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Władysław Szpilman

Porträt Władysława Szpilmana

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  • Sitz des Polnischen Rundfunks vor dem Krieg - Sitz des Polnischen Rundfunks (Polskie Radio) in der Zielna-Straße Nr. 25.
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  • Władysław Szpilman, 1946 - Władysław Szpilman im Studio des Polnischen Rundfunks (Polskie Radio), 1946.
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  • Konzert zum Gedenken an Władysław Szpilman - Szpilmans Sohn Andrzej als Redner auf der Bühne, Konzert zum Gedenken an Władysław Szpilman, Baltische Philharmonie (Polska Filharmonia Bałtycka), Danzig 2010.
  • Gedenktafel am Elternhaus - Gedenktafel an Władysław Szpilmans Elternhaus in Sosnowiec.
  • Wandgemälde am Elternhaus - Wandgemälde an Władysław Szpilmans Elternhaus in Sosnowiec.
  • Foto von Władysław Szpilman im Museum des Warschauer Aufstandes - Foto von Władysław Szpilman im Museum des Warschauer Aufstandes (Muzeum Powstania Warszawskiego).
  • Jorinde Krejci, Tochter von Wilm Hosenfeld - Jorinde Krejci, Tochter von Wilm Hosenfeld in der Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem 2017.
Porträt Władysława Szpilmana
Porträt Władysława Szpilmana

Die Szene, mit der Roman Polański sein Meisterwerk „Der Pianist“ beginnt, ist eine der bewegendsten des Films. Die Titelfigur, gespielt von Adrien Brody, sitzt im Studio des damaligen polnischen Rundfunksenders „Warszawa II“ (nach dem Krieg das landesweite zweite Programm von Polskie Radio) am Flügel und spielt das „Nocturne cis-Moll“ von Fryderyk Chopin. Man schreibt den 23. September 1939, drei Wochen nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen. Während das Stück über den Äther geht, wird in Warschau heftig gekämpft. Die Stadt wird von den Deutschen beschossen. Bomben zerstören die umliegenden Gebäude. Im Studio fällt der Putz von der Decke. Draußen sind immer wieder Detonationen zu hören. Explosionen lassen die Fensterscheiben bersten.

„Ich weiß selber nicht mehr, wie ich zum Rundfunk gelangt bin. Ich sprang von Hauseingang zu Hauseingang, versteckte mich und lief wieder auf die Straße hinaus, wenn ich glaubte, in unmittelbarer Nähe kein Pfeifen von Geschossen zu hören. In der Tür zur Rundfunkanstalt begegnete ich Präsident Starzyński. Er war ungepflegt, unrasiert; in seinen Augen und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck tödlicher Ermattung. Seit Tagen hat er nicht geschlafen. Er war die Seele der Verteidigung, der eigentliche Held der Stadt. Auf seinen Schultern ruhte die ganze Verantwortung für das Schicksal Warschaus“, erinnert sich Władysław Szpilman in seiner Autobiografie an die Verteidigung der Stadt im September 1939.[1] Jahre später griff der Pianist in einem Interview für den Polnischen Rundfunk die Geschehnisse dieses Tages noch einmal auf und sagte: „Die Artillerie feuerte stark und visierte, wie mir schien, mit voller Absicht das Funkhaus an. Ich erschrak. Olgierd Straszyński, der die Mikrofone im Studio richtete, wollte den Flügel näher am Fenster platzieren. Als ich ihn bat, ihn mehr in den Raum zu stellen, sagte er, ‚was macht das schon für einen Unterschied, Herr Władysław. Wenn Sie gläubig sind, beten Sie, denn wenn hier ein Schrapnell detoniert, bleibt von uns sowieso nichts mehr übrig.‘ Also spielte ich, Chopin, eine halbe Stunde lang.“[2]

Es war das letzte Live-Konzert des Radios im besetzten Warschau. Noch am selben Tag zerbombten die Nazis kurz nach 15 Uhr das Elektrizitätswerk im Stadtteil Powiśle, das die Rundfunkanstalt mit Strom versorgte. Der Sender, der in den letzten Wochen vor allem die Widerstandskraft der Warschauer:innen aufrecht erhalten hatte, verstummte. Fünf Tage später, am 28. September 1939, ergab sich die Stadt.

 

Die Macht der Musik
 

Die Filmszene aus dem Aufnahmestudio hat Symbolcharakter, indem sie der zerstörerischen Kraft des Krieges die Macht der Musik gegenübergestellt, die alles übersteht. Und so war es auch die Musik, die Szpilman die Hölle des Krieges aushalten ließ und die ihn im wahrsten Sinne des Wortes gerettet hat. Als ihn dann sein Sohn Andrzej Jahre später fragte, was ihn in den Trümmern Warschaus am Leben hielt, gab es für Władysław Szpilman nur eine Antwort und die lautete: „Musik. Nur Musik, und zwar in jeder Hinsicht. Nicht nur als Flucht, sondern als Ort, an dem man sich mit seinen Gedanken verstecken konnte.“[3]

Musik begleitete Władysław Szpilman seit seiner Kindheit. Er kam am 5. Dezember 1911 in einer jüdischen Familie in Sosnowiec als ältestes von vier Kindern der Eheleute Samuel und Estera, geb. Rappaport, zur Welt. Der Vater war Geiger im Opernorchester des Polnischen Theaters in Kattowitz (Teatr Polski w Katowicach), die Mutter Pianistin am Stadttheater Sosnowiec (Teatr Miejski w Sosnowcu). Da sie auch Klavierlehrerin war, erhielt Władysław seine ersten Unterweisungen von ihr. Nach der Volksschule besuchte Szpilman die Handelsschule für Knaben direkt im Nachbarhaus der Familie in Sosnowiec, schloss sie aber nicht ab. Stattdessen ging er nach Warschau, um an der Chopin-Musikhochschule (Wyższa Szkoła Muzyczna im. Fryderyka Chopina) bei Józef Śmidowicz Klavier sowie bei Michał Biernacki Musiktheorie und Harmonielehre zu studieren.[4]

 

[1] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. Aus dem Polnischen von Karin Wolff. Vorwort von Andrzej Szpilman. Anhang von Wilm Hosenfeld. Mit einem Essay von Wolf Biermann, List Taschenbuch, Ullstein Buchverlag, 7. Auflage, Berlin 2020, Seiten 30 f.

[2] Ostatni dzień nadawania Polskiego Radia we wrześniu 1939. Chopin wśród huku bombardowania [Der letzte Sendetag des Polnischen Rundfunks im September 1939. Chopin mitten im Getöse der Bomben], in: Polskie Radio. Historia, letzte Aktualisierung 23.09.2022, https://www.polskieradio.pl/39/156/Artykul/2372032,Chopin-wsrod-huku-bombardowania-Ostatni-dzien-nadawania-Polskiego-Radia-we-wrzesniu-1939 (zuletzt aufgerufen am 03.10.2022).

[3] Marcin Zasada im Gespräch mit Andrzej Szpilman: O życiu wielkiego pianisty Władysława Szpilmana opowiada jego syn (część 1) [Über das Leben des großen Pianisten Władysław Szpilman erzählt sein Sohn (Teil 1)], in: Dziennik Zachodni, 23.12.2016, https://plus.dziennikzachodni.pl/o-zyciu-wielkiego-pianisty-wladyslawa-szpilmana-opowiada-jego-syn-andrzej-szpilman-czesc-i/ar/11605446 (zuletzt aufgerufen am 16.09.2020).

[4] Kosińska, Małgorzata: Władysław Szpilman, in: Culture.pl, Oktober 2006, https://culture.pl/pl/tworca/wladyslaw-szpilman (zuletzt aufgerufen am 16.09.2020).

Die Berliner Jahre
 

Den Warschauer Professoren fiel das Talent des jungen Pianisten rasch auf. Ebenso erging es ihm an der Berliner Akademie der Künste, an der sich der Zwanzigjährige anschließend mit einem Stipendium eingeschrieben hat. Hier setzte er seine Klavierausbildung bei den Professoren Artur Schnabel und Leonid Kreutzer fort und studierte Komposition bei Franz Schreker. Dieser Aufenthalt in Berlin spielt in Szpilmans späterem Berufsleben eine wichtige Rolle. Anfang der Dreißiger Jahre genoss die Kultur eine Ausnahmestellung in der pulsierenden Metropole. In den Clubs regierte der Jazz und die damals populären Revuen zogen auch auswärtige Scharen von Zuschauern an. „Berlin bestätigte den Gast aus Polen in seiner Überzeugung, die Stadt mit ihrem Rhythmus, dem Getrappel der Passanten und mit dem Gehupe der Autos und Busse müsse das Hintergrundgeräusch für Unterhaltungsmusik sein. Außerdem sollten die Themen solcher Lieder nicht mehr verwelkte Blumen auf den Gräbern der Liebe sein, sondern der Sport, die neuen Gebäude und die Veränderungen in der Struktur der Stadt.“[5] In Berlin entstanden Szpilmans erste symphonische Werke sowie die Klaviersuite „Życie maszyn“ („Das Leben der Maschinen“).

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und der aufkommende Antisemitismus führten dazu, dass Władysław Szpilman 1933 beschloss, Berlin zu verlassen und nach Warschau zurückzukehren, um seine Ausbildung bei dem legendären Pianisten Aleksander Michałowski fortzusetzen. Bald darauf fand er sich mit dem berühmten Geiger Bronisław Gimpel zu einem Duo zusammen, das seinerzeit sehr beliebt war. Zwei Jahre später fing Szpilman dann an, Unterhaltungsmusik zu komponieren. Er debütierte mit dem Lied „Jeśli kochasz się w dziewczynie“ („Wenn Du Ein Mädchen Liebst“) mit Text von Emanuel Schlechter. Mieczysław Fogg hat den Titel im Comedy-Musical „Kot w worku“ („Die Katze im Sack“) im Warschauer Kabarett Cyrulik Warszawski interpretiert.

1935 wurde Władysław Szpilman vom Polnischen Rundfunk (Polskie Radio) engagiert. Damit ging ein lang gehegter Traum des Pianisten in Erfüllung: „Meine Faszination für das Radio begann 1927, als ich mir als armer Student einen schwachen Kristallempfänger kaufte. Ich war überglücklich, wenn es mir gelang, meinen Kopfhörern etwas zu erlauschen. Im Gebäude in der Zielna-Straße 25, in dem der Polnische Rundfunk seit 1929 residierte, gab es zwei Studios. In einem stand ein Steinway-Flügel. Dort spielte ich. Ich kam täglich zur Arbeit und machte alles was zu machen war. Vor allem sorgte ich für Klavierbegleitungen.“[6] Daneben widmete sich Szpilman der Unterhaltung, indem er unter anderem Konzerte mit solchen Größen wie dem bereits erwähnten Bronisław Gimpel, mit Henryk Szeryng und Roman Totenberg gab. Seine Karriere als Komponist entwickelte sich ebenfalls gut; aus seiner Feder stammen viele bekannte Titel der Vorkriegszeit, darunter „Nie ma szczęścia bez miłości“ („Es gibt kein Glück ohne die Liebe“) und „Straciłem twe serce“ („Ich habe dein Herz verspielt“). Außerdem schrieb er Filmmusik, etwa 1938 zu dem Melodram nach dem Roman „Wrzos“ („Die Heide“) von Maria Rodziewiczówna sowie 1939 zu „Doktor Murek“ von Tadeusz Dołęga-Mostowicz.

 

Die Anfänge der Katastrophe
 

Der Ausbruch des Kriegs stoppte diese aufstrebende Karriere. Unterschriebene Verträge, angefangene Kompositionen und schon vereinbarte Konzerttermine spielten plötzlich keine Rolle mehr. Mit dem 23. September 1939, an dem die denkwürdige Sendung als letztes Live-Programm im besetzten Warschau ausgestrahlt wurde, war es mit Szpilmans Anstellung vorbei. An den Folgetagen, vor allem am 25. und 26. September, eskalierte die deutsche Gewalt. Szpilman verbrachte diese Zeit in einer Wohnung von Freunden, die ihn mit seinen Eltern und Geschwistern aufgenommen hatten. Am 28. September unterzeichneten die Generäle Tadeusz Kutrzeba und Johannes Blaskowitz um Viertel nach eins im Skoda-Werk im Stadtteil Rakowiec die Kapitulation der Hauptstadt. Szpilman wagte sich erst zwei Tage später auf die Straßen. Die völlig zerstörte Stadt bot ein apokalyptisches Bild. „Niedergeschmettert kam ich heim: Die Stadt - so schien es mir, dem Unerfahrenen, damals - gab es nicht mehr. Nowy Świat zwängte sich als schmaler Pfad zwischen Trümmerhaufen hindurch, an jeder Ecke musste man einen Umweg um Barrikaden aus umgestürzten Straßenbahnen und herausgerissenen Gehwegplatten machen. Auf den Straßen häuften sich Leichen im Zustand der Verwesung. Die von der Belagerung ausgehungerte Bevölkerung stürzte sich auf die herumliegenden Pferdekadaver. Die Ruinen vieler Häuser schwelten noch“, erinnert sich Szpilman in seinem Buch.[7]

In den zweisprachigen Bekanntmachungen, die an den Mauern der Stadt ausgehängt worden waren, sicherten die Deutschen der Warschauer Zivilbevölkerung Arbeit und ein menschenwürdiges Leben zu, den Juden wurden alle Rechte und die Unantastbarkeit ihres Vermögens garantierten. Doch es stellte sich schnell heraus, dass es sich dabei nur um leere Versprechungen und den zynischen Versuch gehandelt hatte, das Vertrauen der Warschauer:innen zu gewinnen. Die Zustände in der Stadt verschlechterten sich von Tag zu Tag. Die Repressionen, denen die jüdische Gemeinschaft ausgesetzt war, die immerhin ein Drittel der Bewohner ausmachte, nahmen ständig zu.[8] Zunächst wurden die jüdischen Bankkonten konfisziert und Juden mit einem Arbeitsverbot belegt. Anschließend wurden sie gezwungen, Armbinden mit dem Davidstern zu tragen. Ihre Geschäfte und Betriebe wurden ebenfalls stigmatisiert. Anfang 1940 wurden die Synagogen geschlossen und kurz darauf wurde das von Juden bewohnte Viertel wegen angeblicher Seuchengefahr mit Stacheldraht eingezäunt. In dieser Zeit erschien in der Warschauer Zeitung, die von den Deutschen in polnischer Sprache herausgegeben wurde, ein Propaganda-Artikel, den Władysław Szpilman in seinen Warschauer Memoiren mit diesen Worten zitiert: „Die Juden sind nicht nur Schädlinge der Gesellschaft, sondern auch Seuchenüberträger. Sie werden nicht in ein Getto eingeschlossen, nicht einmal das Wort »Getto« sollte benutzt werden. Die Deutschen sind ein zu kulturvolles und großmütiges Volk, um selbst Schmarotzer wie die Juden in Gettos zu sperren [...] Vielmehr wird ein gesondertes jüdisches Stadtviertel entstehen, in dem nur Juden wohnen und sich völliger Freiheit erfreuen werden und wo sie ihre rassisch bedingten Bräuche und ihre Kultur pflegen können.“[9]

 

[5] Groński, Ryszard Marek: Pianista Warszawy [Der Stadt-Pianist von Warschau], in: Polityka, Ausgabe 49/2011, 30.11.2011, Seite 88.

[6] Radiosendung „Ludzie Polskiego Radia“ [„Die Menschen des Polnischen Radios“], Anna Skulska im Gespräch mit Władysław Szpilman, https://www.polskieradio.pl/39/156/Artykul/2372032,Chopin-wsrod-huku-bombardowania-Ostatni-dzien-nadawania-Polskiego-Radia-we-wrzesniu-1939 (zuletzt aufgerufen am 16.09.2020).

[7] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 33.

[8] Im Oktober 1939 lebten in Warschau fast 360.000 Juden; nach Ruta Sakowska: Ludzie z dzielnicy zamkniętej [Menschen aus dem abgeschlossenen Stadtviertel], PWN, Warszawa, 1993, Seite 29.

[9] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 51.

Das Leben im Getto
 

Das „gesonderte Stadtviertel“, also das Warschauer Getto, wurde am 2. Oktober 1940 errichtet. Die Śliska-Straße mit dem Haus, in dem die Szpilmans wohnten, lag im Zentrum von Warschau im Süden des Gettos.[10] Zunächst tröstete sich die Familie noch damit, dass sie keine neue Bleibe brauchte. Als dann aber Tag für Tag zig tausend Juden aus anderen Teilen der Stad gezwungen wurden, in das Getto umzusiedeln, wurde Wohnraum so knapp, dass viele in Kellern und Verschlägen vegetieren mussten, obwohl sie horrende Preise dafür zahlten. Insgesamt wurden in dem „geschlossenen Stadtteil“ an die 450.000 Menschen zusammengepfercht. Das Warschauer Getto war das größte in Europa. Mitte November 1940 trennten die Deutschen das Viertel ganz von der umliegenden Stadt ab und verboten den Juden, es zu verlassen. Später wurde das Areal weiter verkleinert.

Damit kamen auf die Szpilmans und alle anderen im Getto eingeschlossenen Juden harte Zeiten zu. Noch bevor das Jahr 1940 zu Ende ging, verkaufte die Familie alles, was gewissen Wert besaß, auch ihr Klavier. Daraufhin beschloss der dreißigjährige Władysław, den Lebensunterhalt in den Getto-Cafés zu verdienen. Seine Laufbahn als „Kriegs-Pianist“ begann in „Nowoczesna“ in der Nowolipki-Straße 10, wo Artur Gold mit seinem Orchester spielte, während sich reiche Spekulanten die Klinke in die Hand gaben und Edelprostituierte an üppig gedeckten Tischen saßen. Die vor der Straßenfront des Cafés herumlungernden Bettler wurden vertrieben. In dem Etablissement hat Szpilman zwei Illusionen verloren – die Vorstellung von allgemein herrschender Solidarität sowie seine hohe Wertschätzung jüdischer Musikalität. Er schrieb darüber: „Meiner Musik schenkte in ‚Nowoczesna‘ niemand Beachtung. Je lauter ich spielte, um so lauter sprachen die Schmauser und Zecher, und Tag für Tag spielten sich dieselben Ringkämpfe ab zwischen mir und dem Publikum, ein Wettstreit darum, wer es schaffte, wen zu übertäuben, und einmal geschah es ganz einfach, daß einer der Gäste mich durch den Kellner bitten ließ, kurz das Spiel zu unterbrechen, da es ihm unmöglich machte, die Klangreinheit der goldenen Zwanzigdollarmünzen zu prüfen, die er gerade von einem Tischnachbarn erwarb; nunmehr schlug er die Goldstücke sacht gegen die Marmorplatte, hob sie auf der Fingerspitze ans Ohr und lauschte eifrig auf ihren Klang – die einzige Musik, die ihn zu interessieren vermochte.“[11]

Bald darauf verließ Szpilman das Luxuslokal und wechselte in das Café in der Sienna-Straße 16, in dem sich die jüdische Intelligenz traf, die Musik hören wollte. Hier lernte der Pianist unter anderem Janusz Korczak kennen, den Arzt und Pädagogen, der im Getto Waisenhäuser für jüdische Kinder eingerichtet hat. Die nächste Wirkungsstätte des Musikers wurde das „Sztuka“ in der Leszno-Straße 2, ein Café mit hohen künstlerischen Ambitionen, in dem Szpilmans Darbietungen sehr willkommen waren. Hier verdiente der Pianist gut genug, um seine sechsköpfige Familie durchzubringen. Aus dieser Zeit stammen auch Erinnerungen an die abendlichen Heimwege, die ihm sehr zugesetzt haben. Es war Winter 1941/42 und im Getto brach Typhus aus. An der Seuche starben Monat für Monat fünftausend Menschen, hinzu kamen Tote, die verhungert waren oder anderen Krankheiten erlagen. Da man mit der Bestattung nicht nachkam, blieben viele Leichen oft tagelang ohne Kleidung (die war ja im Winter besonders wertvoll) in Papier gewickelt in den Straßen liegen.

Im Frühjahr und im Frühsommer 1942 verschärfte sich die Lage im Getto. Es kam zu Razzien und die Nazis gingen immer brutaler vor. In der von den katastrophalen Lebensbedingungen völlig ausgemergelten jüdischen Gemeinschaft mehrten sich die Ängste und Zweifel, ob sich ihr Schicksal jemals ändern würde. Trotz dieser Umstände aber versuchte Szpilman, weiter seinem Broterwerb nachzugehen. Er spielte in den Cafés und bereitete sogar mit dem Pianisten Andrzej Goldfeder ein Konzert vor, das am 25. Juli 1942 stattfinden sollte. Was er nicht ahnte, war, dass er am 19. Juli letztmals im Getto spielen würde, so dass es nicht mehr zu diesem Konzert kommen konnte.

Am 22. Juli 1942 begann eine groß angelegte Räumungsaktion. Dem Getto wurden alle Lebensmittellieferungen gekappt. Fortan herrschte blanke Hungersnot. Fuhrwerke mit Menschen, die das Getto verlassen mussten, zogen zu einem Umschlagplatz. Wie sich später dann herausstellte, waren dies Ausgesiedelte auf Nimmerwiedersehen, da die Menschen entgegen den Verheißungen der Deutschen nicht zur Arbeit in den Osten verschickt wurden, sondern ins Vernichtungslager Treblinka. Władysław Szpilman nutzte seinen Status dazu, um für sich und seine Familie Arbeitspapiere zu besorgen, die ihre Deportation verhindern sollten. Doch bald darauf verloren auch solche Nachweise sowohl bei den Deutschen als auch bei den Litauern und Ukrainern, die ihnen bisher geholfen hatten, jede Bedeutung. Durch Władysławs Kontakte aber fand die Familie doch noch eine Beschäftigung beim Sortieren von Möbeln und anderen Gegenständen, die von den deportierten Juden zurückgelassen wurden. Szpilman schreibt: „Meine erste Arbeit bei den Deutschen. Von morgens bis abends schleppte ich Möbel, Spiegel, Teppiche, Leib- und Bettwäsche oder auch Kleidungsstücke - Sachen, die noch vor wenigen Tagen jemandem gehört und das individuelle Gesicht eines Interieurs ausgemacht hatten [...] Jeder Augenblick der Versonnenheit oder auch nur Aufmerksamkeit brachte einen schmerzhaften Schlag oder Tritt ein, mit dem Gummiknüppel oder dem eisenbeschlagenen Stiefel eines Gendarmen, und er konnte das Leben kosten, wie jene junge Leute, die man auf der Straße erschoß, weil sie einen Salonspiegel fallen gelassen und zerschlagen hatten.“[12] Eines Tages wurde der Musiker in seiner Arbeitszeit Zeuge des Abmarsches der Kinder aus dem von Janusz Korczak geleiteten Waisenhaus. Kurz darauf wurden Korczak und seine Schützlinge im Lager Treblinka umgebracht.

 

[10] An der Stelle, an der früher das Wohnhaus der Szpilmans stand, befindet sich heute in der Nähe des Palastes der Kultur und Wissenschaft eine kleine Parkanlage – Anm. der Autorin.

[11] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 71.

[12] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 98 f.

Die Vernichtung der Familie
 

Am 16. August 1942 kam die Familie Szpilman an die Reihe. Die Deutschen stuften nur Henryk und Halina, die beiden jüngsten Geschwister von Władysław, als arbeitsfähig ein. Die Eltern, Schwester Regina und er selbst sollten am Umschlagplatz erscheinen. Henryk und Halina, die jedoch unbedingt bei ihrer Familie bleiben wollten, stießen freiwillig zu ihnen dazu. Kurz vor dem Beladen der Waggons wurde der Pianist von einem Angehörigen des jüdischen Ordnungsdienstes erkannt und aus der Menge herausgezogen. Der konsternierte Szpilman wollte zu seiner Familie zurück, konnte jedoch die Absperrung der Polizei nicht durchbrechen. Seine Verwandten sieht er zwischen den Köpfen der Schergen zum letzten Mal.

Bis Ende September 1942 haben die Nazis über 300.000 Juden nach Treblinka deportiert. Das waren drei Viertel der Bewohner des Gettos. Fast alle wurden direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern vernichtet. Die im Getto Verbliebenen mussten ständig beweisen, dass sie arbeitsfähig waren. Szpilman ging zunächst einer Beschäftigung nach, die er durch seine Bekannten erhielt und die darin bestand, Mauern in dem Bereich des Gettos abzureißen, der nach dem Abtransport seiner Bewohner in den „arischen“ Teil der Stadt eingegliedert werden sollte. Durch diese Tätigkeit konnte sich Szpilman nach zwei Jahren erstmals wieder freier bewegen. Nach dieser Maßnahme wurde der Pianist bei anderen körperlichen Arbeiten eingesetzt, etwa beim Bau des Palais für den SS-Hauptsturmführer in der Ujazdowskie-Allee, beim Entladen der Kohlelieferungen und bei der Vorbereitung von Wohnungen für SS-Offiziere. In dieser Zeit mehren sich im Getto die Gerüchte über einen Aufstand. Insgeheim wird Munition aus dem „arischen“ Teil Warschaus zusammengetragen. Szpilman beschließt, aus dem Getto herauszukommen. Sein Freund, der Schauspieler Andrzej Bogucki, und dessen Ehefrau helfen ihm, indem sie ihn in einem kleinen Maleratelier in der Noakowskiego-Straße 10 verstecken. Doch ein längerer Aufenthalt an einem Ort ist für Juden sehr gefährlich, da sie allzu leicht das Interesse profitgieriger Spitzel beziehungsweise sogenannter „Schmalzowniki“ erwecken können. Deshalb wechselt Szpilman sein Versteck manchmal alle paar Tage. In einer der Bleiben erfährt er vom Ausbruch des Aufstands im Warschauer Getto. Er begann am 19. April 1943, dem Vortag des jüdischen Pessachfestes, nachdem Heinrich Himmler die endgültige Auflösung des Gettos befohlen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich dort nur noch 50.000 bis 70.000 von der fast einer halben Million Juden auf, die hier einmal angetroffen wurden.[13] Die Deutschen waren den vollkommen entkräfteten Menschen jedoch zahlen- und waffenmäßig so sehr überlegen, dass der Aufstand niedergeschlagen und am 16. Mai 1943 beendet wurde. An diesem Tag wurde das Getto aufgelöst und das Viertel dem Erdboden gleich gemacht.

 

Ein Leben im Versteck
 

Zu dieser Zeit hauste Szpilman in der verlassenen Junggesellenwohnung des Dirigenten Czesław Lewicki in der Puławska-Straße 83. Er konnte das Versteck weder verlassen noch besaß er Nahrungsvorräte. Sporadisch kam jemand aus der Untergrundorganisation vorbei, um den Musiker mit kärglichen Essensrationen zu versorgen, doch irgendwann erschien niemand mehr. Am 12. August 1943 wurde Szpilman schließlich von Nachbarn entdeckt, die ihn an die Deutschen verraten wollten. Der Musiker konnte jedoch rechtzeitig fliehen, kam kurz bei einem Freund unter und suchte panikartig nach einem neuen Unterschlupf: „Alle Bemühungen um ein neues Versteck für mich liefen unterdessen ins Leere: Von allen Seiten gingen Absagen ein. Die Menschen hatten Angst, einen Juden aufzunehmen, dafür drohte schließlich einzig und allein die Todesstrafe.“[14] Schließlich zog Szpilman, erneut mit Hilfe von Bekannten, in ein Mietshaus in der Niepodległości-Allee. Dort wurde er am 1. August 1944 vom Ausbruch des Warschauer Aufstands überrascht. Einige Tage später wurde das Haus, in dem er sich versteckte, von den Deutschen umstellt und in Brand gesetzt. Szpilman konnte sich dadurch retten, dass er im Gegensatz zu den anderen Hausbewohnern nicht in den Keller stieg, sondern in einem der oberen Stockwerke blieb, die dem Brand trotzten. Der Aufstand wurde am 2. Oktober niedergeschlagen, wobei er nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 150.000 und 200.000 Menschen das Leben gekostet hat. In den folgenden Wochen irrte Szpilman in dem verlassenen Quartier umher und wurde aus dem Verborgenen Zeuge des Abtransports der restlichen Zivilbevölkerung der Stadt. Warschau blieb verwaist zurück. Die Bebauung wurde nach und nach von den deutschen Besatzern gesprengt.

 

[13] 77 lat temu wybuchło Powstanie w getcie warszawskim [Vor 77 Jahren brach der Aufstand im Warschauer Getto aus], in: Dzieje.pl, https://dzieje.pl/aktualnosci/77-lat-temu-wybuchlo-powstanie-w-getcie-warszawskim (zuletzt aufgerufen am 17.09.2020).

[14] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 148.

Die wundersame Rettung
 

Mitte November 1944 gab es dann eine Zusammenkunft, die nicht nur Szpilmans Leben rettete. Sie ging dank seiner Memoiren und vor allem durch den Film von Roman Polański auch in die Geschichte ein. Als Szpilman eines Tages eine verlassene Wohnung nach Essbarem durchstöberte, wurde er dabei von einem Wehrmachtsoffizier ertappt. Dieser entschied sich, ihn nicht auf der Stelle zu töten und als er von dem völlig entkräfteten Mann erfuhr, er sei Pianist, befahl er ihm, etwas auf dem noch vorhandenen Flügel zu spielen. „Ich spielte Chopins Nocturne cis-Moll. Der gläserne, klirrende Ton, den die verstimmten Seiten hervorbrachten, hallte in der leeren Wohnung und im Treppenhaus wider, flog auf die andere Straßenseite durch die Ruinen der Villa und kehrte als gedämpftes, wehmütiges Echo zurück. Als ich geendet hatte, schien die Stille noch dumpfer und gespenstischer.“[15]

Dieser deutsche Offizier versorgte Szpilman in den folgenden Wochen in seinem Versteck auf dem Dachboden der Villa mit Lebensmitteln, die er in tagesaktuelle Zeitungen eingewickelt überbrachte. So erfuhr der Pianist von Deutschlands zunehmend heikler Lage und von der aus dem Osten anrückenden Roten Armee. Die beiden Männer sahen sich das letzte Mal am 12. Dezember, als die Russen bereits kurz vor Warschau standen, woraufhin der deutsche Offizier und seine Einheit aus der polnischen Hauptstadt abgezogen sind. Szpilman blieb daraufhin bis zur Befreiung Warschaus am 17. Januar 1945 in seinem Unterschlupf auf dem Speicher. Das Ende des Kriegs und die zurückgewonnene Freiheit markierten unter diesen Bedingungen weniger einen nächsten Lebensabschnitt als vielmehr den Beginn eines neuen Lebens: „Von morgen an mußte ich ein neues Leben beginnen. Aber wie, wenn hinter einem nur der Tod lag? Welche Lebenskräfte konnte man aus dem Tod schöpfen?“, fragte sich Szpilman, während er durch die Straßen der verwüsteten Stadt zog.[16]

Viele Jahre wusste der Musiker nicht, wer dieser deutsche Offizier war, der ihn am Leben ließ und ihm half, die letzten Wochen im besetzten Warschau zu überstehen. In der Erstausgabe von Szpilmans Erinnerungen an die Kriegszeit, die 1946 unter dem Titel „Śmierć miasta“ („Tod einer Stadt“) erschienen, blieb der Retter noch anonym.[3] Außerdem wurde er nicht als Deutscher, sondern als Österreicher deklariert. Diese Herkunft unterfiel nicht der sozialistischen Zensur, während es einen „guten Deutschen“ damals politisch wie gesellschaftlich nicht geben durfte. Władysław Szpilman lernte den Namen seines Retters, Wilhelm (Wilm) Hosenfeld, jedenfalls erst 1950 kennen. Zu der Zeit befand sich der Deutsche bereits seit fünf Jahren in russischer Gefangenschaft, in die er am 17. Januar 1945 in Błonie bei Warschau geriet. Als Wehrmachtsoffizier wurde er gefoltert und schließlich zur Todesstrafe verurteilt, die später in 25 Jahre Arbeitslager umgewandelt wurde. Wilm Hosenfeld schaffte es heimlich, eine Liste der Personen weiterzugeben, denen er im Krieg geholfen hat. Eine von ihnen und 1950 auch Władysław Szpilman versuchten daraufhin erfolglos, Hosenfeld aus der Gefangenschaft herauszulösen. Die schweren Bedingungen, unter denen die Zwangsarbeit zu verrichten war, führten zu einem Schlaganfall mit anhaltenden Lähmungen. Er starb am 13. August 1952 im Alter von 57 Jahren.

 

Die Wandlung durch den Krieg
 

Wilm Hosenfeld kommt in Roman Polańskis Film „Der Pianist“ nur am Rande vor. Dabei hatte er sich unter dem Eindruck seiner Kriegserlebnisse gewandelt. Noch 1940 war in einem Brief an seine Ehefrau von Hitlers „Genie“ zu lesen, doch die Gräueltaten der Nazis, die er in Polen miterlebte, machten ihn zu einem scharfen Kritiker ihrer Verbrechen.[17] Wilm Hosenfeld notiert am 16. Juni 1943 in seinem Tagebuch: „So wollen wir den Krieg gewinnen, diese Bestien. Mit diesem entsetzlichen Judenmassenmord haben wir den Krieg verloren. Wir haben eine unaustilgbare Schande, einen unauslöschlichen Fluch auf uns geladen. Wir verdienen keine Gnade, wir sind alle mitschuldig. Ich schäme mich, in die Stadt zu gehen, jeder Pole hat das Recht, vor uns auszuspucken. Täglich werden deutsche Soldaten erschossen. Es wird noch schlimmer kommen, und wir haben kein Recht, uns darüber zu beschweren, wir haben‛s nicht anders verdient, jeden Tag wird es mir unheimlicher hier zumute.“[18]

Der deutsche Offizier nutzte jedenfalls seinerzeit seine Position aus und beschloss, Polen und Juden zu helfen. Es gelang ihm, mindestens zwölf Menschen zu retten. 2007 wurde Wilm Hosenfeld postum von Lech Kaczyński, dem damaligen Präsidenten der Republik Polen, mit dem Komturkreuz des Ordens Polonia Restituta geehrt. 2008 erhielt er auf Antrag von Władysław Szpilman und seinem Sohn Andrzej auch den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“, den die israelische Gedenkstätte Yad Vashem an Menschen verleiht, die Juden im Zweiten Weltkrieg vor dem Tod gerettet und dabei oft ihr eigenes Leben eingesetzt haben.

 

[15] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 179.

[16] Szpilman, Władysław: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 187.

[17] „Śmierć miasta“ von Władysław Szpilman erschien nur 1946 in einer stark zensierten Fassung. Anschließend haben mehrere Verlage vergeblich versucht, die Originalversion zu publizieren. Die erste unzensierte polnische Ausgabe erschien 2001 unter dem Titel „Pianista. Warszawskie wspomnienia 1939-1945“ [„Der Pianist. Warschauer Erinnerungen 1939-1945“].

[18] Maeck, Stephanie: Der Nazi, der Juden und Polen rettete, in: Der Spiegel Geschichte, 23.11.2015, https://www.spiegel.de/geschichte/der-pianist-die-wahre-geschichte-hinter-dem-film-a-1058479.html (zuletzt aufgerufen am 20.09.2020).

[19] Auszüge aus dem Tagebuch von Wilm Hosenfeld wurden 2001 in der unzensierten polnischen Erstausgabe von Szpilmans Memoiren veröffentlicht. Hier zitiert nach Władysław Szpilman: Der Pianist. Mein wunderbares Überleben. [...], Berlin 2020, Seite 206.

Die Nachkriegsjahre
 

Nach der Befreiung Warschaus nahm Władysław Szpilman seine Arbeit beim Polnischen Rundfunk wieder auf und leitete unter anderem die Redaktion für Unterhaltungsmusik. In der ersten Live-Sendung nach dem Krieg spielte er erneut das „Nocturne cis-Moll“ von Fryderyk Chopin, das Stück, das er während seiner letzten Sendung am 23. September 1939 vorgetragen hatte, bevor der Rundfunk fast sechs Jahre verstummte. 1948 lernte er in Krynica seine Frau Halina, geborene Grzecznarowska, kennen, eine Medizinstudentin, die später als sozial engagierte Ärztin wirkte. Die beiden waren fünfzig Jahre ein harmonisches Paar (Halina Szpilman starb im Juli 2020 mit 92 Jahren – Anm. der Autorin). Die Kriegsvergangenheit des Ehemannes blieb indessen ausgespart. Halina Szpilman sagte in einem Interview, sie habe schon alles aus den Memoiren gewusst, die sie gelesen habe, bevor sie ihren Mann kennenlernte. Darum habe es keinen Grund gegeben, zu diesen Erinnerungen zurückzukehren.

Der Pianist war auch ein leidenschaftlicher Komponist. Er hinterließ über 500 Lieder, Filmmusik (zum Beispiel zu „Zadzwońcie do mojej żony“ [„Ruft meine Frau an“] 1957), Hörspiele für Kinder und Symphonien. Außerdem initiierte Władysław Szpilman als Freund der Unterhaltungsmusik die Organisation des Internationalen Musikfestivals in Sopot (Zoppot), das 1961 erstmals stattgefunden hat. Über die Idee ihres Mannes äußerte sich Halina Szpilman folgendermaßen: „Auf der Rückfahrt vom italienischen Festival in Pesaro dachte Władek darüber nach, dass Musik aus Polen in der Welt unbekannt sei. Deshalb müsse man die Werbetrommel für sie rühren und ein Festival ins Leben rufen, zu dem ausländische Gäste eingeladen würden. Diese Idee wurde realisiert, so dass in Zoppot eine Veranstaltung begründet wurde, die jedes Jahr im August stattfindet und ein großes Publikum hat.“[20]

Die Melodien von Władysław Szpilman wurden von vielen bekannten Sängern und Sängerinnen wie Mieczysław Fogg, Sława Przybylska, Helena Majdaniec und Violetta Villas interpretiert, die Szpilman entdeckte und deren Karriere er gefördert hat. 1963 verließ er dann den Rundfunk, um sich intensiv als Konzertpianist zu betätigen. Mit Bronisław Gimpel, Tadeusz Wroński, Stefan Kamasa und Aleksander Ciechański vereinte er sich zum „Warschauer Quintett“ (Kwintet Warszawski), in dem er bis 1986 spielte. In diesem Zeitraum hat Szpilman weltweit über zwei Tausend Auftritte absolviert. Trotz seiner großen Popularität und durchaus lukrativer Angebote, im Westen bzw. in den USA zu bleiben, hat er nie mit dem Gedanken gespielt, auszuwandern. Dafür lag ihm seine Heimatstadt Warschau zu sehr am Herzen. Als ihn der berühmte Geiger Krzysztof Jakowicz einst fragte, warum er das Land nicht verlassen und sein Glück beispielsweise in Hollywood versuchen wolle, antwortete er: „Das könnte ich nicht. Warschau ist meine Welt, mein Leben. Ohne einen Gang über die Krakowskie Przedmieście, ohne ein Treffen mit meinem Freunden im Kawiarnia Europejska, gibt es für mich kein Leben.“[21]

 

[20] Halina Szpilman, in: Żona pianisty. Halina Szpilman w rozmowie z Filipem Mazurczakiem [Die Gattin des Pianisten. Helena Szpilman im Gespräch mit Filip Mazurczak], Kraków 2020, Seiten 103-104, zitiert nach J. Materna, M. Nitner: Władysław Szpilman. Gabinet wirtuoza [Władysław Szpilman. Das Arbeitszimmer des Virtuosen], Auktionskatalog anlässlich der Versteigerung persönlicher Gegenstände des Pianisten am 22. September 2020 im Auktionshaus Desa Unicum in Warschau, Seite 66.

[21] Krzysztof Jakowicz, in: J. Materna, M. Nitner: Władysław Szpilman. Gabinet wirtuoza [Władysław Szpilman. Das Arbeitszimmer des Virtuosen], Auktionskatalog anlässlich der Versteigerung persönlicher Gegenstände des Pianisten am 22. September 2020 im Auktionshaus Desa Unicum in Warschau, Seite 37. [Die Krakowskie Przedmieście ist eine bekannte Flaniermeile im Zentrum Warschaus, an der sich auch das geschichtsträchtige Hotel Europejski (Europäischer Hof) mit dem Kawiarnia Europejska (Café Europa) befindet – Anm. d. Übers.].

Das Bewahren vor dem Vergessen
 

Im Laufe der Jahre geriet die Geschichte von Władysław Szpilmans Odyssee in der Kriegszeit fast in Vergessenheit. Die Welt erfuhr erst von dem jüdischen Pianisten als sein Sohn Andrzej 1998 die vollständige Fassung der Memoiren des Künstlers in Deutschland und später auch in Großbritannien, Italien, in den Niederlanden, in Japan und in den Vereinigten Staaten publizierte. In Polen erschien dieses Buch zum ersten Mal 2001 und erreichte monatelang hohe Platzierungen auf den Bestsellerlisten. Es wurde seither in 42 Sprachen übersetzt.

Die englischsprachige Version des Buches gelangte dann in die Hände von Roman Polański. Der Regisseur wusste sofort, worum es in seinem neuen Werk gehen würde. Seine Verfilmung der Memoiren trug am meisten dazu bei, das außergewöhnliche Schicksal des Künstlers bekannt zu machen. Den Pianisten und den Filmemacher verbindet dabei viel. Roman Polański hat wie Władysław Szpilman den Holocaust überlebt. Beide haben viele Familienmitglieder in der Schoah verloren. Beide kannten auch die Realitäten hinter den Absperrungen eines jüdischen Viertels – Polański aus dem Getto im Krakauer Stadtteil Podgórze, aus dem er fliehen konnte, Szpilman aus dem Warschauer Getto. Die cineastische Aufarbeitung der Geschichte des jüdischen Musikers gab dem Regisseur die Möglichkeit, sich seinen eigenen Kriegserlebnissen zu stellen. Dass es so war, hat er in vielen Interviews gesagt. Zugleich führte er aus, dass es für ihn zu schwierig und zu schmerzhaft gewesen wäre, seine eigene Geschichte in bewegten Bildern zu erzählen. „Ich habe viele meiner eigenen Erfahrungen in den Film einfließen lassen. Meine Mutter kam im Krieg ums Leben, mein Vater hat ein Konzentrationslager nur knapp überlebt. Auf der Suche nach ihm traf ich irgendwann auf einen Ort, an dem Tausende von Menschen waren. Ein Teil von ihnen vegetierte dort schon länger als einen Tag, manche sterbend, andere weinend oder betend. Die Familie liegt uns naturgemäß besonders am Herzen. Wenn jemand erfährt, dass seine Familie tot ist, warum sollte er dann noch weiter leben? Er lebt für seine Leidenschaft, deshalb glaube ich, dass Władysław Szpilman den Krieg dank der Musik überlebt hat“, ergänzte Roman Polański, als er über die Entstehung des Films sprach.[22]

Als „Der Pianist“ am 24. Oktober 2002 in Warschau Premiere hatte, war Władysław Szpilman bereits am 6. Juli 2000 im Alter von 88 Jahren verstorben. Sein Sohn Andrzej gestand, dass es für seinen Vater ein traumatisches Erlebnis gewesen wäre, seine eigene Geschichte auf der Leinwand zu sehen, und zwar insbesondere die Szene der Trennung von seiner Familie.

Der Film wurde mit Preisen überhäuft. Er erhielt unter anderem auf dem Festival in Cannes die „Goldene Palme“ als bester Film, sieben „Césars“ der französischen Académie des Arts et Techniques du Cinéma sowie drei „Oscars“ in den Kategorien „Beste Regie“, „Bester Hauptdarsteller“ (Adrien Brody als Władysław Szpilman) und „Bestes adaptiertes Drehbuch“. Und obwohl „Der Pianist“ als französisch-polnisch-deutsch-britische Koproduktion in englischer Sprache gedreht wurde, wobei alle Hauptrollen mit ausländischen Schauspielern besetzt waren, pflegt Roman Polański den Film als polnisch zu bezeichnen. Für die Kritiker wiederum gilt er als Polańskis Lebenswerk. 2016 wurde „Der Pianist“ in die Liste der 100 besten Filme des 21. Jahrhunderts aufgenommen, die von der britischen Rundfunkanstalt BBC zusammengestellt wurde.[23] Außerdem wurde am Broadway ein von Szpilmans Lebensgeschichte inspiriertes Musical produziert. Es sollte im Juli 2020, am 20. Todestag des Künstlers, uraufgeführt werden, doch das Vorhaben wurde wegen der Corona-Pandemie einstweilen noch aufgeschoben.

 

Monika Stefanek, Oktober 2020

 

 

Info:

Die Stadt Warschau bietet unter dem Namen „Szlak Pianisty“ (sinngemäß „Auf den Spuren des Pianisten“) ein touristisches Highlight an. Es handelt sich dabei um lauter Orte, die im Zusammenhang mit Władysław Szpilman stehen. Details dazu: http://szlakpianisty.pl/szlakiem-pianisty/

 

[22] Roman Polański, in: „Making Off The Pianist“, Focus Features, 2002, zitiert nach J. Materna, M. Nitner: Władysław Szpilman. Gabinet wirtuoza [Władysław Szpilman. Das Arbeitszimmer des Virtuosen], Auktionskatalog anlässlich der Versteigerung persönlicher Gegenstände des Pianisten am 22. September 2020 im Auktionshaus Desa Unicum in Warschau, Seite 60.