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Karin Stanek – Das Mädchen mit der Gitarre

Karin Stanek, um 1978

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  • Karin Stanek vor dem Grand Hotel in Sopot (Zoppot) - Karin Stanek vor dem Grand Hotel in Sopot (Zoppot), 1962
  • Karin Stanek mit der Band Czerwono-Czarni - Karin Stanek mit der Band Czerwono-Czarni, 1963
  • Konzert-Plakat „Polish Stars Parade“, USA - Konzert-Plakat „Polish Stars Parade“, USA, 1966
  • Karin Stanek vor der Carnegie Hall in New York - Karin Stanek vor der Carnegie Hall in New York, 1966
  • CD-Cover „Malowana lala“, Syrena Records USA - CD-Cover „Malowana lala“, Syrena Records USA, 1966
  • Karin Stanek im Łazienki-Park in Warschau - Karin Stanek im Łazienki-Park in Warschau, 1970
  • Karin Stanek beim Konzert in Halle (ehem. DDR) - Karin Stanek beim Konzert in Halle (ehem. DDR), 1970er Jahre
  • Karin Stanek und Managerin Anna Kryszkiewicz mit Filmteam - Karin Stanek und Managerin Anna Kryszkiewicz mit Filmteam in Frankfurt/Main, 1977
  • Karin Stanek bei der Aufzeichnung der ZDF-Sendung „Disco“ - Karin Stanek bei der Aufzeichnung der ZDF-Sendung „Disco“, Ende der 1970er Jahre
  • Karin Stanek beim 12. Festival des Polnischen Liedes in Opole (Oppeln) - Karin Stanek beim 12. Festival des Polnischen Liedes in Opole (Oppeln), 1974
  • Karin Stanek in München - Karin Stanek in München, 1978
  • Karin Staneks Lied „Ich mag dich so wie du bist“ in den deutschen Charts - Karin Staneks Lied „Ich mag dich so wie du bist“ in den deutschen Charts, 1979
  • Karin Stanek als „Cory Gun“ in Westdeutschland - Karin Stanek als „Cory Gun“ in Westdeutschland, 1980
  • Karin Stanek beim Rock-and-Roll-Festival auf dem Kölner Neumarkt - Karin Stanek beim Rock-and-Roll-Festival auf dem Kölner Neumarkt, Anfang der 1980er Jahre
  • Platten-Cover „Tell me“ von Karin Stanek und der Band Blackbird - Platten-Cover „Tell me“ von Karin Stanek und der Band Blackbird, Westdeutschland, 1982
  • Karin Stanek bei der Probe auf der Zoppoter Waldbühne - Karin Stanek bei der Probe auf der Zoppoter Waldbühne, 1991
  • Konzert-Plakat, Karin Stanek mit der Band Gang Olsena - Konzert-Plakat, Karin Stanek mit der Band Gang Olsena, 1997
  • Karin Stanek, 1997 - Karin Stanek, 1997
  • Karin Staneks letztes Album „Sex“ - Karin Staneks letztes Album „Sex“, 2005
  • Triple-Album „Karin Stanek – Autostopem z malowaną lalą” - Triple-Album „Karin Stanek – Autostopem z malowaną lalą”, 3 CDs, erschienen 2011
  • Karin Staneks letzte Ruhestätte - Katholischer Friedhof Wolfenbüttel
  • Karin Stanek, Skulptur von Jacek Wichrowski - Auf dem nach der Sängerin benannten Platz in Bytom (Beuthen)
Karin Stanek, um 1978
Karin Stanek, um 1978

Kindheit und Jugend

Es gibt kaum eine Biographie, die so sehr durch die Umstände der Nachkriegsjahre gezeichnet wäre. Karin Stanek kommt am 18. August 1943 in Beuthen (heute Bytom) als drittes von sechs Kindern einer Bergmann-Familie zur Welt. Die Mutter zieht die Kinder allein groß, zu Hause herrscht bittere Armut. Schon als junges Mädchen übernimmt Karin viele Aufgaben im Haushalt, und obwohl sie gern Bücher liest und bereitwillig lernt, verbringt sie ihre Freizeit mit Kochen, Waschen und Putzen. Da die Wohnverhältnisse eine weitere Schulausbildung nicht zulassen, bricht Karin die siebenjährige Grundschule nach der sechsten Klasse ab. Stattdessen lässt sie sich in dem Bergbauunternehmen Przedsiębiorstwo Robót Górniczych in Bytom als Botin einstellen. Sie unterstützt finanziell ihre Mutter. Außerdem meldet sie sich in der Abendschule an.

Die erste Gitarre ist ein Geschenk ihrer Mutter, die ihr auch die ersten Griffe beibringt. Die junge Karin war von dem Instrument begeistert, seit sie es zum ersten Mal in den Händen ihres Onkels gesehen hatte, der sie regelmäßig besuchte. Schnell stellt sich heraus, dass sie eine äußerst talentierte Autodidaktin ist. Trotzdem erhält sie bald Privatunterricht, mit dessen Hilfe sie ihr Gitarrenspiel weiter verfeinert. Sie knüpft Kontakte zu Musikerkolleg:innen, Jugendklubs und Kulturhäusern. Intuitiv spürt sie, dass die Gitarre und ihr markanter Gesang die passenden Ausdrucksmittel für sie sind. Mit der Gitarre in der Hand scheint Karin schon am Anfang ihrer Karriere frei von Lampenfieber und Komplexen, so dass sie in der Jugend-Musikszene Oberschlesiens rasch Fuß fasst. Und so kommt es, dass die Menschen diejenige, die mit ihrer Gitarre auf der Bühne tobt, mit der kleinen Karin in Verbindung bringen. Sie spielt in den Klubs von Bytom (Beuthen), Szombierki (Schomberg) und Miechowice (Miechowitz), tritt im Steinkohlebergwerk Bobrek (ehem. Gräfin-Johanna-Grube) auf sowie bei Festveranstaltungen und Tanzabenden. In ihrem Repertoire hat sie populäre Songs und angesagte Hits. Schließlich traut sie sich und gibt sogar ein heimliches Konzert für ihre Kollegen am Arbeitsplatz. Kurz darauf folgt ein offizieller Auftritt im Ministerium für Energie und Bergbau (Ministerstwo Energetyki i Górnictwa) in Katowice (Kattowitz).

 

Die geborene Unterhalterin

Die Bühne zieht Karin Stanek magnetisch an. Die Möglichkeit, mit dem Publikum zu interagieren, reizt sie so sehr, dass sie von Anfang an eifrig davon Gebrauch macht. Ihr Bühnenimage baut Karin auf, indem sie ihrer Intuition vertraut und auf der Bühne die bleibt, die sie wirklich ist. In den ersten Jahren flechtet sie ihr langes, dunkles Haar zu zwei Zöpfen. Später werden daraus zwei seitliche, mit Samtband zusammengebundene Pferdeschwänze, schließlich trägt sie ihr Haar offen mit Pony. Bei ihren Auftritten ist sie ungeschminkt, fast immer trägt sie Hosen. Dabei bleibt sie ein bescheidenes Mädchen, mit dem sich ihre Altersgenossinnen sehr gut identifizieren können. Zugleich aber ist sie eine emanzipierte, eigenständige junge Frau, die davon singt, wie ihre Generation leben will – spontan und unabhängig.

Aufgrund der schwierigen finanziellen Situation zu Hause wird Karin Stanek niemals eine reguläre Musikschule besuchen. Als Outsiderin in der Musikbranche bestand ein Weg hin zu einer Gesangs- und Musikkarriere in der Teilnahme an Wettbewerben für junge Talente. Diese Möglichkeit nutzt sie erstmalig im März 1961, als sie an einem landesweiten Liederwettbewerb des Rundfunksenders Polskie Radio Katowice teilnimmt. Bevor sie jedoch überhaupt dabei sein kann, muss sie erst einige Überzeugungsarbeit leisten, denn die Teilnahme richtet sich an Personen ab 18 Jahren. Sie ist jünger und sieht zudem wie ein richtiger „Backfisch“ aus. Bei ihrem Auftritt singt sie zuerst das Lied „Diana“, dann performt sie „Tutti frutti“ und erobert so die Herzen der Jury und des Publikums. Sie erreicht damit die nächste Runde: Dort sollen alle, die weitergekommen sind, dasselbe nostalgische Lied interpretieren: „Śnimy się sobie co noc“ („Wir träumen jede Nacht voneinander“). Karin weiß, dass dieser Song nicht zu ihrem Stil passt und zieht sich aus dem Wettbewerb zurück.

1962 bietet sich die nächste Gelegenheit, als die Band Czerwono-Czarni (Die Rot-Schwarzen) ihre Suche nach jungen Talenten bekannt gibt. Sie wird von ihrem Freund überredet, sich für die schlesische Vorausscheidung zu bewerben. Mit ihren Auftritten, zuerst in Zabrze (Hindenburg) und dann in Kraków (Krakau), landet die junge Sängerin offenbar einen Volltreffer. Jahre später wird Karin Stanek ihrer Biografin und Managerin Anna Kryszkiewicz die folgende Geschichte davon erzählen:

„Das einzige [vorgesehene] Begleitinstrument war das Klavier. Ich aber hatte meine Gitarre dabei, deren Anblick die Mitglieder des geschätzten Auswahlgremiums wohlgemerkt zum Lächeln brachte. Sie sahen die darauf aufgeklebten Blumen und Sternchen sowie die Fotos von Presley und Tommy Steel und amüsierten sich. Die Gitarre ersetzte mir die Band, in einem Solo diente sie mir sogar als Schlagzeug. Gesungen habe ich natürlich ‚Hulla tutulla‘. Dabei vergaß ich, dass ich einen Rock trug, also tanzte und tobte ich, als hätte ich eine Hose an.“[1]

 

[1]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek. Autostopem z malowaną lalą („Karin Stanek. Per Anhalter mit der angemalten Puppe“), Warszawa 2015, S. 35.

Czerwono-Czarni

Wenige Tage später bringt der Briefträger Karin einen Vertrag über die einmonatige Teilnahme an den Konzerten der Czerwono-Czarni. Er ist von dem Stettiner Eventveranstalter Estrada Szczecińska unterzeichnet. Das monatliche Honorar soll 2.000 Zloty betragen – das Dreifache dessen, was Karin bisher verdiente. Und eine Vertragsverlängerung ist grundsätzlich auch vorgesehen. Im März 1962 kommt Karin mit ihrem Koffer in Sopot (Zoppot) an. Zu dieser Zeit ist sie, seit ihrer Teilnahme am Wettbewerb in Kraków, bereits ein Idol für die polnische Jugend. Jahre später wird die Presse schreiben, sie sei die erste und für lange Zeit einzige junge Sängerin in Polen gewesen, die ihren eigenen, originellen Still gehabt habe. Die Fahrt zu den Czerwono-Czarni nach Sopot ist die erste Reise in ihrem Leben, die sie allein unternimmt. Schnell versteht sie sich gut mit ihren erfahrenen Musikerkollegen und nimmt ihre Ratschläge ernst. Besonders die Anregung, den schlesischen Akzent abzulegen, nimmt sie sich zu Herzen. Dazu erklärte sie später: „Meine Musikerkollegen halfen mir bei der korrekten Aussprache, manchmal schlugen sie eine Änderung der Interpretation vor. Ich fühlte mich nicht mehr alleine.“[2] Dabei waren viele Fans der Meinung, dass gerade der schlesische Akzent und das „R“, das sie lange nicht aussprechen konnte, zusammen mit ihrer außergewöhnlichen Lebendigkeit den besonderen Charme ihrer Auftritte ausmachten. Jedenfalls ist Karin von nun an so beliebt, dass ihre Konzerte schnell ausverkauft sind. Das Publikum tobt und nach den Konzerten belagert es die Garderobe. Der Vertrag wird verlängert. Gewissenhaft teilt Karin die Gage mit ihrer Mutter und bleibt weiterhin bescheiden und sparsam. Die Tour mit den Czerwono-Czarni führt sie über Warschau in die Woiwodschaften Gdańsk (Danzig), Poznań (Posen), Wrocław (Breslau) und Lublin. Karin Stanek wird immer mehr zu einer Hauptfigur der polnischen Beatmusik.

 

Auf der Welle des Ruhms

Im Juni 1962 erscheint Karins Foto auf der Titelseite der Zeitschrift „Przekrój“. Anschließend folgen zahlreiche Interviews und Beiträge in allen wichtigen Pressemedien in Polen. Der Song „Jimmy Joe“ wird zu ihrem größten und neben „Tutti frutti“ meistgespielten Hit im Rundfunksender Polskie Radio. Als sie 1962 am Festival Junger Talente in Szczecin (Stettin) teilnimmt, ist sie bereits ein Star. Das jubelnde Publikum holt sie von der Bühne und trägt sie auf Händen durch die Stadt zum Hotel. Das Festival verlässt sie mit einer Einladung zum Internationalen Songfestival in Sopot. Sie war nicht nur die jüngste Teilnehmerin bei dieser zweiten Ausgabe des Festivals, sondern auch bereits dessen heimlicher Star. Sie singt „Malowana lala“ (wörtl. „Die angemalte Puppe“) und darf danach in einem nicht enden wollenden Applaus baden. Einen Preis erhält Karin dort jedoch nicht. Der Self-made-Star des Big Beat muss sich mit einem Ehrendiplom begnügen und der Einladung zur Teilnahme am Konzert der preisgekrönten Musiker:innen. Zu jener Zeit tritt Karin auch zum ersten Mal im TV auf. Nach dem Festival schreibt die Presse: „Das Sex-Biest fährt nach Helsinki“. 

Und tatsächlich, Karin Stanek wird nach Helsinki eingeladen, und zwar zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten. Sie nimmt dafür an einem Vorbereitungscamp teil, doch ihre Reise kommt nicht zustande. Als das Schreiben der staatlichen Künstleragentur Pagart sie erreicht, hat sie zwar bereits ihren Pass, erfährt aber, dass sie der Gruppe, die nach Helsinki reisen darf, nicht angehöre. Kurz darauf wird die Sängerin nach einer der Proben von einem unbekannten Mann des Sicherheitsapparats aufgesucht und aufgefordert, ihren Pass herauszugeben – ohne dass sie erfährt, warum sie nicht zu dem Festival reisen dürfe. Zu diesem Zeitpunkt weiß die junge Sängerin noch nicht, dass sie künftig mit noch weiteren Ablehnungen von Auslandsreisen zu rechnen haben wird. Ursache dafür waren möglicherweise Karins Großmutter und Schwester, die beide bereits in Westdeutschland lebten. Außerdem hatte auch ihre in Bytom verbliebene Familie aufgrund ihrer deutschen Abstammung einen Ausreiseantrag gestellt. Man kann nur darüber spekulieren, ob Karin Staneks Ausschluss vom Festival auf ihre deutsche Herkunft zurückzuführen war, die nicht in das offizielle Narrativ der damaligen Zeit passte, oder aber auf ihre fehlende Ausbildung, die sie zu einem „schlechten Vorbild“ hätte machen können.

Ende 1962 erhält Karin ein weiteres Angebot, ins Ausland zu reisen. Der bekannte US-Impresario, Jan Wojewódka, spricht eine Einladung zu einer Konzert-Tournee in den Vereinigten Staaten aus. Die Reise war eigentlich schon arrangiert, aber auch dieses Mal erhält Karin eine negative Antwort von Pagart. Langsam gewöhnt sich die Künstlerin an solche Absagen, auch an die ausbleibenden Preise bei den Festivals – genauso wie an ihre stetig wachsende Popularität.

Beim ersten Festival des Polnischen Liedes (Krajowy Festiwal Piosenki Polskiej) in Opole (Oppeln), das 1963 stattfindet, hat Karin Stanek mehr Glück. Dort tritt sie mit zwei für sie eigens geschriebenen Liedern auf. Dazu gehörte auch „Chłopiec z gitarą“ („Der Junge mit der Gitarre“), ein Lied, das zu ihr passt wie angegossen. Das Publikum tobt, Karin Stanek erhält die Jury-Auszeichnung. Im gleichen Jahr besucht „Knaller-Karin“ („atomowa Kaśka“), wie sie mittlerweile auch genannt wird, das Festival in Sopot als Zuschauerin. Dort fällt sie dem Direktor der berühmten Pariser Music Hall Olympia, Bruno Cocquatrix, auf – aber leider verweigern ihr auch diesmal die Behörden eine Reisegenehmigung. Nach Paris dürfen andere fahren, während Karin durch polnische Städte tourt und am zweiten Festival in Opole teilnimmt. Dort interpretiert sie ihre nächsten Hits wie „Jedziemy autostopem“ („Wir reisen per Anhalter“), „Karolinka“ und „Motor i ja“ („Das Motorrad und ich“). Das Lied „Jedziemy autostopem“ erhält einen Sonderpreis, Karin wird schließlich mit einer Auszeichnung geehrt.

 

Tourneen in den „Bruderstaaten“

Nach den Auftritten in Sopot und Opole schickt Pagart die Sängerin auf Tourneen, allerdings nur durch Staaten des sozialistischen Lagers. Die DDR-Tournee erweist sich als Erfolg. Die jungen Ostdeutschen fahren geradezu ab auf Karins dynamische Lieder. In ihren Konzerten dort spielt Karin neben ihren großen Hits auch Songs in englischer Sprache wie Brenda Lees „Dynamite“.

„Ich trat in vielen TV-Programmen auf, unter anderem in Rostock, Magdeburg, Leipzig, Berlin, Suhl und Dresden. In den Sendungen sang ich meist polnische Lieder mit deutschen Texten. Manchmal schickten mir die Deutschen ein Band mit dem Text ihres Liedes, den ich dann auswendig lernte und anschließend zum Sender fuhr“. So erinnert sich Karin später.[3]

1965 nimmt Karin Stanek an ihrem einzigen ausländischen Festival teil. Es ist das vierte Internationale Schlagerfestival der Ostseeländer in Rostock in der DDR. Dort wird sie zu den drei Preisträger:innen gehören. Ein Jahr zuvor, 1964, hatte die Sängerin eine erfolgreiche Tournee durch die Tschechoslowakei absolviert.

„Ich bin vor dem tschechischen Publikum gerne aufgetreten, da es spontan und sehr lebendig auf meine Aufforderungen zum gemeinsamen Spaß reagierte. Um den Fans dort eine Freude zu machen, bereitete ich für die zweite Tournee ‚Jedziemy autostopem‘ mit tschechischem Text vor. Der Beifall kam natürlich sofort, sobald die ersten Worte in ihrer Sprache ertönten“, erzählte Karin Stanek ihrer Biografin und Managerin Anna Kryszkiewicz.[4]

1968 geht die Sängerin zusammen mit den Czerwono-Czarni auf eine Konzertreise durch die UdSSR. Dem russischen Publikum gefällt insbesondere das Lied „Walentyna twist“.

 

[2]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 47.

[3]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 115.

[4]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 128.

Wissensdurst

Trotz ihres Ruhms vergisst Karin nicht ihren Wunsch nach Ausbildung. Sie schreibt sich in die achte Klasse des Ferngymnasiums in Szczecin ein. Doch nach kurzer Zeit wird ihr klar, dass die Gesangsprüfung vor der staatlichen Kommission, die aus einem theoretischen und einem praktischen Teil bestehen soll, doch Vorrang hat. Karin unterbricht das Gymnasium für ein Jahr – und nimmt fortan eine Tasche mit Musiklehrbüchern zu den Auftritten mit.

„Es war die Zeit, in der man die Beatmusik unbedingt verbannen wollte. Man war der Meinung, dass sie eine demoralisierende Wirkung auf die jungen Menschen hat und dass sie auf keinen Fall in Umlauf gebracht werden sollte. Ich war mir also bewusst, wie man mich bei der Prüfung behandeln würde. Sollte ich diese nicht bestehen, dürfte ich in Polen nicht mehr professionell singen, somit wären alle meine Pläne futsch“, erinnerte sich Karin Stanek nach Jahren.[5] 

Die Prüfung hat sie bestanden. Da sie jedoch kein Abitur besaß, muss sie nach zwei Jahren alles noch einmal wiederholen. Erst dann erhält sie ihr Gesangsdiplom, welches in der Folge auch höhere Gagen für sie bedeutete. Seitdem konnte sie mit 350 Zloty pro Konzert rechnen.

1969 kommt Karin noch höher hinaus. Sie wird als Sängerin der A-Kategorie eingestuft und darf für ein Konzert von nun an eine Gage von 500 Zloty verlangen. Doch dies führt zu Zerwürfnissen mit den Czerwono-Czarni. Karin verlässt letztlich die Band. Nach Erlangung des Diploms setzt sie ihre Ausbildung am Ferngymnasium fort; daneben gibt sie bis zu 30 oder 40 Konzerte monatlich. In jeder freien Minute auf der Tour lernt sie und schreibt Schularbeiten, und an ihren freien Tagen fährt sie nach Szczecin, um Nachhilfestunden zu nehmen. Die größten Probleme bereitet ihr die Koordinierung der Prüfungs- und der Konzerttermine. Es kommt durchaus vor, dass sie abends irgendwo in Polen ein Konzert gibt und die darauffolgende Nacht auf dem Weg zu einer Prüfung im Zug verbringt. Zu der Zeit tourt sie auch noch durch die UdSSR, wo sie bei der Botschaft der Volksrepublik Polen eine Sondergenehmigung erwirkt, um zwischendurch zu Prüfungen zurück nach Szczecin reisen zu dürfen. Das von ihr angestrebte Abitur besteht sie mit Bravour.

 

Amerika

Ende 1966 darf Karin endlich die Czerwono-Czarni auch bei Auftritten in den USA begleiten. Dies verdankt sie der erneuten Einladung von Jan Wojewódka. Der amerikanische Impresario blieb diesmal standhaft und lud die Band ausdrücklich zusammen mit der Solistin Karin Stanek ein. Dabei hatte der Leiter der Band eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, die besagte, dass Karin Stanek nach Polen zurückkehren würde. Auf dem Weg in die Vereinigten Staaten sind auch andere Größen des polnischen Liedgutes mit von der Partie, wie Anna German, Kasia Sobczyk und Ewa Demarczyk. Das erste Konzert nach einer langen Überfahrt mit der MS Batory findet in der New England Hall in Boston statt. Karin trägt unter anderem das Lied „Tato, kup mi dżinsy“ („Vater, kaufe mir eine Jeans“) vor. Das einheimische Publikum ist begeistert. Zusätzlicher Effekt dieses Liedes sind zahlreiche Geschenke der Amerikaner:innen: Sie schickten spaßeshalber Pakete mit Jeans, nachdem sie erfuhren, was der Liedtext bedeutete. Nach dem Konzert „Polish Stars Parade“ in der berühmten Carnegie Hall in New York kommt die ungarische Operettensängerin und Schauspielerin Marta Eggerth höchstpersönlich auf Karin Stanek zu und sagt: „Kind, du hast eine Chance auf eine Weltkarriere, denk daran.“ Während der Tournee erhält Stanek eine Reihe von Angeboten für weitere Auftritte in den USA und Kanada sowie für eine Zusammenarbeit mit amerikanischen Bands; sie lehnt jedoch konsequent ab. Im Vorfeld des Konzerts in Chicago macht ihr die US-amerikanische Siren Record Company das größte Geschenk. Sie bringt eine Langspielplatte in hoher Auflage heraus, die die Fans ihr zum Signieren hinhalten können. Während ihres langen Aufenthalts in den Staaten werden einige der Fans zu engen Freunden, manche verknallen sich in Karin und zwei machen ihr sogar einen Heiratsantrag. Sie aber bleibt standhaft und kehrt nach Polen zurück – zu ihrer Mutter, ihren Geschwistern und zu ihren Fans.

 

Solokarriere

Die Trennung von den Czerwono-Czarni stellt einen Wendepunkt in Karin Staneks Karriere dar. Es ist eine mutige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass ihre Bandkollegen bisher die meisten ihrer Songs komponiert und sie die Alben „Czerwono-Czarni“ und „17 000 000“ zusammen aufgenommen haben. Beim Festival in Międzyzdroje (Misdroy) im Sommer 1969 knirscht es zwischen Karin und der Band gewaltig. Die Musiker empören sich darüber, dass Karin, der Einstufung des Ministeriums als „A“-Künstlerin folgend, die höchste Gage von ihnen allen erhalten soll. Die Sängerin verlässt die Band nach siebenjähriger Zusammenarbeit, ihr letztes gemeinsames Konzert geben sie am 3. August 1969 in Świnoujście (Swinemünde).

Der neue Weg beginnt für Karin mit dem Kontakt zu der tschechischen Band The Samuels. Mit ihr erarbeitet sie ein neues Programm und bestreitet anschließend viele Konzerte. Doch der Sängerin und den tschechischen Musikern mangelt es an brauchbaren Beziehungen zum polnischen Fernsehen. Im März 1970 entscheidet sich Karin Stanek für eine Solokarriere ohne eigene Band und beschließt, alle organisatorischen Aufgaben in Eigenregie abzuwickeln – was in der Welt des Showbusiness sehr riskant war. Das sollte Karin bald schon schmerzlich erfahren. In der polnischen Presse ergießt sich über sie eine Welle von Spott; heute würde man dies als hate bezeichnen. Zu dieser Zeit erkundigt sich die Sängerin beim polnischen Musiklabel Polskie Nagrania nach der Möglichkeit, eine Platte zu produzieren. Die Antwort darauf: Ihre Lieder seien keine Sensation. Glücklicherweise stellt ihr das Schicksal kurz darauf die Managerin Anna Kryszkiewicz zur Seite, die ihr bis zum Schluss treu verbunden bleiben wird.

 

[5]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 91.

Ein kurzes Comeback

1974, nach einer langen Tournée durch die UdSSR, erhält Karin auf Bemühen ihrer Managerin die Einladung, bei der ersten Polnischen Bühnenmesse (Polskie Targi Estradowe) in Łódź (Lodsch) zusammen mit der Band Schemat aufzutreten. Dazu gelingt es Anna Kryszkiewicz, Aufnahmen bei dem Posener Rundfunksender Radio Poznań anzubahnen. Für ihren Schützling sind dies die ersten Rundfunkaufnahmen seit Jahren. Karin nimmt vier neue Lieder auf, die später nur wenige Male im Radio gespielt werden sollten. Auch ihre Teilnahme an der Messe verläuft nicht gut. Ihr erster Auftritt war ganz zu Beginn des Abends angesetzt worden, auf einen Zeitpunkt, zu dem die Zuschauer noch ihre Plätze suchten. Unter diesen Umständen konnte keine Interaktion zustande- und kein Feedback zurückkommen. Ihr zweites Konzert hingegen findet erst kurz vor Mitternacht statt, wodurch das junge Publikum ausbleibt. Ähnlich wenig Glück hatte die Sängerin auch bei ihrer Teilnahme am Lieder-Festival 1974 in Opole. Dabei war dies in ihren Augen ein erfolgreicher und enthusiastisch beklatschter Auftritt gewesen, der jedoch zu ihrer Überraschung aus der Fernsehübertragung herausgeschnitten wurde. Außerdem waren die Kritiken in der Presse nicht gerade schmeichelhaft.

„Die einzige gute Pressekritik über das Festival erschien in der DDR. Nach meiner Rückkehr aus Opole stand für mich fest, dass dies mein letzter Auftritt bei einem derartigen Event war. Es machte keinen Sinn, sich anzustrengen. Für meine Arbeit habe ich nichts als Ärger geerntet. Also wofür das Ganze?“[6]

In der Folgezeit konzentriert sich die Künstlerin auf Auftritte außerhalb von Polen. 1975 wird sie rund 110 Auslandskonzerte geben. 1976 werden ihr sogar 120 Gigs in Dresden angeboten. Doch kurz bevor sie die Zusammenarbeit mit dem Veranstalter in der DDR aufnehmen soll, stellt sich heraus, dass sie keine Erlaubnis der polnischen Agentur Pagart besitzt. Die Möglichkeit, ein Jahr lang Konzerte in Ostdeutschland zu geben, verfällt.

 

Westeuropa und die USA

Im Dezember 1976 spielt Karin Stanek Konzerte in Wien und wird dort gut aufgenommen. Bei ihrem Aufenthalt dort hat sie die Möglichkeit, ihre Mutter zu treffen, die aus der Bundesrepublik Deutschland angereist ist, wohin sie aus Polen umgesiedelt war. Dieses Treffen stuft Karin später als traumatisches Erlebnis ein, da die Mutter sie dazu gedrängt habe, im Westen zu bleiben und sich der Familie in Westdeutschland anzuschließen. Karin war jedoch überzeugt, dass ihr Platz in Polen sei, da sie sich dort musikalisch verwirklichen könne. Und in der Tat: Nach ihrer Rückkehr rührt sich etwas. Karin Stanek wird zu Aufnahmen in den Fernsehsender nach Wrocław (Breslau) eingeladen. Auch ihre alten Kontakte nach Ost-Berlin leben wieder auf. Im März 1976 wird sie dort zwei ihrer eigenen Kompositionen in deutscher Version für den Rundfunk aufnehmen; kurz danach gehen sie über den Äther. Die Kontakte im Westen lässt ihre Managerin Anna ebenso wenig aus den Augen. Karin Stanek wird erneut nach Wien eingeladen. Dort angekommen, fährt sie vom Flughafen direkt ins Aufnahmestudio. Die Aufnahmen wie auch das Konzert in Wien werden zu einem Erfolg.

„Der Impresario, der mich zu dem Konzert eingeladen hat, war Leiter einer Künstleragentur. Ich geriet also endlich an die richtige Person. Außerdem war er ein bekannter Komponist. Er unterschrieb einen Vertrag mit mir und seine Agentur verpflichtete sich, [meine] Konzerte und Plattenaufnahmen zu managen. Die erste Platte sollte ich im Herbst aufnehmen“, erzählt Karin in ihrer Biographie.[7]

Einige Tage später schickt der Impresario die Sängerin zu Auftritten nach Frankfurt am Main. Ein Manager dort schlägt ihr vor, eine Platte aufzunehmen. Auch diesmal kommt Karins Mutter, um die Tochter zum Verbleib im Westen zu überreden. Karin aber kehrt wie immer nach Polen zurück. Dort wartet ein Vertrag für Konzerte in Chicago auf sie und es gelingt ihr, ihn von der Pagart-Agentur genehmigen zu lassen. Im Herbst 1976 tritt Karin nach zehn Jahren erneut in Amerika auf. Sie verlängert ihren Aufenthalt und gibt sieben Monate lang Konzerte in Chicago und in New Jersey. Kurz vor ihrer Abreise wird sie vom amerikanischen Fernsehen in die landesweit ausgestrahlte „Joe Franklin Show“ eingeladen, in der sie ihr Lied „Czekoladowy krem“ („Die Schokocreme“) präsentiert. Anschließend wird Karin mit Angeboten amerikanischer Clubs überhäuft und von vielen Entertainern kontaktiert. Doch Karin lehnt alles konsequent ab, weil sie bald die bereits verabredete Platte in Frankfurt aufnehmen soll. „Dies war mein wohl größter Fehler, den ich in meinem Beruf begangen habe. Wie konnte ich nur solche Angebote ausschlagen? Verstanden habe ich es erst nach Jahren“, resümiert sie in ihrer Biographie.[8]

 

Emigration in den Westen

Karin Staneks Umsiedlung nach Westdeutschland verlief in zwei Etappen. 1976, nach ihrer Rückkehr aus den USA, hielt sie sich zunächst einfach nur hier auf. Es tat sich beruflich einiges für sie. Ihre damals in Köln lebende Managerin Anna Kryszkiewicz tat ihr Bestes, um Karin Staneks Karriere richtig in Schwung zu bringen. Durch den deutschen Aufenthaltstitel war Karin von ihrem Heimatland nicht abgeschnitten; sie konnte jeder eventuellen Einladung zu einem Auftritt in Polen nachkommen und nach Polen reisen. Den Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedlerin wird sie erst Jahre später stellen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sich die politische Lage in Polen verschärfte. Mit dem Status einer Spätaussiedlerin standen ihr nicht nur deutsche Papiere zu, sondern auch das Recht auf Weiterbildung und notwendige staatliche Hilfen.

Zurück ins Jahr 1976. Bei der Rückkehr aus den Staaten wird Karin Stanek auf dem Frankfurter Flughafen wie ein Star begrüßt. Direkt danach wird ein 45-minütiger Film mit ihr gedreht, darauf folgen Auftritte in zwei Diskotheken. Karin nimmt zwei Lieder für das Label Phonogram auf, darunter eine deutsche Version ihrer eigenen Komposition „Proszę, nie płacz już“ („Bitte weine nicht“). Die deutsche Presse vergleicht Karin Stanek mit Elvis Presley, für einige Journalisten ist sie die polnische Rocklady. Wiederholt wird sie von amerikanischen Impresarios angerufen, die ihr Vorschläge für Konzerte in den USA unterbreiten. In der Zwischenzeit erfahren Karin und ihre Managerin, wie groß die Diskrepanz zwischen der Gage der Sängerin und dem Honorar des deutschen Impresarios ist. Außerdem ist die von ihm versprochene Plattenaufnahme ins Stocken geraten. Karin tritt von dem Vertrag zurück.

Zu diesem Zeitpunkt fährt sie zu Konzerten nach Lyon in Frankreich, wo sie ebenfalls große Erfolge feiert. Die französischen Journalisten vergleichen sie mit Janis Joplin. Den Monatsvertrag eines bekannten Lyoner Clubs, den sie nach den ersten Auftritten angeboten bekommt, lehnt sie jedoch ab. Sie hat Verpflichtungen in Deutschland, wo sie zur Aufnahme einer Platte mit zwölf Titeln verabredet ist. Nach drei Tagen im Studio und einer Woche Wartezeit kann Karin tatsächlich eine Musikkassette und eine Single entgegennehmen. Den Titelsong singt sie mehrfach im deutschen Fernsehen, unter anderem neben Udo Jürgens in der beliebten ZDF-Musiksendung „Disco“. Ziemlich lange hält sie sich in den Radio- und Disco-Charts auf guten Plätzen. Ihre Beziehungen zu Polen pflegt Karin Stanek über die Managerin. Sie befürchtet, dass eine eigene Einreise nach Polen ihre Rückkehr nach Deutschland verhindern könnte. Damals wurden die Pässe polnischer Bürger beim Passamt hinterlegt und ihnen nur für die Zeit der Reise selbst ausgehändigt, sofern ihr Reiseantrag positiv beschieden worden war. Von 1976 bis 1981 lässt Karin jedes Jahr ihre Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland verlängern.

In dieser Zeit absolviert Karin viele Auftritte in Deutschland; sie ist hier aber natürlich nicht so bekannt wie in Polen. Als dann das Angebot kommt, eine Platte in englischer Sprache aufzunehmen, stimmt sie dem damit verbundenen Imagewechsel zu. Ihr Künstlername in Deutschland ist ab jetzt Baby Gun; später nennt sie sich „Cory Gun“. Sie ändert ihren Bühnenlook und wird zu einer raffinierten Rock-and-Roll-Lady mit wildem Haar und enger Ledermontur. Karin Stanek alias Cory Gun stellt ihre Platte „Let's have a party“ in mehreren Fernsehsendungen vor, und der Titelsong erobert für mehrere Wochen einen Platz in den Radio- und Disco-Charts – für eine Künstlerin, die erst unlängst aus einem Land hinter dem Eisernen Vorhang gekommen war, ein ziemlicher Erfolg. Zur gleichen Zeit macht Stanek noch einen weiteren, entscheidenden Schritt: Sie schickt ihre Kompositionen als Beitrag zum amerikanischen Musikwettbewerb für Autoren und Komponisten nach Hollywood. 1978 belegt ihre Komposition „Wierny wiatr“ („Treuer Wind“) dort den dritten Platz, und 1979 landet der Song „Proszę, nie płacz już“ auf Platz vier.

 

[6]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 211.

[7]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 218.

[8]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 228.

Umsiedlung nach Deutschland

Karin Staneks Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft wurde von mehreren Umständen beeinflusst. Im Dezember 1981 wurde in Polen das Kriegsrecht verhängt. Dies traf ihre Managerin Anna Kryszkiewicz, die bis dahin jeden Monat ihre kranke Mutter in Polen besuchte, besonders schwer. Als sie im Januar 1982 die Nachricht vom Tod ihrer Mutter erhält, reist sie sofort in ihre Heimatstadt Łódź und bleibt dort hängen. Kurz zuvor hatte Karin unter Federführung ihrer Managerin die neue Platte „Tell me“ aufgenommen, doch unter den gegebenen Umständen erscheint eine Werbung ohne Annas Aufsicht nicht mehr möglich. „Cory Gun“ muss ihre Auftritte und Tourneen absagen. Da die Künstlerin nicht spielen kann, bleibt sie mittellos. Damit ist für sie der Zeitpunkt gekommen, den Aussiedlerstatus zu beantragen. Sie reist aus Köln zu ihrer Mutter nach Wolfenbüttel. Umgehend lässt sie sich bei den Ämtern registrieren und nimmt anschließend an einem Sprachkurs teil. Nach einigen Monaten ist Anna Kryszkiewicz zwar aus Polen zurück in Deutschland, aber Karins neue Verpflichtungen schränken sie zu sehr ein. Karin beschließt zusammen mit ihrer Managerin, ihre musikalischen Aktivitäten vorübergehend einzustellen. Bald aber lernt sie einen deutschen Musiker, einen gewissen Manfred, kennen, der ab sofort ihre Auftritte in der nächsten Umgebung managen soll. Anna wiederum soll sich um die Kontakte zum Fernsehen kümmern. Karin Stanek nimmt erneut eine Einladung zu einem mehrmonatigen Aufenthalt in den USA an und tritt dort in Chicago auf. Anschließend arbeitet sie als Sängerin auf Kreuzfahrtschiffen. Doch als sie sich bei einer deutschen Künstleragentur meldet und von dieser das Angebot erhält, in einfachen Restaurants zu singen, lehnt sie entschieden ab.

In dieser Situation beschließt die wissenshungrige Karin, eine Ausbildung im Fach Informatik zu machen, was in den späten 1980er und den frühen 1990er Jahren einen völlig neuen Berufszweig darstellte. Sie beendet die Ausbildung, absolviert auch ein Praktikum, aber den neuen Beruf wird sie nie ausüben. Privat hat Karin Stanek kein Glück in Deutschland. Ihre mehrjährige Beziehung zu einem verheirateten Mann bricht sie unter dem Druck der Familie ab. In Wolfenbüttel wohnt sie alleine in einer Dreizimmerwohnung – die mit weißen Möbeln und pastellfarbenen Spielereien ein wenig amerikanisch anmutet.

In ihrer Biographie, nachträglich um ein Kapitel zu Deutschland erweitert, wird Karin Stanek wie folgt zitiert:

„Viele Jahre sind in Deutschland vergangen. Es gab Aufs und Abs, mein Leben war nicht immer einfach, ich musste mich verändern, ich musste oft Kompromisse eingehen, etwas aufgeben. So ist das Leben im Ausland und ich habe mich damit abgefunden. Irgendwo auf dem Grund meines Wesens ist ein Hauch von Wehmut. Wehmut nach etwas, was verloren gegangen ist. Denn obwohl ich hier nicht unglücklich bin, bin ich immer noch eine Fremde. Das ist nicht mein Zuhause.“[9]

 

Besuche in Polen

Es dauerte 15 Jahre, nachdem Karin Stanek 1976 Polen verlassen hatte, ehe sich die Künstlerin entschließt, erneut vor polnischem Publikum aufzutreten. Seit dem Wechsel des politischen Systems dort 1989 stellten solche Heimreisen keinerlei Risiko mehr dar. Als Stanek 1991 von Franciszek Walicki und der Künstleragentur Bałtycka Agencja ArtystycznaBART“ zur Teilnahme am Konzert „To tylko rock and roll – trzy dekady rocka w Polsce“ (It's only rock and roll – Drei Jahrzehnte Rock in Polen) eingeladen wird, nimmt sie an. Es ist ihre erste Heimreise nach anderthalb Jahrzehnten, zu der sie gemeinsam mit ihrer Mutter aufbricht. Begleitet wird sie auch von ihrer Managerin Anna Kryszkiewicz und deren Partner. Nach Jahren trifft Karin ihre alten Kolleg:innen wieder. Die Proben vor dem Konzert verlaufen in einer sehr vertrauten Atmosphäre, dennoch und ungeachtet ihrer Professionalität steigt ihr Lampenfieber ins Unermessliche. Als sie endlich auf der Zoppoter Bühne steht, ist sie so gerührt, dass sie sich erst einmal sammeln muss. Große Tränen laufen ihr übers Gesicht, und das Publikum weint mit. Nach ein paar Minuten erst beginnt Karin zu spielen. Ihr „Jimmy Joe“ fesselt alle im Saal. Das Konzert ist so kraftvoll wie einst, und die Zuhörer hören zu wie gebannt. Nach der letzten Zugabe wird die Musikerin mit Standing Ovations verabschiedet. Die Presse reagiert diesmal äußerst wohlwollend. „Die größte Überraschung war der Auftritt von Karin Stanek ... Ihre Lebendigkeit und ihre originelle Art, sich zu bewegen, begeisterten das Publikum. Voller Energie und Temperament wie ein Teenager gestaltete sie eine kurze, aber wunderbare Show und bewies, dass sie immer noch dieselbe ‚Knaller‘-Karin ist wie einst“, befindet die Zeitung „Głos Wybrzeża“ („Küstenstimme“).[10]

Nach diesem Konzert nimmt Karin erneut eine Einladung aus Chicago an. Ihre sechsmonatige Tour zwischen Ende 1991 und Anfang 1992 führt sie von Chicago über New Jersey nach New York und Toronto und endet in Sarasota in Florida.

1992 tritt die Künstlerin nochmals auf der Zoppoter Waldbühne auf, diesmal mit einem Konzert anlässlich ihres 30-jährigen Bühnenjubiläums. Sie präsentiert sich wie ein wahres Energiebündel. In der Folge reist sie gelegentlich zu Konzerten nach Polen, fast immer mit dem Auto und immer in Begleitung ihrer Managerin Anna. Zur gleichen Zeit kehrt sie auch in Deutschland auf die Bühne zurück, wo sie als „Cory Gun“ Lieder auf Deutsch und Englisch singt. Doch auf den Rückfahrten nach Wolfenbüttel, in Karins deutschen Alltag abseits des Showbusiness, macht die Musikerin auf ihre Managerin keinen wirklich glücklichen Eindruck.

Das 35-jährige Bühnenjubiläum feiert Karin Stanek bei einem Konzert in ihrer Geburtsstadt Bytom, initiiert von Stefan Papierowski, einem langjährigen treuen Fan. Zusammen mit der schlesischen Rock- und Bluesband Gang Olsena gibt Karin ein energiegeladenes Konzert auf der Bühne des Schlesischen Tanztheaters (Śląski Teatr Tańca), dem heutigen Kulturzentrum in Bytom (Bytomskie Centrum Kultury). Anlässlich dieses Jubiläums zeichnet der Regionalfernsehsender in Katowice eine Dokumentation auf mit dem umgewidmeten Titel „Tato, kup mi polskie dżinsy“ („Vater, kaufe mir eine polnische Jeans“). Bereits ein Jahr später, 1998, tritt Karin Stanek erneut in Bytom auf, diesmal auf der Bühne im Stadtpark. 2004 nimmt sie zusammen mit der Band Gang Olsena am Konzert zur 750-Jahr-Feier der Stadt Bytom teil.

Ein weiteres Konzert, bei dem Karin Stanek neben vielen anderen Megastars vor polnischem Publikum auftritt, fand Silvester 2000 auf dem Piłsudski-Platz in Warschau statt. 2003 kehrt die Managerin Anna Kryszkiewicz für immer zurück nach Polen, so dass sie Karin nicht mehr zur Verfügung steht, um sie mit dem Auto zu den Konzerten und zurück nach Hause zu fahren. Für Karin bedeuten diese Reisen mit Instrument und weiterem Gepäck eine immer größere Strapaze. Sie bekommt immer noch viele Einladungen aus Polen, aber sie wird sie bald nicht mehr wahrnehmen. Das letzte Mal tritt sie 2005 in Polen auf, und zwar in Szczecin.

Ab 2007 wird Karin Staneks Gesundheitszustand zusehends schlechter – sie nimmt keine Einladungen mehr an und zieht sich immer mehr aus dem Leben zurück. Zu dieser Zeit hat sie den intensivsten Kontakt zu ihrer Mutter, die ein paar Straßen weiter wohnt. 2011 kommt Karin wegen einer akuten Lungenentzündung ins Krankenhaus. Ihr durch vorangegangene Krankheiten geschwächter Körper ist nicht mehr in der Lage, sich zu wehren. Karin Stanek stirbt am 15. Februar 2011 um sieben Uhr morgens. Am 19. Februar wird sie auf dem Katholischen Friedhof Wolfenbüttel bestattet.

 

[9]   Anna Kryszkiewicz: Karin Stanek..., S. 236.

[10]   „Głos Wybrzeża“ vom 8 Juli 1991.

Bewahrtes Andenken

Anna Kryszkiewicz, die unermüdliche Managerin von Karin Stanek, und die treuen Fans der Sängerin pflegen das Gedenken an die „Königin der polnischen Beatmusik“ bis heute. Einen besonderen Beitrag leistet dabei Stefan Papierowski. Mit ihm war Karin Stanek befreundet, sie traf ihn mehrfach und stand mit ihm in Briefkontakt. Ihn bezeichnete sie als ihren „größten und treuesten Fan in Polen“; ihm schenkte sie eine Reihe persönlicher Erinnerungsstücke, darunter ihre Gitarre und Bühnenkostüme. All diese Dinge könnten künftig den Grundstock bilden für eine ständige Ausstellung oder einen Erinnerungsort für Karin Stanek, meint Stefan Papierowski, der als Karins „treuester Fan“ nebenbei Sonderausstellungen organisiert, Interviews gibt und Schulen in Schlesien besucht, um den Jugendlichen von der Entschlossenheit und dem Talent von Karin Stanek zu erzählen.

Die Schauspielerin und Sängerin Arleta gibt zusammen mit der Acoustic Warsaw Band an verschiedenen Orten in Polen Konzerte, auf denen sie die größten Hits von Karin Stanek mit großem Erfolg präsentiert. Anna Kryszkiewicz wiederum produzierte und veröffentlichte ein Triple-CD-Album „Karin Stanek – Autostopem z malowaną lalą“. Im Gedenken an Karin Stanek hat die Stadt Bytom den Platz vor dem örtlichen Kulturzentrum nach ihr benannt und dort eine ihr gewidmete Gedenktafel aufgestellt.

Darüber hinaus führte die Liga Kobiet Nieobojętnych (Liga der nicht gleichgültigen Frauen) aus Bytom zwei Jahre lang eine Spendenaktion durch, so dass 2013, zum 70. Geburtstag von Karin Stanek, eine Statue der charismatischen Sängerin aus Schlesien vor dem Kulturzentrum in Bytom enthüllt werden konnte, geschaffen vom Bildhauer Jacek Wichrowski.

2011, kurz nach dem Tod der Künstlerin, enthüllte Anna Kryszkiewicz in der Star-Allee in Opole den Karin-Stanek-Stern. Und in Szczecin, wo die Sängerin 1962 das erste Festival Junger Talente gewonnen hatte, wurde von Stefan Papierowski ein Stern mit ihrem Autogramm in der dortigen Star-Allee auf dem Grundstück der Villa Sorrento enthüllt.

Alina Moś-Kerger, Regisseurin aus Katowice, schuf 2013 ein bewegendes Monodrama über Karin Stanek. Die Rolle der Sängerin übernahm die Schauspielerin Agnieszka Wajs; für die musikalische Gestaltung sorgte Piotr Górka, ein bekannter Musiker in Schlesien.

Anna Kryszkiewicz würdigte ihre Freundin, mit der sie 40 Jahre lang zusammengearbeitet hat, mit der Biografie „Karin Stanek. Autostopem z malowaną lalą“ („Karin Stanek. Per Anhalter mit der angemalten Puppe“); sie wurde 1991 in Fortsetzungen in der Presse abgedruckt und ist 2015 als erweiterte Fassung im Warschauer Edipresse-Verlag erschienen. Kryszkiewicz ist auch verantwortlich für eine Internetseite unter der Adresse: karin-stanek.hpage.com. Stefan Papierowski seinerseits verwaltet die KARIN STANEK-Gruppe auf Facebook und veröffentlicht regelmäßig Material über die Sängerin auf seinem YouTube-Kanal.

 

Joanna de Vincenz, Juli 2022

 

Dieser Text entstand auf Grundlage des Buches von Anna Kryszkiewicz „Karin Stanek. Autostopem z malowaną lalą“, Warszawa 2015.

Die Autorin des Beitrags dankt Frau Anna Kryszkiewicz und Herrn Stefan Papierowski für ihre Gesprächsbereitschaft und für die Bereitstellung von Fotomaterial aus ihren persönlichen Archiven.

 

Diskografie

1962 – Karin Stanek, Czerwono-Czarni (P, Muza SP-323)

1962 – Karin Stanek, Czerwono-Czarni (Muza N-0209)

1963 – Karin Stanek, Czerwono-Czarni (EP, Pronit N-0257)

1963 – Karin Stanek, Czerwono-Czarni (EP, Pronit N-0289)

1964 – Karin Stanek, Czerwono-Czarni (Muza N-0303)

1966 – Czerwono-Czarni (LP, Muza SXL-0352)

1966 – Karin Stanek – Malowana lala (Syrena Record Company USA, LPS-1004)

1967 – Czerwono-Czarni – 17.000.000 (LP, Muza XL-0458)

1979 – Karin Stanek – Ich mag dich so wie du bist (TopSound, S-9001, Deutschland)

1979 – Karin Stanek – Das geballte Temperament mit der unerhörten Stimme (TopSound, Top-368, Deutschland)

1981 – CORY GUN – Let's have a party (Monopole, S-1931, Deutschland)

1982 – BLACKBIRD – Don't play that game with me (Aladin, A-1966, Deutschland)

1982 – BLACKBIRD – Tell me (Aladin, A-2770, Deutschland)

1985 – Karin Stanek – Tango Gitano (Tonpress, S-203 A)

1985 – Karin Stanek – Hey Schnucki (Tonpress, S-202)

1992 – Karin Stanek – Greatest Hits (Digiton, DIG-112)

1999 – Karin Stanek – Malowana lala, Galeria Polskiej Piosenki (Yesterday 83098812-2)

2002 – Karin Stanek – Jedziemy autostopem, Złota Kolekcja (Pomaton EMI 7243 5 39120 2 4)

2005 – Karin Stanek – SEX (NPR Records 09940, Deutschland)

2009 – Karin Stanek – Dziewczyna z gitarą (Muza, Polskie Nagrania PNCD-1275)

2011 – Karin Stanek – Autostopem z malowaną lalą 3 CD (Agencja Artystyczna MTJ, CD-90201)

 

 

Weitere Informationen im Netz:

https://karin-stanek.hpage.com/index.html

https://www.youtube.com/results?search_query=karin+stanek