten im Frühjahr 1944 trieben die Notwendigkeit an Arbeitskraft noch einmal in die Höhe. Um diesem Mangel Herr zu werden, bediente sich das NS-Regime systematisch an Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und Zivilpersonen aus dem Ausland, die zur Zwangsarbeit herangezogen werden sollten – so auch für die Untertage-Verlagerungen:

„(…) Soweit es sich um die Schaffung bombensicherer Fertigungsstätten in größeren Höhlen oder neuen Stollen handelt, zieht der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion den Reichsführer SS für die Durchführung der erforderlichen Baumaßnahmen zu. (…) Der Reichsführer SS stellt Schutzhäftlinge in ausreichendem Maße als Hilfskräfte für Bau und Fertigung.“[6]

Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, war demnach persönlich dafür verantwortlich, dass Arbeitskräfte für die Verlagerungen zur Verfügung gestellt werden sollten. SS-Gruppenführer und Ingenieur Hans Kammler, der zu jenem Zeitpunkt Leiter der Amtsgruppe C (Bauwesen) im SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt war und bereits an anderen Verlagerungen gearbeitet hat, wo er durch seinen rücksichtslosen Umgang mit den Leben von Zwangsarbeitenden aufgefallen ist, wurde durch Rüstungsminister Albert Speer mit der Bauleitung der Untertage-Verlagerungen beauftragt.[7] Kammler errichtete zur Durchführung dieses Sonderbauauftrages eine eigene Bauorganisation unter seinem Namen und unterstellte die regionalen Verlagerungsprojekte, darunter auch Porta, einzelnen SS-Sonderinspektionen.[8] Für Verlagerungsvorhaben an der Porta war die SS-Sonderinspektion I unter der Leitung des Ingenieurs Bernhard von Glisczynski zuständig.[9] Die unmittelbare Befehlsgewalt des Jägerstabes und die Beteiligung wichtiger Vertreter aus der Rüstungsindustrie, des Kriegsministeriums und der SS konnten einen schnellen Start der Verlagerungen gewährleisten. Für die Region an der „Westfälischen Pforte“ bedeutete das Folgendes: Nur drei Tage nach Gründung des Jägerstabs wurde die Verlagerung von Produktionsstätten in die Berge am Weserdurchbruch beschlossen. Dies hatte zur Folge, dass in den letzten beiden Kriegsjahren mehrere Tausend Arbeitskräfte in der NS-Rüstungsproduktion an der Porta Westfalica eingesetzt wurden.[10]

 

[3] Vgl. Schulte, Jan Erik: Untertage- und Rüstungsverlagerungen: Die Neuengamme-Außenlager in Lengerich und an der Porta Westfalica, S. 131.

[4] Vgl. Fröbe, Rainer: „Vernichtung durch Arbeit?“ KZ-Häftlinge in Rüstungsbetrieben an der Porta Westfalica in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, S. 224 f.

[5] Speer, Albert: Aus der Anordnung Albert Speers vom 1. März 1944 über die Errichtung des Jägerstabes, S. 443 ff.

[6] Göring, Hermann: Geheime Anordnung zum Jägerstab vom 4. März 1944, S. 445.

[7] Vgl. Schulte, Jan Erik, S. 132 f.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. ebd., S. 133.

[10] Vgl. Fröbe, Rainer, S. 228.

„Konzentrationslager in der Nachbarschaft“ – Die Außenlager an der Porta
 

Auf dem heutigen Stadtgebiet Porta Westfalicas befanden sich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges insgesamt drei Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme bei Hamburg. Sie waren in Barkhausen, Hausberge und Lerbeck/Neesen eingerichtet worden – allesamt Ortsteile, die zu jener Zeit noch selbstständige Gemeinden der Ämter Hausberge und Dützen waren und erst im Rahmen der Gebietsreform nach dem Gesetz zur Neugliederung der Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraumes Bielefeld zum 01. Januar 1973 mit weiteren Gemeinden zum heutigen Porta Westfalica zusammengefasst wurden.

Die Außenlager wurden schon bald nach dem Beschluss des Jägerstabs eingerichtet – und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft zur deutschen Bevölkerung.

Der erste Transport von Zwangsarbeitenden für die Untertage-Verlagerung unter dem Decknamen Max I umfasste insgesamt 300 männliche Insassen aus dem Konzentrationslager Buchenwald und erreichte am 18. März 1944 die Porta. Anhand der erhaltenen Effektenkarten und der Häftlingspersonalbögen der KZ-Insassen lassen sich aus diesem ersten Transport an die Porta 19 Personen polnischer Herkunft namentlich nachweisen.[11] Historiker Thomas Lange vom Verein KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V. weist dabei auf eine auffällige Häufung hin, wonach eine Vielzahl der polnischen KZ-Häftlinge, die sich in dem ersten Transport befanden, an dem gleichen Datum, den 24.02.1944, in das KZ Buchenwald eingeliefert wurden. Es tut sich die Frage nach möglichen Zusammenhängen zwischen Einlieferungsdatum und dem Einsatz der Personengruppe an der Porta auf – eine Frage, die nach aktuellen Untersuchungen noch nicht geklärt werden kann.

Zur Unterbringung dieser ersten Gruppe von Zwangsarbeitern nutzte die SS den großen Festsaal des Luxushotels Kaiserhof in Barkhausen und funktionierte diesen in ein Außenlager um, dessen Kommando SS-Obersturmführer Hermann Wicklein zugeteilt wurde.[12] Das Hotel beherbergte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Menge Gäste – dessen günstige Lage am Bahnhof und der Weser sowie der Blick auf das 1896 erbaute Kaiser-Wilhelm-Denkmal lockte viele Touristen an (Bild 2 . und 3 . ).[13]

Das Lager in Barkhausen war nicht nur das erste, sondern auch das größte der drei Außenlager. Gleichzeitig sind darüber die meisten Informationen überliefert, da viele der dort internierten KZ-Insassen Erinnerungsberichte verfasst haben.[14] So beschreibt Wiesław Kielar die Eindrücke seiner Ankunft im Fest- und Theatersaal des Hotels folgendermaßen:

„Neugierig schaute ich mich in dem weiträumigen Theatersaal um, den man ohne jeglichen Zweifel in ein kleines Konzentrationslager umgebaut hatte. Die Decke dieses hohen Saals mit den Spuren von Bemalungen stützte sich auf ein Ornamentgebälk, das durch schwere Pfeiler, die griechische Säulen imitieren sollten, gestützt war. Die Reihe dieser Säulen trennte die Mitte des Saals oder den Appellplatz von den Reihen der vierstöckigen Betten, die auf beiden Seiten entlang den Wänden, die einige Meter große Fenster hatte, aufgestellt waren; die Fenster waren mit Blechläden versehen und stark vergittert, was einen zweifelhaften [sic!] Schutz gegen eine eventuelle Flucht bieten sollte.“[15]

 

[11] Vgl. Teilbestand 1.1.5.3, Individuelle Unterlagen Männer Buchenwald, 01010503 oS, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

[12] Vgl. Schulte, Jan Erik, S. 137.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. Bleton, Pierre: Das Leben ist schön! – Überlebensstrategien eines Häftlings im KZ Porta; vgl. Kielar, Wiesław: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz; vgl. Kieler, Jørgen: Dänischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Ein Zeitzeuge berichtet über die Geschichte der dänischen Widerstandsbewegung 1940–1945.

[15] Kielar, Wiesław, S. 370.

Auch Henryk Stróżyk, ein weiterer polnischer KZ-Häftling in Barkhausen, schildert eindrucksvoll den Aufbau des Außenlagers:

„Drumherum [um das Lagergebäude; Anm. d. Verf.] war Stacheldraht, an den Ecken standen Wachtürme. Der Saal war sehr groß. In der Mitte war ein Appellplatz, rundherum standen viertägige Betten aus Holz. An den Wänden waren große Fenster mit Klappläden aus Blech, sehr stark verdrahtet. Auf der Bühne, dem Podest, waren die Schlafplätze vom Stubenältesten und vom Kapo eingerichtet. Es gab keine Heizung und drinnen war es genauso kalt wie draußen.“[16]

In dem etwa 40 Meter langen, 25 Meter breiten und 5 Meter hohen Saalgebäude (Bild 4 . und 5 . ) wurden über den gesamten Zeitraum des Zwangsarbeit-Einsatzes an der Porta etwa 1.500 männliche Häftlinge untergebracht.[17] Für den Schlafplatz wurden in dem Saal vierstöckige Bettreihen aufgestellt, wobei ein kleines Bett mit den Maßen von 1,80 m x 0,70 m durch zwei Personen belegt werden musste.[18] Um die Insassen an einer Flucht zu hindern, wurde zusätzlich zu den vergitterten Fenstern auch das gesamte Lagergebäude mit einem Stacheldraht umzäunt. Die KZ-Häftlinge litten in dem Außenlager unter mangelhafter Ernährung – sowohl die Rationen als auch die Qualität der Nahrung waren unzureichend. Um einem Kräfteverfall und Verhungern entgegenzuwirken, waren die Insassen auf zusätzliche Nahrungsmittel angewiesen, die sie vereinzelt heimlich von den Gemeindebürgerinnen und -bürgern erhielten.[19]

Das zweite der drei Außenlager an der Porta wurde im Herbst 1944 auf der rechten Weserseite auf dem Gebiet der ehemaligen Gemeinde Neesen errichtet, gleich gegenüber von Barkhausen. Namensgeber für dieses Lager war jedoch nicht der Lager-, sondern der Arbeitsort Lerbeck.[20] Hier waren insgesamt etwa 500 männliche Häftlinge aus verschiedenen Nationen zunächst unter dem Kommando des SS-Unterscharführers Heinz Rast, später unter SS-Oberscharführer Richard Emanuel Eichler interniert.[21] Auch für dieses Lager ist nachweisbar, dass die Insassen unter mangelhafter Ernährung sowie Gewalt und Schikane durch das SS-Lagerkommando leiden mussten. So soll nach einer Überlieferung des Lerbeck-Insassen Hermann Langbein beispielsweise ein belgischer Häftling besonders grausam durch Schädeleinschläge des Lagerkommandanten Eichler ermordet worden sein.[22] Nach aktuellem Forschungsstand sind für das Außenlager Lerbeck/Neesen 34 Todesfälle nachweisbar, weitere Todesfälle sind jedoch wahrscheinlich.[23]

Das dritte Außenlager wurde Anfang 1945 am Frettholzweg in Hausberge für weibliche KZ-Häftlinge eingerichtet, die zum großen Teil Jüdinnen aus den Niederlanden und Ungarn waren und aus dem Konzentrationslager Auschwitz sowie den Außenlagern Horneburg des KZ Neuengamme und Reichenbach des KZ Groß-Rosen an die Porta deportiert wurden. Etwa 1.000 Frauen wurden in dem Lager in Hausberge interniert und mussten unter Tage für den Philips-Betrieb Radioröhren herstellen.[24] Auch sie litten unter der Schikane in ihrer Unterkunft – zum Teil waren die Frauen sogar schweren Misshandlungen durch weibliche Wachmannschaften ausgesetzt.[25] Von den drei Außenlagern ist über das letzte und die Schicksale der dort internierten Häftlinge heute am wenigsten bekannt.

Alle drei Außenlager wurden am 01. April 1945 geräumt – fünf Tage bevor die alliierten Truppen die Weserlinie überschritten und die Gemeinden an der Porta befreit haben. Die männlichen Häftlinge aus den Lagern in Barkhausen und Lerbeck/Neesen sind in zwei Zugtransporten in das Lager Wöbbelin gekommen, wo sie schließlich Anfang Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit werden konnten. Für die weiblichen Häftlinge lässt sich der Weg und insbesondere das Ziel nach der Räumung des Lagers in Hausberge schwieriger nachvollziehen, lediglich die Wege einzelner Häftlinge können nach derzeitigem Stand Rückschlüsse auf mögliche Zwischenstationen, so z. B. Bergen-Belsen oder Bendorf, erlauben.

 

[16] Stróżyk, Wojciech: Eine Geschichte zwischen 1939–1945. Ein Interview mit meinem Großvater Henryk Stróżyk, S. 18.

[17] Vgl. Fröbe, Rainer, S. 228; S. 238.; vgl. Schulte, Jan Erik, S. 136.

[18] Vgl. Fröbe, Rainer, S. 228 ff.; vgl. Stróżyk, Wojciech, S. 18.

[19] Vgl. Fröbe, Rainer, S. 240 f.

[20] Vgl. Schulte, Jan Erik, S. 141.

[21] Zu den Herkunftsländern dieser Gruppe von Häftlingen gehörten neben Polen auch Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Niederlande, Österreich, die Sowjetunion und die Tschechoslowakei; vgl. Schulte, Jan Erik, S. 141 f.

[22] Vgl. ebd., S. 142.

[23] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Das Lager in Neesen / Lerbeck, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=32, zuletzt abgerufen am 13.02.2020.

[24] Vgl. Schulte, Jan Erik, S. 142 ff.

[25] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Das Frauenlager in Hausberge, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=42, zuletzt abgerufen am 13.02.2020.

„Die Arbeit dauerte ununterbrochen Tag und Nacht“[26] – Über die Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeitenden
 

Für das Gebiet an der Porta Westfalica waren mehrere Rüstungsproduktionsstätten sowie U-Verlagerungen geplant. In der Verlagerung Dachs I im unteren Stollensystem des Jakobsberges sollte eine Schmierölraffinerie der hannoverschen Firma Deurag-Nerag auf einer Produktionsfläche von knapp 6.500 qm einziehen.[27] Dagegen war für die Verlagerung Stöhr I im oberen Stollensystem des Jakobsberges die Einrichtung einer Röhrenproduktion durch die niederländische Firma Philips aus Eindhoven, das Philips-Tochterunternehmen Valvo aus Horneburg und die Firma Telefunken aus Berlin sowie einer Drahtspulenproduktion des Unternehmens Rentrop aus Stadthagen auf einer sich über mehrere Stockwerke erstreckenden Produktionsfläche von knapp 9.000 qm beabsichtigt.[28] Auf der gegenüberliegenden Weserseite im Wiehengebirge sollten demgegenüber in der Verlagerung Stöhr II, dem sogenannten Denkmalstollen, auf einer auf vier Stockwerke verteilten Gesamtfläche von 5.320 qm Kugellager für Kampfflugzeuge der Dr. Ing. Böhme GmbH & Co. KG aus Minden sowie die Produktion von Teilen für Panzerabwehrwaffen durch die Veltrup KG verlegt werden.[29] Zu dem Rüstungsproduktionskomplex an der Porta gehörte außerdem auch der Einbezug der Lokalfirma Betonwerk Weber in Lerbeck, die zunächst im März 1944 einen Auftrag von der SS zur Herstellung und Lieferung von Betonplatten und -trägern für den Ausbau der Betonhallen in den Stollen erhalten hatte. Im September 1944 wurde die Fabrikanlage des Betonwerks Weber beschlagnahmt und für den Rüstungsbetrieb der Firma Klöckner Flugmotorenbau GmbH, die aufgrund der kritischen Frontlage aus den Niederlanden an die Porta verlegt wurde, zum Zwecke von Reparaturarbeiten der Luftwaffe zur Verfügung gestellt.[30]

Bei der Zwangsarbeit unter der Erdoberfläche muss zwischen zwei Phasen unterschieden werden: Zunächst einmal wurden ab März 1944 vorwiegend KZ-Häftlinge als Zwangsarbeitende eingesetzt, um die Stollen für die U-Verlagerungen im Jakobsberg und im Wiehengebirge auszubauen, damit die Rüstungsproduktionsstätten dort überhaupt erst eingerichtet werden konnten. Danach war es erst möglich, dass kriegswichtige Produktionszweige in die ausgebauten Stollen verlegt und zum Teil sogar noch vor Kriegsende in Betrieb genommen werden konnten.[31]

Zu der Zusammensetzung und der Herkunft der Arbeitskräfte schreibt Wiesław Kielar Folgendes: „Die Arbeit dauerte ununterbrochen Tag und Nacht. Man konnte hier die Vertreter aller Nationalitäten finden, der Unterjochten und jener, die zu den Achsenmächten gehörten.“[32]

Die Vielzahl an Arbeitsbereichen für die vielen Rüstungsproduktionsstätten im Gebiet an der Weser erforderte eine hohe Anzahl an Arbeitskräften, die sich sowohl auf verschiedene Gruppen von Zwangsarbeitenden[33] als auch auf zivile Arbeitskräfte – unter anderem auch aus der deutschen Bevölkerung – verteilte. Zwischen ausländischen Zwangsarbeitenden und deutschen Arbeitskräften gab es in deren Ansehen, dem Arbeitseinsatz und in der Behandlung jedoch fundamentale Unterschiede. KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene aber auch zivile Arbeitskräfte, die aus dem Ausland herangezogen wurden, mussten besonders schwere Arbeiten verrichten und zum Teil menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen erleiden. Bei dem besonders kräftezehrenden Einsatz für den Ausbau der Stollen wurden beispielsweise überwiegend KZ-Häftlinge eingesetzt.

 

[26] Kielar, Wiesław, S. 375.

[27] Vgl. Blanke-Bohne, Reinhold: Die unterirdische Verlagerung von Rüstungsbetrieben und die Außenlager des KZ Neuengamme in Porta-Westfalica bei Minden, S. 37 ff.

[28] Vgl. ebd. S. 37, S. 46 ff.

[29] Vgl. ebd., S. 50 f.

[30] Vgl. ebd., S. 67 ff.; vgl. Schulte, Jan Erik, S. 141.

[31] Vgl. Blanke-Bohne, Reinhold, S. 50.

[32] Kielar, Wiesław, S. 375.

[33] Dazu gehörten sowohl männliche als auch weibliche KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und zivile Arbeitskräfte, die speziell zur Zwangsarbeit an der Porta herangezogen wurden. Zum Teil haben auch die Firmen, die in den Stollen produzierten, ebenfalls Arbeitskräfte, sowohl freiwillige als auch unter Zwang gesetzte, mitgebracht.

 

Anfangs ohne jegliche Hilfe von Maschinen, dafür nur mit Hacke, Schaufel und Schubkarren ausgerüstet, mussten die Zwangsarbeitenden das zuvor ausgesprengte Gestein aus dem Stollen entfernen.[34] Die Arbeit wurde in zwei 12-Stunden-Schichten betrieben und zehrte an der Gesundheit der KZ-Häftlinge. Die hinzukommende mangelhafte Ernährung tat ihr Übriges und die Zwangsarbeitenden schufteten sich bis zur völligen körperlichen Erschöpfung. Insgesamt rund 60.000 Kubikmeter Gestein wurde auf diese Weise durch die KZ-Häftlinge in der ersten Phase der Zwangsarbeit an der Porta aus dem Jakobsberg entfernt.[35]

Doch auch in der zweiten Phase der Zwangsarbeit unter der Erdoberfläche kann kaum von deutlich besseren Arbeitsbedingungen die Rede sein. Zwar wurden mit den Verlagerungen bestimmter Rüstungsproduktionszweige auch zunehmend Fachkräfte benötigt, jedoch wurden die Zwangsarbeitenden stets für besonders schwere Arbeiten eingesetzt. So beschreibt Wiesław Kielar, der einem Arbeitskommando von Elektrikern für Philips angehörte, die Arbeit, welche die Gruppe in der Verlagerung Stöhr I im oberen Stollensystem des Jakobsberges verrichten musste, folgendermaßen:

„Wir gingen in den Korridor des Stollens. Hier wurden wir nach der Abzahlung der Arbeit zugeteilt. Mit einem Fahrstuhl, der sämtliche Stöcke der Fabrik bediente, fuhren wir in den vierten Stock zur Abteilung für Anfertigung von Radiolampen, wo wir schwere, mehrere Tonnen wiegende Maschinen aufstellen mußten, die wir gestern mit großer Anstrengung von dem entfernten Güterbahnhof hertransportiert hatten.“[36]

Obwohl der Fahrstuhlführer dazu verpflichtet war, die Zwangsarbeitenden zu ihren Einsatzorten mit dem Fahrstuhl zu transportieren, wird in den Zeitzeugenberichten mehrmals erwähnt, dass dieser die Fahrten für die Zwangsarbeitenden durch Beschleunigung und plötzliches Bremsen besonders gefährlich gestaltete, sodass es oftmals vorkam, dass Personen hinunterfielen und den Weg hinaufklettern mussten.[37]

Für die weiblichen KZ-Häftlinge, die überwiegend niederländische und ungarische Jüdinnen waren, ist bekannt, dass sie in der U-Verlagerung Stöhr I im oberen Stollensystem des Jakobsberges arbeiten und vorwiegend Radioröhren für die Firma Philips herstellen mussten. Zwar litten sie im Vergleich zu ihren männlichen Mithäftlingen weniger unter der schweren körperlichen Arbeit, jedoch vielmehr unter der gewalttätigen Behandlung durch die SS-Wachmannschaft sowie der ebenfalls mangelhaften Ernährung, die auch sie ihrer Kräfte beraubte.[38]

Grundsätzlich hatten alle vom Zwangseinsatz an der Porta betroffenen Personen gemeinsam, dass sie unter harten Arbeits- und Lebensbedingungen leiden mussten. Wiesław Kielar beschreibt die damalige Situation für die Zwangsarbeitenden sehr treffend:

„Der Mangel an Nahrung und das ständige Frieren während der Arbeit, die über die Kräfte ging und bei Frost, im Schnee oder Regen geleistet werden mußte, verursachten einen langsamen, doch ständigen Kräfteverfall.“[39]

Mangelnde Ernährung, Gewalt durch die Wachmannschaft und die harten Witterungsbedingungen hatten schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Zwangsarbeitenden. Bis heute ist die Anzahl der Todesopfer der Zwangsarbeitenden aufgrund kurz- oder langfristiger Auswirkungen des Einsatzes an der Porta unbekannt.

 

[34] Vgl. Blanke-Bohne, Reinhold, S. 81 ff.

[35] Vgl. Combined Intelligence Objectives Subcommittee (CIOS): Report XXXIII. 38 Underground Factories in Germany, S. 60.

[36] Kielar, Wiesław, S. 376.

[37] Vgl. ebd., S. 379.; vgl. Stróżyk, Wojciech, S. 19.

[38] Vgl. Schulte, Jan Erik, S. 144 ff.

[39] Kielar, Wiesław, S. 381.

Schicksale polnischer Zwangsarbeitender an der Porta 1944/45
 

Nach aktuellem Forschungsstand lassen sich von den an der Porta internierten KZ-Häftlingen insgesamt 34 Personen polnischer Herkunft anhand von Dokumenten und Zeitzeugenberichten namentlich nachweisen. Im ersten Transport von Insassen aus dem KZ Buchenwald an die Porta befanden sich insgesamt 19 Polen, die anhand von Effektenkarten und Häftlingspersonalbögen identifiziert werden konnten.[40] Drei weitere polnische Zwangsarbeitende sind wesentliche Zeitzeugen für die Arbeit des Vereins KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V., deren Geschichten auf dem Portal zu finden sind.[41] Einer von den dreien, Wiesław Kielar, hat seine Erinnerungen an die Zeit seiner Internierung in mehreren Konzentrationslagern in seinen Memoiren niedergeschrieben und wurde so zu einem bekannten Autor einer Konzentrationslager-Autobiografie.[42] Aus dessen Erzählungen konnten sechs weitere polnische KZ-Häftlinge ermittelt werden, die Kielar schon aus Zeiten des KZ Auschwitz kannte und die ebenso wie er in den letzten Kriegsjahren an der Porta Zwangsarbeit geleistet haben. Ebenso konnte durch die Erinnerungen von Henryk Stróżyk ein weiterer polnischer KZ-Insasse herausgefunden werden.[43] Ein Fund im Archiv Porta Westfalica in Form eines Zeitungsartikels ließ eine weitere Identifikation zu, nämlich die eines polnischen KZ-Häftlings an der Porta, der knapp 30 Jahre später an den Ort der Zwangsarbeit zurückgekehrt ist.[44] Aus dem Sterbebuch des Standesamtes Barkhausen für die Jahre 1943/44 ließ sich ein weiterer KZ-Häftling polnischer Herkunft identifizieren, der im Außenlager Barkhausen interniert war.[45] Schließlich konnten aus dem Totenbuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme noch drei weitere Polen verzeichnet werden, die im Außenlager an der Porta in Barkhausen interniert und dort gestorben waren.[46]

Im Folgenden werden vier Geschichten polnischer Zwangsarbeitender an der Porta vorgestellt, deren Schicksale an der „Westfälischen Pforte“ überliefert sind.

 

[40] Vgl. Teilbestand 1.1.5.3, Individuelle Unterlagen Männer Buchenwald, 01010503 oS, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

[41] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Zeitzeugen, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=6, zuletzt abgerufen am 13.02.2020.

[42] Vgl. Kielar, Wiesław.

[43] Vgl. Stróżyk, Wojciech, S. 18.

[44] Vgl. Lüdde, Wolfgang: Fahrkarte in die Vergangenheit. Die Geschichte eines ehemaligen Zwangsarbeiters, der noch einmal die Porta Westfalica wiedersehen wollte (Stern Nr. 40, Artikel vom 24.04.1972), in: Stadtarchiv Porta Westfalica.

[45] Vgl. Sterbebuch des Standesamtes Barkhausen a.d. Porta 1943/44, in: Kommunalarchiv Minden, PStR2, C11.

Henryka Zaorska und Krystyna Zaorska-Burczyk

Die Geschichte dieser beiden Frauen ist der bisher einzig bekannte Fall polnischer Zwangsarbeiterinnen an der Porta Westfalica. Nach dem Ende des Warschauer Aufstandes wurden Mutter Henryka und ihre damals 14-jährige Tochter Krystyna in einer Straßenrazzia der SS festgenommen. Bereits kurz nach Beginn des Warschauer Aufstandes wurde am 6. August 1944 am westlichen Stadtrand Warschaus ein Durchgangslager bei Pruszków eingerichtet, welches „(…) als Zwischenstation für die Deportation der Warschauer Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit und in die Konzentrationslager dienen sollte.“[47] Von diesem Durchgangslager aus wurden Henryka und Krystyna in das KZ Ravensbrück deportiert – genau so wie mehrere Tausend weiterer Polinnen: Etwa 12.000 Frauen und Mädchen sollen im Spätsommer und Herbst des Jahres 1944 aus dem aufständischen Warschau in das größte Frauenkonzentrationslager deportiert worden sein.[48] Zusammen mit ihrer Mutter kam Krystyna in ein Außenlager des KZ Ravensbrück nach Königsberg/Neumark, wo beide schwerste Erdarbeiten verrichten mussten. Die Gesundheit der jungen Krystyna hatte unter den harten Arbeitsbedingungen, der Kälte und der dauerhaften Unterernährung schwer gelitten, sodass sie schwer krank wurde und in der Folge von ihrer Mutter getrennt in das Hauptlager Ravensbrück zurückgeschickt wurde. Durch glückliche Wendungen und die Hilfe von Funktionshäftlingen konnten Mutter und Tochter wieder in Ravensbrück vereint werden, ehe sie beide Ende Februar 1945 mit einem Transport von ca. 300 Frauen nach Ostwestfalen zum Zwecke der Zwangsarbeit geschickt wurden.[49]

Aus dieser Gruppe wurden etwa 100 Frauen an die Porta deportiert und im Gasthof Kohlmeier bei Vennebeck im Wiehengebirge interniert – erst Krystynas Bericht darüber ermöglichte die Identifikation dieser Unterkunft für weibliche Häftlinge an der Porta.[50] Die in Vennebeck internierten Frauen konnten jedoch aufgrund ihrer körperlichen Verfassung nicht mehr zur Zwangsarbeit eingesetzt werden. Acht dieser Frauen starben, darunter auch Krystynas Mutter Henryka, die am 26. März 1945 an völliger Entkräftung ihr Leben verlor. Ein einschneidendes Erlebnis für die junge Krystyna – auch, weil sie ihre Mutter eigenhändig beerdigt hatte.[51]

Nachdem Krystyna mit den restlichen weiblichen Häftlingen durch die US-Armee befreit wurde, durchlief sie mehrere DP-Lager, ehe sie im Herbst 1946 in ihre Heimatstadt Gdynia zurückkehrte. Ihre Kriegsgeschichte und die Erlebnisse während der Gefangenschaft verarbeitete sie, indem sie sich regelmäßig an Zeitzeugengesprächen mit Kindern und Jugendlichen beteiligte.[52]

Ob es mehr weibliche Häftlinge polnischer Herkunft an der Porta gegeben hat, kann aktuell nicht belegt werden. Dennoch kann aufgrund der hohen Anzahl von Polinnen im KZ Ravensbrück und dem vermehrten Einsatz dieser Frauen als Zwangsarbeiterinnen in verschiedenen Rüstungsproduktionen, u. a. auch in Außenlagern, zumindest davon ausgegangen werden, dass es durchaus weitere Polinnen an der Porta gegeben haben könnte.[53] Über die Anzahl kann jedoch nach aktuellem Forschungsstand keine Vermutung abgegeben werden.

 

[47] Strebel, Bernhard: Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes, S. 144.

[48] Vgl. ebd., S. 138.

[49] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Krystyna Zaorska-Burczyk, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=350, zuletzt abgerufen am 18.02.2020.

[50] Nach derzeitigem Forschungsstand wird davon ausgegangen, dass der Gasthof Kohlmeier kein eigenständiges Lager gewesen ist. Über die langfristigen Intentionen der Anmietung des Gasthofs gibt es keine Anhaltspunkte, da dieser schon bald nach der Internierung der weiblichen Häftlinge evakuiert wurde.

[51] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Krystyna Zaorska-Burczyk, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=350, zuletzt abgerufen am 18.02.2020.

[52] Vgl. ebd.

[53] Vgl. Strebel, Bernhard, S. 138 f.; vgl. Pociłowska, Zofia: Brief Nr. I (vermutlich März/April 1943), S. 67 f.

Wiesław Kielar

Am 12. August 1919 in der polnischen Kleinstadt Przeworsk geboren, war Wiesław Kielar 21 Jahre alt, als er aus politischen Gründen von der Gestapo verhaftet wurde. Zusammen mit 727 weiteren Personen war er Teil des zweiten Transports politischer Gefangener aus Polen, die am 14. Juni 1940 in das Konzentrationslager Auschwitz I deportiert wurden. Kielar, der die Nummer 290 zugeteilt bekommen hat, verbrachte fast 5 Jahre in Auschwitz, ehe er 1944 in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt worden ist. In Sachsenhausen wurden Arbeitskommandos für spezialisierte Tätigkeiten in Außenlagern zusammengefasst.[54] Zusammen mit weiteren polnischen Kameraden, die Kielar schon aus dem KZ-Auschwitz kannte, wurden Überlegungen angestellt, welcher Beruf die besseren Bedingungen für die KZ-Häftlinge mit sich bringen würde und somit die Überlebenschancen erhöhen könnte. Zunächst bewarb sich die Gruppe um Kielar für ein Arbeitskommando von Brunnenbohrern – sie vermuteten einen einigermaßen glimpflichen Einsatz auf Landgütern, wo man zusätzliches Essen beschaffen könnte. Doch nachdem ein Ingenieur namens Siemers seine Suche nach Elektrikern verkündete, entschied sich die Gruppe, trotz Unkenntnis in diesem Beruf, kurzerhand um:

„Wir waren zwar genauso gute Elektriker wie Brunnenbohrer, der Instinkt sagte uns aber, daß es besser war, auf dem Gebiet der Elektrizität Fachmann zu sein, besonders weil Ingenieur Siemers uns gegenüber eigentlich freundlich war und uns menschlich behandelte. Aus seinem Verhalten war deutlich zu ersehen, daß er uns für eine konkrete Arbeit uns nicht zur Liquidierung brauchte.“[55]

Mit der Hoffnung auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kam Kielar mit dem Arbeitskommando der Elektriker schließlich an die Porta in das Außenlager in Barkhausen. In der Untertageverlagerung im Jakobsberg war Kielar in verschiedenen Kommandos tätig, unter anderem musste er Philips-Maschinen in das obere Stollensystem verlagern und montieren. Als am 1. April 1945 die Lager an der Porta evakuiert wurden, gelangte Kielar nach mehreren Stationen in das Lager Wöbbelin, wo er mit weiteren Häftlingen von US-amerikanischen Truppen am 2. Mai 1945 befreit wurde. Damit endete für den Polen ein knapp fünfjähriges Kapitel der Gefangenschaft und Zwangsarbeit in gleich drei Lagern. Jahrzehnte später verarbeitete Kielar seine Kriegsgeschichte, indem er seine Eindrücke und Erlebnisse aus der Gefangenschaft in seinen Memoiren unter dem Titel „Anus Mundi“ eindrücklich schildert.[56] Am 1. Juni 1990 starb Kielar im Alter von 71 Jahren.

 

[54] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Wiesław Kielar, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=77, zuletzt abgerufen am 18.02.2020.

[55] Kielar, Wiesław, S. 366.

[56] Vgl. Kielar, Wiesław.

Henryk Stróżyk

Henryk Stróżyk kam am 13. Juli 1912 im polnischen Wreschen zur Welt. Seine Kriegsgeschichte begann in seiner Tätigkeit als Unteroffizier in der polnischen Armee, in deren Einsatz er den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in der Region Przasnysz-Chorzele nahe bei Pultusk hautnah miterlebte. Es folgten Gefangenschaften unter der deutschen und russischen Armee aus denen Stróżyk wiederholt fliehen konnte, ehe er im Oktober 1941 erneut gefangen genommen wurde. In der Gestapoleitstelle in Krakau musste er schwere Folter erleiden und wurde schließlich in das Konzentrationslager nach Auschwitz gebracht.[57] Stróżyks weiterer Weg ähnelte dem von Kielar in vielen Punkten – 1944 kam er in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo auch er sich für ein Arbeitskommando von Facharbeitern in der Elektrik meldete:

„Sie kamen wie die Sklavenhändler, die deutschen Fabrikanten, und suchten Fachmänner. Einer kam aus Porta Westfalica, er hieß König, und suchte Elektriker. Da sagte mir einer [Henryk Lipiński, Ingenieur; Anm. d. Verf.], wenn man dich fragt, sag, daß du Elektriker bist, der auf der Hochschule in Danzig gelernt hat. Als ich zu König kam und er mich nach Berufs- und Schulausbildung fragte, antwortete ich ihm, ich sei Elektriker von der Hochschule Danzig. Da nahm er mich mit.“[58]

Aufgrund der Ähnlichkeiten mit Kielars Kommando (Anwerbung im KZ Sachsenhausen, Arbeitskommando von 60 Elektrikern, die an die Porta versetzt wurden), lässt sich vermuten, dass es sich um das gleiche Arbeitskommando gehandelt haben könnte. Allerdings ist unklar, weshalb Stróżyk den Namen König als anwerbenden Fabrikanten nennt, während Kielar mehrmals von Ingenieur Siemers berichtet, der das Arbeitskommando zusammengestellt und geleitet hat. Ebenfalls wie Kielar, war auch Stróżyk Teil der evakuierten Häftlinge am 1. April 1945, die über mehrere Stationen in das Lager nach Wöbbelin gelangten und dort von US-amerikanischen Truppen befreit wurden. Im Jahre 1995 berichtete Stróżyk über seine Kriegserlebnisse und die mehreren Gefangenschaften in einem Interview mit seinem Enkel Wojciech Stróżyk.[59]

 

[57] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Henryk Stróżyk, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=314, zuletzt abgerufen am 18.02.2020.

[58] Stróżyk, Wojciech, S. 18.

[59] Vgl. Stróżyk, Wojciech.

Kazimierz Kardaszewicz

Kazimierz Kardaszewicz stammte aus Warszawa (Warschau) und war von Beruf Grafiker, ehe seine ganz persönliche Kriegsgeschichte begann. 1943 wurde der damals über 30-jährige wegen Mitarbeit in einer polnischen Widerstandsorganisation durch die Gestapo verhaftet und im August desselben Jahres in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort erhielt er als KZ-Häftling die Nummer 139010 auf den linken Unterarm tätowiert – eine lebenslange Erinnerung an die Zeit der NS-Gefangenschaft. Ebenso wie Kielar und Stróżyk führte auch Kardaszewiczs Weg ihn über das KZ Sachsenhausen in das Außenlager nach Barkhausen an der Porta Westfalica, wo er unter Tage Zwangsarbeit verrichten musste. Ende des Jahres 1971 wandte er sich per Brief mit einem außergewöhnlichen Anliegen an Hermann Frohwitter, den damaligen Bürgermeister von Hausberge: Kardaszewicz wollte an den Ort zurückkehren, an dem er in einem KZ-Außenlager interniert und zur Zwangsarbeit herangezogen wurde.[60]

„Ich erinner mich noch an die schöne Porta Westfalica und möchte es mit den Augen des Touristen sehen“[61], so der Wortlaut des damals 62-Jährigen. Der Gemeinderat lud Kardaszewicz sogleich nach Hausberge ein und nach einem verwaltungspolitischen Hin-und-Her bekam er durch das polnische Innenministerium schließlich eine Reisegenehmigung erteilt. Im Frühjahr 1972 erreichte Kardaszewicz zum zweiten Mal in seinem Leben die Porta Westfalica – dieses Mal jedoch als freiwilliger Besucher. Höhepunkt der Reise war ein Treffen des ehemaligen Zwangsarbeiters mit Marianne Daldrup – der Frau, die ihm damals als junges Mädchen heimlich Essen zugesteckt hatte.[62] Damit schloss sich für Kardaszewicz beinahe 30 Jahre nach seiner Gefangenschaft das Kapitel an der Porta Westfalica.

 

[60] Vgl. Lüdde, Wolfgang.

[61] Kardaszewicz, Kazimierz 1971, zitiert nach: Lüdde, Wolfgang.

[62] Vgl. Lüdde, Wolfgang.

Aufarbeitung der nationalsozialistischen Regionalgeschichte – Entwicklung der städtischen Erinnerungskultur und aktueller Forschungsstand
 

Was bleibt von der Geschichte der Außenlager an der Porta? Zunächst einmal sind einige der historischen Orte bis heute zum Teil erhalten: Im Jakobsberg befinden sich noch immer die ausgebauten Stollen und Überreste der U-Verlagerungen deuten auf die vergangene Kriegsproduktion hin, die einst mühsam von Zwangsarbeitenden aufrecht erhalten werden musste (Bild 8 . , 9 . und 9.1 . ). Der Eingang zur U-Verlagerung, wenn auch heute abgesperrt, um unerlaubtes Betreten zu verhindern, ist immer noch sichtbar (Bild 10 . ) – sogar vom auf der gegenüberliegenden Weserseite in Höhe von 88 Metern gelegenen Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus. Die Verlagerung, die es wiederum unter eben jenem Denkmal gegeben hat, wurde allerdings bereits 1946 von den Alliierten gesprengt. Das Hotel Kaiserhof, seit 1983 mitsamt dem dazugehörigen Gelände unter Denkmalschutz gestellt, besteht zwar bis heute (Bild 11 . , 11.1 . und 11.2 . ), doch den Festsaal, der einst zum KZ-Außenlager umfunktioniert wurde, gibt es nicht mehr und auch das Hotel selbst steht leer. Auch die Gebäude der restlichen Lager an der Porta existieren nicht länger. Dagegen befinden sich trotz vereinzelter Exhumierungen auf einigen lokalen Friedhöfen bis zum heutigen Tag sterbliche Überreste von Zwangsarbeitenden, die an der Porta ihr Leben verloren (Bild 12 . ).

Wie wird also dieser Menschen gedacht, wie werden die historischen Orte genutzt und wie geht die Stadt mit diesem dunklen Kapitel der Lokalgeschichte um?

Um Antworten auf all diese Fragen zu finden, treffe ich mich mit Thomas Lange, Historiker und Geschäftsführer der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V. Auf die Frage nach der Entwicklung der lokalen Erinnerungskultur stellt er direkt fest: „Porta ist sozusagen Paradebeispiel dafür, wie Erinnerung und Aufarbeitung gerade für Außenlager in ganz Deutschland vor sich gegangen ist.“[63] Denn über mehrere Jahrzehnte hinweg gab es in Deutschland kaum eine, größtenteils jedoch gar keine Aufarbeitung der Geschichte von Außenlagern und NS-Zwangsarbeit, ganz zu schweigen von Untertage-Verlagerungen.[64] Auch in den Gemeinden an der Porta wurde die NS-Vergangenheit in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende weitestgehend auf einer juristisch-verwaltungstechnischen Ebene behandelt. Erst in den 1980er Jahren fand im Zuge der Aufarbeitung eine Beschäftigung mit den Außenlagern an der Porta aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive heraus statt. Für Porta Westfalica waren dies Reinhold Blanke-Bohne und Rainer Fröbe, die auf dem Gebiet Pionierarbeit geleistet und einen entscheidenden Anstoß für eine aktive Erinnerungsarbeit in der Stadt gegeben haben.[65] Diese Arbeiten waren es auch, die das Thema für einen größeren Personenkreis öffneten, unter anderem auch für Schulen. Aus der Beschäftigung einer Schülergruppe mit dem Thema entstand Ende der 1980er Jahre eine Übersetzung der Erinnerungen von Pierre Bleton, einem französischen KZ-Häftling, der an der Porta Zwangsarbeit leisten musste.[66] Dieses Schülerprojekt hatte eine ganz entscheidende Auswirkung auf die lokale Erinnerungskultur, denn es hat einen wesentlichen Anstoß für die Errichtung des Mahnmals zur Zwangsarbeit und den Außenlagern an der Porta im Jahre 1992 gegeben. Die auf einem Sandsteinblock befestigte Bronzetafel wurde bewusst von den historischen Orten an der Porta losgelöst und ganz zentral am Grünen Markt im Stadtteil Hausberge aufgestellt, um deren Sichtbarkeit zu gewährleisten (Bild 13 . ).

Die Errichtung des Mahnmals stellte, wie ich es von Thomas Lange erfahre, Anfang der 1990er Jahre eine Zäsur in der sich langsam entwickelnden Erinnerungskultur dar: Die Historiker widmeten sich wieder anderen Projekten und Themen zu, die besagte Schülergruppe wurde älter und verließ zum großen Teil die Kleinstadt und auch von der Verwaltungsseite aus war mit dem Denkmal zumindest etwas getan worden, sodass eine weitere Aufarbeitung der Thematik für mehrere Jahre ins Stocken geriet.

 

[63] Lange, Thomas: Interview vom 18.12.2019, Porta Westfalica.

[64] Vgl. Kubiak, Natalia: Erinnerungskultur im Wandel der Zeit, in: Dies., Polnische Zwangsarbeitende in Witten 1940-1945, in: https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/polnische-zwangsarbeitende-witten-1940-1945?page=3#body-top, zuletzt abgerufen am 16.02.2020.

[65] Vgl. Blanke-Bohne, Reinhold.

[66] Vgl. Bleton, Pierre.

Etwa ab 2005/06 erreichten die Stadt Porta Westfalica schließlich wiederholt Anfragen, in denen sich die Personen darüber erkundigten, wieso die lokale Erinnerungskultur nicht weiter verfolgt würde. Die Stadt reagierte, indem sie 2009 die Gründung des Vereins KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V. beschloss, in der sie auch per Ratsbeschluss Gründungsmitglied ist. Seitdem entwickelte sich die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Lokalgeschichte und die Erinnerungskultur fortwährend weiter: Innerhalb des Vereins bildeten sich Arbeitsgemeinschaften, Stolpersteine wurden verlegt und Informationstafeln auf einem historischen Gedenkpfad aufgestellt.[67] Doch was noch viel bedeutender ist: Der Verein betreibt bis heute aktive Erinnerungsarbeit. Neben regelmäßigen Rundgängen zu den Außenlagern an der Porta Westfalica sowie Führungen durch die ehemalige Untertage-Verlagerung Dachs I (Bild 14 . ), die auf reges Interesse stoßen und immer restlos ausgebucht sind, arbeitet der Verein zudem langfristig daran, in der Stadt eine Gedenkstätte zu eröffnen. Aktuell wird die Forschungsarbeit zu den Außenlagern an der Porta von der LWL-Kulturstiftung für einen Zeitraum von 4 Jahren gefördert. Thomas Lange zeigt sich dankbar – es sei „ein großes Geschenk“[68], da die Finanzierung die Grundlage für die weitere Entwicklung der Vereinsarbeit bildet und die Erstellung einer Ausstellung, einer Online-Dokumentation und der Gedenkstätte möglich macht.

Eine weitere Forschungsarbeit ist auch deswegen so wichtig, weil die Quellengrundlage für die bisherigen Erkenntnisse über die Außenlager an der Porta überwiegend von ehemaligen Häftlingen, deren Berichten und Erinnerungen, stammen.[69] Auf der anderen Seite sind jedoch noch viele Fragen offen. Auch in meiner Recherche bin ich wiederholt auf Aspekte gestoßen, die sich noch nicht klären ließen. Die nicht bestimmbare Anzahl polnischer Zwangsarbeitender sowie die unbekannte Anzahl von Todesopfern insgesamt an der Porta sind nur zwei dieser vielen offenen Fragen.

„Nicht-Wissen-Wollen ist die bedingungslose Kapitulation“[70], so lautet das Zitat von Pierre Bleton und es lässt einen über die Frage nachdenken, welche Bedeutung die erinnerungskulturelle Arbeit auch 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat. Es ist eine der schwierigeren Fragen, die Thomas Lange mir in unserem Interview beantwortet:

„Was er [Pierre Bleton; Anm. d. Verf.] glaube ich damit gemeint hat, ist, dass man sozusagen schon aufgegeben hat, wenn man über bestimmte Sachen einfach nicht spricht, wenn man sich an bestimmte Sachen einfach nicht erinnern will. (…) Ausgrenzung funktioniert zwischen Menschen immer gleich. Ob das jetzt über Juden funktioniert, oder ob das über Muslime funktioniert, oder ob das über Behinderte funktioniert, oder ob das über Homosexuelle funktioniert (…) und dass das nicht wieder passieren darf, weil das nämlich genau in diesen Verhältnissen mündet, die 1933-1945 eben zu dieser Katastrophe geführt haben (…) – das ist so eine Eskalationsstufe, die ich langfristig einfach versuche zu verhindern, indem ich immer wieder darüber spreche, wie solche Mechanismen und wie solche Anknüpfungspunkte funktionieren. Deswegen glaube ich tatsächlich, das Nicht-Wissen-Wollen ist die bedingungslose Kapitulation, also die Kapitulation gegenüber denen, die das halt nicht so sehen, tatsächlich richtig, wichtig und wahr ist und heute auch immer noch wahrscheinlich genauso aktuell wie in den 60er Jahren, als Pierre Bleton das Buch geschrieben hat.“[71]

Gerade aus diesen Gründen ist es besonders wichtig, fundiert darstellen zu können, was passiert ist und vor allem klären zu können, wer, wo, unter welchen Umständen und in welchen Dimensionen Zwangsarbeit leisten musste. Für Thomas Lange ist die Perspektive für den Verein somit ganz klar: „Das heißt für uns ist Erinnerung auf gar keinen Fall nur rückwärts gewandt, sondern immer vorwärts gewandt.“[72]

Insbesondere vor dem Hintergrund des mit der Zeit zunehmenden Verschwindens von Zeitzeugen und der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen ist die weitere Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Aufgabe, die einen wesentlichen Teil dazu beiträgt, damit weder die nationalsozialistischen Verbrechen noch die Schicksale der Zwangsarbeitenden aller Nationen vergessen werden.

 

Natalia Kubiak, März 2020

 

Zum Abschluss gilt ein besonderer Dank Herrn Thomas Lange, Historiker und Geschäftsführer der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e. V., für die Hilfe in allen fachlichen Belangen und die produktive Zusammenarbeit. Des Weiteren danke ich Frau Susanne Sieker und Herrn Jörg Bambach aus dem Stadtarchiv Porta Westfalica sowie Herrn Vinzenz Lübben aus dem Kommunal- und Kreisarchiv Minden für die Unterstützung bei meiner Forschung und die Bereitstellung von Dokumenten.

 

[67] Vgl. KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica: Projekte, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/?page_id=715, zuletzt abgerufen am 18.02.2020.

[68] Lange, Thomas: Interview vom 18.12.2019, Porta Westfalica 2019.

[69] Vgl. Bleton, Pierre: Das Leben ist schön! – Überlebensstrategien eines Häftlings im KZ Porta; vgl. Kielar, Wiesław: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz; vgl. Kieler, Jørgen: Dänischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Ein Zeitzeuge berichtet über die Geschichte der dänischen Widerstandsbewegung 1940–1945.

[70] Vgl. Bleton, Pierre.

[71] Lange, Thomas: Interview vom 18.12.2019, Porta Westfalica 2019.

[72] Lange, Thomas: Interview vom 18.12.2019, Porta Westfalica 2019.

 

Quellen- und Literaturverzeichnis
 

Arolsen Archives: Teilbestand 1.1.5.3, Individuelle Unterlagen Männer Buchenwald, 01010503 oS, ITS Digital Archive.

Blanke-Bohne, Reinhold: Die unterirdische Verlagerung von Rüstungsbetrieben und die Außenlager des KZ Neuengamme in Porta-Westfalica bei Minden. Unveröffentlichte Diplomarbeit am Studiengang Sozialpädagogik der Universität Bremen, Bremen 1984.

Bleton, Pierre: Das Leben ist schön!, in: von Bernstorff, Wiebke u.a. (Hrsg.), Pierre Bleton - Das Leben ist schön! - Überlebensstrategien eines Häftlings im KZ Porta, Bielefeld 1987.

Combined Intelligence Objectives Subcommittee (CIOS): Report XXXIII. 38 Underground Factories in Germany, S. 60.

Fröbe, Rainer: „Vernichtung durch Arbeit“? KZ-Häftlinge in Rüstungsbetrieben an der Porta Westfalica in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, in: Meynert, Joachim/Klönne, Arno (Hrsg.), Verdrängte Geschichte. Verfolgung und Vernichtung in Ostwestfalen 1933-1945, Bielefeld 1986, S. 221–297.

Genest, Andrea (Hrsg.): Damit die Welt es erfährt… Illegale Dokumente polnischer Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück. Mit einem Vorwort von Wanda Kiedrzyńska. Aus dem Polnischen übersetzt von Inge Gerlinghoff und Barbara Lubos-Kroll, Berlin 2015.

Göring, Hermann: Geheime Anordnung zum Jägerstab vom 4. März 1944, in: Eichholtz, Dietrich / Schumann, Wolfgang (Hrsg.), Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Weltkrieges, Berlin 1969, S. 445.

Herbert, Ulrich: Zwangsarbeit im 20. Jahrhundert. Begriffe, Entwicklung, Definitionen, in: Pohl, Dieter/Sebta, Tanja (Hrsg.), Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung. Arbeit. Folgen, Berlin 2013, S. 23–36.

Kielar, Wiesław: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz, 15. Aufl., Frankfurt am Main 2016.

Kieler, Jørgen, Dänischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Ein Zeitzeuge berichtet über die Geschichte der dänischen Widerstandsbewegung 1940–1945, Hannover 2011.

Lange, Thomas: Interview vom 18.12.2019, Porta Westfalica 2019.

Lüdde, Wolfgang: Fahrkarte in die Vergangenheit. Die Geschichte eines ehemaligen Zwangsarbeiters, der noch einmal die Porta Westfalica wiedersehen wollte (Stern Nr. 40, Artikel vom 24.04.1972), in: Stadtarchiv Porta Westfalica.

Schulte, Jan Erik: Untertage- und Rüstungsverlagerungen: Die Neuengamme-Außenlager in Lengerich und an der Porta Westfalica, in: Ders. (Hrsg.), Konzentrationslager im Rheinland und in Westfalen 1933-1945, Paderborn 2005, S. 131–146.

Speer, Albert: Aus der Anordnung Albert Speers vom 1. März 1944 über die Errichtung des Jägerstabes, in: Eichholtz, Dietrich / Schumann, Wolfgang (Hrsg.), Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Weltkrieges, Berlin 1969, S. 443-445.

Sterbebuch des Standesamtes Barkhausen a.d. Porta 1943/44, in: Kommunalarchiv Minden, PStR2, C11.

Strebel, Bernhard: Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes, Paderborn 2003.

Stróżyk, Wojciech: Eine Geschichte zwischen 1939–1945. Ein Interview mit meinem Großvater Henryk Stróżyk, Danzig 1995, in: https://www.gedenkstaette-porta.de/wp-content/uploads/2014/09/Henryk-Strozyk-1939-1945-deutsch.pdf

 

Weiterführende Literatur, Presseartikel und Internetquellen
 

Kubiak, Natalia: Polnische Zwangsarbeitende in Witten 1940–1945, in: https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/polnische-zwangsarbeitende-witten-1940-1945?page=3#body-top, zuletzt abgerufen am 16.02.2020.

KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica, in: https://www.gedenkstaette-porta.de.

Lieske, Thomas (Neue Westfälische): KZ-Schreckensort im Jakobsberg in Porta Westfalica soll Gedenkstätte werden, in: https://www.nw.de/lokal/kreis_minden_luebbecke/porta_westfalica/22511871_Der-KZ-Schreckensort-im-Jakobsberg-in-Porta-Westfalica.html, zuletzt abgerufen am 09.02.2020.

LWL: „Mit Engagement der Vergangenheit begegnen“, in: https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=48451, zuletzt abgerufen am 09.02.2020.

Mindener Tageblatt: Rundgang zu den KZ-Außenlagern, in: https://www.mt.de/lokales/porta_westfalica/22661062_Rundgang-zu-den-KZ-Aussenlagern.html, zuletzt abgerufen am 09.02.2020.