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Das Sammlerehepaar Joanna und Mariusz Bednarski redet über polnische Plakatkunst

Das Sammlerehepaar Joanna und Mariusz Bednarski in der Pigasus Polish Poster Gallery in Berlin, September 2015.

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    Pigasus-Gallery - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.
Das Sammlerehepaar Joanna und Mariusz Bednarski in der Pigasus Polish Poster Gallery in Berlin, September 2015.
Das Sammlerehepaar Joanna und Mariusz Bednarski in der Pigasus Polish Poster Gallery in Berlin, September 2015.

Als ich Ihre Galerie das letzte Mal besucht habe, berichteten Sie mir von Ihrer Sammlung polnischer Plakatkunst. Wann haben Sie angefangen zu sammeln?

M: Angefangen haben wir eigentlich unbewusst. Das Polen Anfang der Achtzigerjahre, ich war damals etwa sechzehn Jahre alt, war ziemlich düster und die Plakate waren eigentlich das einzig Bunte, was man im Straßenbild gesehen hat. Außerdem waren sie umsonst. Fast jeder Teenager in Polen hatte damals Plakate in seinem Zimmer. Wir waren damals noch keine richtigen Sammler. Ich bin einmal im Monat von Stettin nach Warschau gefahren, um Theater und Galerien zu besuchen, und jedes Mal, wenn ich in Warschau war, habe ich Plakate mitgebracht. Die Plakate gab es massenweise in den Kinos. Diese Reisen waren nicht einfach, denn die Zugfahrt von Stettin nach Warschau dauerte damals fast zwölf Stunden.

Wie viele unterschiedliche Titel umfasst Ihre Sammlung heute?

J: Das ist schwer zu sagen, etwa zwischen sechs- und siebentausend. Ich bin dabei, die Sammlung zu katalogisieren. Auf unserer Internet-Seite haben wir nur einen Teil eingestellt.

Druckfrische Plakate sind sehr empfindlich. Wie bewahren Sie Ihre Sammlung auf?

J: Vorwiegend in Metallschränken mit Schubladen, die wir gelegentlich auch gebraucht anschaffen und in denen die Plakate flach liegen. Einige konnten wir vom Polnischen Kulturinstitut übernehmen. Einige Plakate, von denen wir viele Exemplare haben, bewahren wir auch in Rollen auf, denn wir produzieren ja zu jeder Ausstellung hier in unserem Laden ein Plakat, das wir bei dem jeweiligen Künstler in Auftrag geben. Bei einer Plakatgalerie ist es nur logisch, für jede Ausstellung auch ein gutes Plakat zu haben. Die Auflagen betragen bei Offsetdrucken 250 Exemplare, die wir mit den Künstlern teilen. Bei Siebdrucken sind es 60 Exemplare.

Haben Sie in Ihrer Sammlung Lieblingsobjekte und gibt es besonders seltene Plakate?

M: Natürlich haben wir Lieblingsobjekte, und es gibt auch besonders seltene. Das ist nicht eine bestimmte Anzahl, sondern das sind Plakate von bestimmten Künstlern. Mein Favorit ist zum Beispiel Jan Lenica, der auch in Berlin tätig war, außerdem Henryk Tomaszewski. Über ihn gab es vor einem Jahr in Warschau eine wunderbare Retrospektive. Die Nationale Kunstgalerie Zachęta in Warschau hat praktisch sein gesamtes Werk gezeigt. Erst bei dieser Ausstellung habe ich angefangen, Tomaszewski zu verstehen. Er ist sehr minimalistisch.

Sie sammelten also seit den Achtzigerjahren. Aber zu welchem Zeitpunkt wurde daraus eine professionelle Sammlung?

M: Mit dem Internet natürlich. Wir haben, seitdem wir Ende der Neunzigerjahre einen Internetanschluss bekamen, erfahren, dass die Plakate nicht nur gesammelt und sondern auch gehandelt werden. Außerdem lernten wir einen Sammler aus Posen kennen, der jedes Wochenende nach Berlin kam, um Plakate aus seiner Sammlung auf dem Flohmarkt an der Straße des 17. Juni zu verkaufen. Über das Internet lernten wir auch andere Sammler kennen, und so fing ein intensiver Tausch unter den Sammlern an. Das ist bis heute ein Austausch mit einem halben Dutzend Sammlern, von denen die meisten in Polen leben. Intensiv arbeiten wir mit der Cracow Poster Gallery von Krzysztof Dydo zusammen.  J: Es gibt natürlich auch Besitzer von kleineren Sammlungen, die gelegentlich etwas doppelt haben. In Berlin gibt es zwei, einige auch in anderen deutschen Städten. Also vielleicht sind es doch eher zehn Sammler, zu denen wir einen intensiven Kontakt haben.

Haben Sie also die größte Sammlung?

M: Nein, die hat vermutlich der Schweizer René Wanner, der auch eine eigene Webseite hat und den man auf vielen Ausstellungen in ganz Europa trifft.

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen und was haben Sie beruflich gemacht?

M: Ich bin 1988 als Student nach Berlin gekommen. Ich habe in Polen Polonistik studiert. Hier musste ich das Abitur nachmachen und danach habe ich Osteuropastudien an der FU studiert. Dann war ich beim Polnischen Sozialrat als Sozialbetreuer für die polnischen Emigranten tätig, aber auch für die Kulturveranstaltungen zuständig. J: Ich bin im Sommer 1989 nach Berlin gekommen; da kannten wir uns schon lange.  Hätten wir vorher geheiratet, dann hätte Mariusz nicht ausreisen können. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, dass sich die Grenze bald öffnen würde. M: Bereits nach einem Jahr durfte ich wieder nach Polen. Nach anderthalb Jahren haben wir in Polen geheiratet und sind dann sofort zurück nach Deutschland gegangen. J: Ich habe da noch in Polen studiert. Ich bin Diplom-Mathematikerin. In Deutschland hatte ich mit diesem Studium jedoch auf wissenschaftlichem Gebiet keine Chance. Ich habe dann als Lehrerin gearbeitet. M: Die erste Galerie mit dem Namen „Sklep“ haben wir 1999/2000 in Schöneberg gegründet. Wir hatten schon in Polen viele Freunde, die Maler, Grafiker oder Kunsthandwerker waren. Mit denen haben wir dort Ausstellungen gemacht und auch schon polnische Plakate gezeigt. Nach etwa zwei Jahren konnten wir direkt neben dem Club der polnischen Versager in der Torstraße kostengünstig einen Laden mieten und haben dort die nächste Galerie eröffnet. Das war die erste Pigasus-Galerie. Dort haben wir ausschließlich Plakate und Musik-CDs verkauft. J: Mein Mann hat jahrelang als DJ gearbeitet, dadurch kam die Verbindung zur Musik. M: Ja, ich habe überall in Deutschland und auch in Holland als DJ die Musik aus Osteuropa aufgelegt. Ich habe dann immer mehr CDs aus Polen mitgebracht. Wir haben heute circa achttausend Titel, hauptsächlich polnische, aber auch eintausend russische und ukrainische CDs. Nach einem weiteren Umzug mit der Galerie sind wir dann im April 2012 in diesen Laden in der Danziger Straße gezogen.

Ist die polnische Plakatkunst ein teures Sammelgebiet?

M: Die Preise sind sehr unterschiedlich. Die teuersten polnischen Plakate sind die Filmplakate aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren zu bekannten Filmen. Damals haben nur die besten polnischen Plakatkünstler Plakate für die bekannten Filme gestaltet. Es gab eine Kommission. Vor jeder Filmpremiere wurde eine Vorführung für die Plakatkünstler veranstaltet, die dann die Entwürfe gemacht haben. Aus denen hat die Kommission einen Plakatentwurf ausgewählt. Anfänglich haben nur wenige Künstler an diesen Wettbewerben teilgenommen. In den Achtzigerjahren waren es schon bis zu einhundert. J: In Polen hat man für jeden Film, der gezeigt wurde, ein eigenes Plakat gedruckt. M: Plakate können sehr teuer sein, das geht in die Tausende. Das teuerste Plakat ist wohl das zu Hitchcocks Film „Die Vögel“ von Bronisław Zelek, mittlerweile eine Ikone für Grafikdesign und in jedem Handbuch abgebildet. Es wurde in den Neunzigerjahren in einem Londoner Auktionshaus für über 7000 Pfund verkauft.

Sie haben also einerseits Ihre Privatsammlung und in der Galerie verkaufen Sie Ihre Dubletten und CDs. Sie veranstalten aber auch regelmäßig Plakat-Ausstellungen. Wie viele Ausstellungen machen Sie im Jahr?

J: Wir versuchen, jeden Monat eine Ausstellung zu machen, was aber nicht immer gelingt. Die jetzige Ausstellung dauert zwei Monate. Wir versuchen, acht bis zehn Ausstellungen pro Jahr durchzuführen. Bislang haben wir hier dreiundsiebzig Ausstellungen gemacht, zu denen auch jedes Mal ein eigenes Plakat erschienen ist. Wir organisieren aber auch Ausstellungen außerhalb in Galerien, Museen und Kulturzentren. Im vorigen Jahr waren wir mit einer Ausstellung von siebzig Filmplakaten in Norwegen. In Berlin hatten wir 2004 eine Ausstellung mit Theaterplakaten von drei deutschen und drei polnischen Künstlern im Deutschen Herzzentrum, deren Verkaufserlös für Herzoperationen an Kindern gespendet wurde. M: In der Galerie zeigen wir sowohl Ausstellungen aus unserer Sammlung als auch Einzelausstellungen mit aktuellen Künstlern. Dann zeigen wir natürlich auch Plakate, die noch nicht in unserer Sammlung vertreten sind. 

Auf Ihrer Webseite verzeichnen Sie über einhundert Plakatkünstler mit teilweise ebenso vielen Abbildungen. Von Henryk Tomaszewski allein zeigen Sie 123 Plakate. Haben Sie schon alle Künstler erfasst und streben Sie Vollständigkeit an?

J: Vollständigkeit werden wir nie erreichen, denn es kommen immer neue Künstler hinzu. Allein Leszek Żebrowski, der zurzeit bei uns eine Ausstellung zeigt, hat über vierhundert Plakate entworfen. Von Tomaszewski gibt es zwischen 1500 und 2000 Plakate. Das ist eine  Lebensaufgabe. An der Webseite muss man jeden Tag arbeiten, Fotos vorbereiten und so weiter. Das ist keine enzyklopädische Auswahl. Wir zeigen zum Beispiel auf der Webseite junge Künstler, die vielleicht nur zwölf Plakate entworfen haben, während wir arrivierte Künstler wie Bronisław Zelek noch nicht berücksichtigen konnten. 

1948 wurde Henryk Tomaszewski auf der Internationalen Plakatausstellung in Wien mit fünf von neun zu vergebenen Preisen ausgezeichnet.

M: Ja, das war der Beginn der polnischen Plakatkunst nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer ganz neuen Ästhetik.

Was waren diese neuen bahnbrechend wirkenden Gestaltungselemente?

J: Die individuelle Handschrift der Künstler war unverkennbar. M: Das war das eine. Die Handschrift von Tomaszewski war einzigartig. Dann war es das Metaphorische. Filmthemen wurden nicht einfach ins Bild übertragen, sondern metaphorisch verschlüsselt, abstrahiert. Die Plakate waren poetisch, metaphorisch und abstrakt. Sie haben das Thema des Films nicht direkt behandelt, es gab keine Schauspielerporträts, keine Filmszenen wie in Hollywood-Plakaten, sondern es gab abstrakte oder expressive Bildzeichen. Tomaszewski wurde in seiner Zeichensprache immer sparsamer. Seine letzten Plakate bestanden nur aus wenigen Zeichen. Damit hatte ich zuletzt Probleme. Ich verstand seine Zeichen nicht mehr. Erst als ich in der Ausstellung sein ganzes Werk gesehen habe, seine Buchumschläge, einen Film über ihn, da habe ich die Wirkung der Zeichen verstanden. Es muss nicht das Porträt von Liza Minelli auf einem Filmplakat sein. Auch ein Zeichen kann Aufmerksamkeit erregen und Inhalte verschlüsseln. J: Das heißt natürlich nicht, dass die Öffentlichkeit auch die Plakate verstanden hat. Wenn es einen neuen Film gab, dann habe ich hinterher noch einmal das Plakat angeschaut. Das Plakat hat dem Film noch eine zusätzliche Bedeutung gegeben. M: In der Provinz hat man die Plakate sicher nicht so verstanden und gewürdigt. International wurde die polnische Plakatkunst schon im ersten Jahr nach dem Wiener Wettbewerb populär. Es erschienen Bücher, unter anderem von Jan Lenica, und internationale Zeitschriften wie Graphis in der Schweiz widmeten ganze Ausgaben dem polnischen Plakat.

Waren die Filmplakate der wichtigste Bereich der polnischen Plakatkunst?

J: Ja, aber nicht nur. Es gab natürlich auch Theater- und Opernplakate. M: Für andere Bereiche wie Produktwerbung oder Mode gab es keine Plakate, das brauchte man nicht. J: Es gab wohl Plakate für Moda Polska, aber die waren für Auslandsmessen gedacht. Im sozialistischen Polen gab es allgemein keine Werbung, und für Konsum sowieso nicht. Der Gedanke bei den Filmplakaten, die von den Kommissionen ausgewählt wurden, war nicht die Werbung, sondern die Kunst. Plakatkünstler im sozialistischen Polen hatten im gewissen Sinn eine größere künstlerische Freiheit als in kapitalistischen Ländern, da sie nicht dem Diktat der Werbung unterworfen waren. Sie mussten sich natürlich politisch vorsehen. Zirkus-Plakate waren ein weiteres interessantes Gebiet. M: Der politische Druck war natürlich trotzdem groß. Jedes Plakat musste durch die Zensur. Bei manchen Plakaten wissen wir nicht, weshalb sie überhaupt existieren, denn einige Plakate sind politisch ziemlich kritisch. Es gab natürlich auch offizielle Propaganda-Plakate. Zu jedem Jahrestag der Volksrepublik Polen gab es Plakate, es gab Lenin-Plakate und so weiter. Einzelne Künstler waren darauf spezialisiert, andere hätten so etwas nie gemacht. 

Gab es Plakate der Solidarność-Bewegung?

M: Ja, aber die entstanden spontan mit dem heute noch bekannten Schriftzug. Von Tomasz Sarnecki gibt es das berühmte Plakat zu den ersten freien Wahlen. 1989 ging es dann mit den polnischen Filmplakaten zu Ende. Als die großen amerikanischen Filmkonzerne wie Warner und Columbia nach Polen kamen, brachten die ihre eigenen Plakate mit. Aber für kleine Filmvertriebe und für Offkinos entstehen auch heute noch Filmplakate. Die Auflagen sind natürlich geringer. In den Achtzigerjahren bewegten sich die Auflagen zwischen 6000 und 22.000, heute sind es dreihundert. Seit 1989 gibt es auch keine Zirkus-Plakate mehr. Erst mit der Privatisierung entstanden wieder neue Aufgaben für die Plakatkunst. Heute gibt es viele private Theater, die vom Staat unterstützt werden und für die auch wieder Plakate gemacht werden. Heute ist eher das Problem, dass sich die Privattheater die Werbeflächen in der Stadt nicht mehr leisten können.

In vielen Museumssammlungen bilden Plakate aus der Zeit des Jugendstils einen wichtigen Bestand. Haben Sie solche Plakate in Ihrer Sammlung?

M: Nein. Diese Objekte sind zu teuer. Das waren Lithographien mit geringen Auflagen.

Wie beurteilen Sie die neueste polnische Plakatkunst?

M: Es gibt heute zwei Strömungen: Einerseits gibt es Designer, die mit der alten Schule der polnischen Plakatkunst nichts mehr zu tun haben und auch nicht Plakatkünstler genannt werden wollen. Sie orientieren sich international und arbeiten ausschließlich mit Computerprogrammen. Und es gibt eine zweite Strömung: Das sind Künstler, die sich an der sogenannten Polnischen Plakatschule orientieren und deren größte Vorbilder Tomaszewski oder Lenica sind. Selbst wenn sie mit Computern arbeiten, haben sie häufig Malerei studiert. Dort entstehen auch heute noch großartige Plakate. J: Bei den Designplakaten gibt es keine Handschrift, nichts Individuelles. Es gibt natürliche auch dort gute Lösungen und man entdeckt die Faszination am jeweiligen Thema. Aber man kann nicht mehr erkennen, wer der jeweilige Künstler ist. Die Designer orientieren sich am jeweiligen Auftraggeber.

 

Literatur:

Krzysztof Dydo / Agnieszka Dydo: PL 21. Polski plakat 21 wieku / The Polish poster of the 21st century, Krakau 2008

Zdzisław Schubert (Hrsg.): Plakat musi śpiewać! / The poster must sing!, Nationalmuseum Posen / Muzeum Narodowe w Poznaniu, Poznań 2012

Dorota Folga-Januszewska: Ach! Plakat filmowy w Polsce, Lesko, 2. Auflage 2015