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Der Sturm und seine polnischen Künstler 1910-1930

Titelseite Der Sturm, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

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Titelseite Der Sturm, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)
Titelseite Der Sturm, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

Warum es zwischen Walden und Przybyszewski zu keiner engeren Zusammenarbeit kam, ist nicht bekannt. Hinweise finden sich in zwei Briefen von Przybyszewski an den Schriftsteller und Maler Jerzy (von) Hulewicz (1886-1941), der seit 1917 in Posen die polnische Literatur- und Kunstzeitschrift Zdrój/Die Quelle herausgab und in der anfänglich neben Texten von Przybyszewski auch zahlreiche esoterische und theosophische Artikel erschienen.[24] Przybyszewski warnte Hulewicz im Frühjahr 1918 davor, die Zeitschrift Zdrój mit dem deutschen Expressionismus in Verbindung zu bringen: „Ich befürchte sehr, dass ‚Zdrój‘ eingehen wird, wenn man ihn ganz den Jungen überlässt […]. Anders verhält es sich mit ‚Action‘ oder ‚Sturm‘ – Zeitschriften, die ihren Mitarbeitern keinen Pfennig zahlen, ganz im Gegenteil, sie leben von deren Geld und können sich in einer Gesellschaft, die 64 Millionen Menschen zählt, alles erlauben.“ Und später: „Den Expressionismus suchen Sie in sich, nicht in ‚Stürmen‘ und ‚Die Aktion‘ – suchen Sie ihn in der Gotik – in der altchristlichen Kunst – in den Wundern der Romantik …“[25] Im Juni 1918 zeigte Hulewicz eigene Gemälde, Zeichnungen und Holzschnitte im Rahmen der polnischen Künstlervereinigung Bunt/Die Revolte in den Berliner Räumen der Zeitschrift Die Aktion,[26] die der Publizist Franz Pfemfert (1879-1954) 1911 nach dem Vorbild des Sturm gegründet und die dem Expressionismus mit zum Durchbruch verholfen hatte. Im September 1918 widmete die Aktion Hulewicz ein Sonderheft und eine Einzelausstellung.[27] Als die Künstler der Gruppe Bunt ab 1918 begannen, die Zeitschrift Zdrój zu dominieren, stellte Przybyszewski auch dort die Zusammenarbeit ein.

Waldens Verbindung zu Kokoschka und Loos seit dem Frühjahr 1909 war sicher mit dafür verantwortlich, dass sich Walden in dieser Zeit der bildenden Kunst zuwandte. Außerdem war er über die Schauspielerin Tilla Durieux (1880-1971) mit dem Kunsthändler Paul Cassirer (1871-1926) bekannt, den Durieux 1910 heiratete. Mit dem Verein für Kunst veranstaltete Walden bei Cassirer Konzerte. Im Oktober 1909 schrieb Loos an Walden in einem häufig zitierten Brief: „Maler Oskar Kokoschka will in Berlin eine Ausstellung veranstalten. Ich bürge für einen sensationellen Erfolg. Wäre bei Cassirer Platz?“[28] Im Juni und Juli 1910 feierte Kokoschka schließlich mit dreißig Gemälden und zusätzlichen Zeichnungen im Kunstsalon Cassirer in der Viktoriastraße 35 sein Deutschland-Debüt. Im Mai 1911 trat Walden im Sturm offen für die Dresdner Künstlergruppe Die Brücke ein, die anlässlich einer Ausstellung in Köln von der dortigen Presse angefeindet wurde. Er zitierte die Kölnische Zeitung, die vermutlich im Zusammenhang mit Erich Heckel schrieb: „Außerdem beteiligt sich als Gast ein Dresdner Maler, der […] in dem Zug des Perversen, mit dem er die Nacktheit darstellt, doch mit den anderen verwandt ist. Weder ihn noch diese möchten wir mit Namen nennen […] Die Bilder sind an Nichtsnutzigkeit der Zeichnung nicht zu übertreffen und bedeuten nichts anderes als grellbunte Spielereien von irgendwelchen Kannibalen.“ Walden fügte im Sturm hinzu: „Die Namen der ausstellenden Kannibalen lauten: Kuno Amiet, E. Heckel, E.L. Kirchner, Max Pechstein“ und zeigte auf dem Titel seiner Zeitschrift einen weiblichen Akt von Heckel, „Das schwarze Tuch“.[29]

An die Gründung der Sturm-Galerie erinnerte sich Nell Walden: Seine, Waldens, „Absicht im Rahmen der STURM-Zeitschrift Kunstausstellungen zu veranstalten, besprach er schon anfangs 1912 mit mir. Es handelte sich darum, Künstlern, bildenden Künstlern und Gruppen, wie z.B. ‚Der Blaue Reiter‘ aus München, die Möglichkeit zu Ausstellungen zu geben, die ihnen von den Kunstvereinen verwehrt wurden, weil sie zu revolutionär malten.“ Nach der Suche geeigneter Räume fand eine erste Ausstellung mit dem Blauen Reiter, Kokoschka, französischen Künstlern und dem polnischen Bildhauer Franz Flaum im März 1912 in der später abgerissenen Gilka-Villa in der Tiergartenstraße 34a statt, eine zweite im April mit der italienischen Gruppe der Futuristen, die an manchen Tagen bis zu eintausend Besucher hatte. Nachdem immer mehr Künstler und Gruppen um Ausstellungsmöglichkeiten nachsuchten, wurde eine dritte Ausstellung im Mai mit vorwiegend französischer Grafik in neuen Räumen in der Königin-Augusta-Straße 51 gezeigt. Ab dem Juni 1913 waren die Redaktion des Sturm, der im März 1910 gegründete Sturm-Verlag, Waldens Privatwohnung, die Ausstellungsräume, schließlich die Kunstsammlung und die Kunstschule des Sturm in sieben Wohnungen des Hauses Potsdamer Straße 134a untergebracht. 1917 wurde die Kunstbuchhandlung des Sturm einige Häuser weiter in der Potsdamer Straße 138a eröffnet.[30] Seit den ersten Ausstellungen rückte die bildende Kunst auch in den Fokus der Sturm-Zeitschrift.

 

[24] Bartelik 2005 (siehe Literatur), Seite 122

[25] Briefe von Stanisław Przybyszewski an Jerzy von Hulewicz, München, vor dem 10.2.1918 und 6.3.1918, publiziert von Głuchowska 2012 (siehe Literatur), Seite 461 (Übersetzung von der Autorin)

[26] Kunstausstellung der Aktion Berlin W, Kaiserallee 222. 1.-30.Juni 1918. Kollektiv-Ausstellung der polnischen Künstlervereinigung „Bunt“. Gemälde / Graphik / Plastiken. Verzeichnis der ausgestellten Werke, in: Die Aktion, 8. Jahrgang, Heft 21/22, Berlin, 1. Juni 1918, nach Spalte 286

[27] Sonderheft Jerzy v. Hulewicz, Die Aktion, VIII. Jahrgang, Heft 35/36; September: IX. Sonderausstellung: J. v. Hulewicz, Berlin 7. September 1918, nach Spalte 442, online: http://www.aaap.be/Pdf/Die-Aktion/Die-Aktion-08-1918.pdf

[28] Brühl 1983 (siehe Literatur), Seite 33; Oskar Kokoschka. Der Sturm. Die Berliner Jahre 1910-1916. Eine Dokumentation, herausgegeben von Werner J. Schweiger, Wien 1986, Seite 9; Günter Berghaus: Kokoschka’s „Murderer, Hope of Women“. An Early Specimen of Expressionist Theatre, in: Der Aufbruch in die Moderne. Herwarth Walden und die europäische Avantgarde, herausgegeben von Irene Chytraeus-Auerbach, Elke Uhl = Kultur und Technik, 24, Berlin 2013, Seite 43

[29] Der Sturm, Jahrgang 1911, Nr. 63, Berlin, 25. Mai 1911, Seite 499 f., online: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/sturm1911_1912/0055/image

[30] Walden 1954 (siehe Literatur), Seite 10-13