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Der Sturm und seine polnischen Künstler 1910-1930

Titelseite Der Sturm, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

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Titelseite Der Sturm, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)
Titelseite Der Sturm, 13. Jahrgang, 2. Heft, Berlin 1922, mit einer Zeichnung von Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Władysław Markus, 1878-1941)

Louis Marcoussis (1878-1941), mit bürgerlichem Namen Ludwik Kazimierz Władysław Markus, einer der frühesten Vertreter des französischen Kubismus und Mitglied der École de Paris, war auf dem Ersten Deutschen Herbstsalon 1913 in Berlin mit drei Arbeiten vertreten, und zwar mit einem nicht näher bezeichneten Bild mit dem Titel „La Maminette“ sowie zwei Stillleben (PDF 13), und auf der gleichzeitig im November im Sturm in der Potsdamer Straße stattfindenden Neunzehnten Ausstellung: Expressionisten / Kubisten / Futuristen mit einem Werk, „Die rote Geige“ (PDF 16). Der Künstler stammte, soweit bekannt, aus einer wohlhabenden und gebildeten jüdischen, katholisch getauften Warschauer Familie.[54] Ein Jura-Studium hatte er abgebrochen, um von 1900 bis 1902 an der Akademie der bildenden Künste/Akademia Sztuk Pięknych in Krakau bei Jan Stanisławski (1860-1907) und Józef Mehoffer (1869-1946) Malerei zu studieren. Wohl 1903 ging er zum Weiterstudium zu Jules-Joseph Lefebvre (1834-1912) an die Académie Julian nach Paris, blieb dort jedoch nur drei Monate und ließ sich anschließend endgültig in Paris nieder. 1905 zeigte er erstmals Werke im Salon d’Automne, 1906 im Salon des Indépendants. Seine in Polen begonnene Tätigkeit als Zeichner und Karikaturist für das Warschauer Satiremagazin Mucha und die Krakauer Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, Liberum Veto, setzte er in Paris zum Lebensunterhalt fort, wo er für das Magazin La Vie Parisienne, eine Kulturzeitschrift mit erotischen Illustrationen, und das Satiremagazin L'Assiette au beurre arbeitete.[55] Schnell schloss er sich der Künstler-Boheme auf dem Montmartre und dem Montparnasse an, knüpfte Freundschaften mit den Schriftstellern Jean Moréas, Alfred Jarry und Apollinaire sowie den Malern Edgar Degas und Roger de La Fresnaye. In Landschaften und Figurenszenen orientierte er sich am Impressionismus und den Fauves. 1907 zerstörte er jedoch in einer Schaffenskrise seine bislang geschaffenen Werke.

Auf den Rat von Apollinaire hin, der selbst polnisch-italienischer Abstammung war und eigentlich Wilhelm Albert Włodzimierz Apolinary de Wąż-Kostrowicki hieß, änderte er 1910 seinen Namen von Ludwik Markus in Louis Marcoussis und schloss sich den Kubisten um Braque, Gris, Metzinger, Gleizes und Picasso an. Auch der Maler und Dichter Max Jacob und der Kunstkritiker André Salmon gehörten zu seinen Freunden. 1912 stellte er wieder seine Werke im Salon d’Automne, im selben Jahr im Salon der kubistischen Section d’or in der Galerie La Boétie und 1913/14 im Salon des Indépendants aus. Während dieser Zeit schuf er Porträts, Stadtansichten und Stillleben in gedämpftem Kolorit, häufig verdichtet auf Schwarz, Grau und Braun, mit prismatisch verschnittenen Ebenen, willkürlichen räumlichen Beziehungen und der collageartigen Verwendung von Fragmenten aus Schrift und fotografischen Aufnahmen in der Art des Synthetischen Kubismus. 1913 heiratete er die polnische Malerin Alicja Halicka (1894-1975), die in Krakau an der privaten Kunstschule für Frauen von Maria Niedzielska/Szkoła Sztuk Pięknych dla Kobiet Marii Niedzielskiej und in München studiert hatte und sich nach ihrer Heirat ebenfalls den Kubisten anschloss. Er pflegte Kontakte zur polnischen Kolonie in Frankreich, beteiligte sich an Ausstellungen polnischer Kunst und an Aktionen zur Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit. 1914 trat er in die Fremdenlegion ein und kämpfte bis 1919 in polnischen Kompanien. Im Februar 1920 war in der Gesamtschau der Dreiundachtzigsten Ausstellung des Sturm erneut das Gemälde „Die rote Geige“ zu sehen (PDF 17). Im Juni-Heft der Sturm-Zeitschrift reproduzierte Walden eine Zeichnung von ihm aus seiner Phase des Synthetischen Kubismus (Abb. 2) neben Arbeiten von Gleizes, Chagall und Kurt Schwitters.

Im Dezember 1919 kam Marcoussis in Kontakt mit der Gruppe der polnischen Formisten/Formiści, die sich 1917 auf der Basis einer seit 1910 bestehenden Bewegung für einen polnischen Expressionismus neu zusammengefunden hatte, bis 1922 bestand und sich jetzt am Kubismus orientierte. Der Mitherausgeber der 1919 gegründeten gleichnamigen Zeitschrift, Formiści, der in Krakau ansässige Maler, Dichter und Kunstkritiker Tytus Czyżewski (1880-1945), wandte sich per Brief an Marcoussis mit der Bitte, künstlerische Kreise in Paris über die Formisten zu informieren und gleichzeitig als Auslandskorrespondent für die Zeitschrift Berichte über die aktuellen Kunstströmungen in Frankreich zu verfassen. In einem Brief vom Dezember 1919, der in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift im April 1920 veröffentlicht wurde, bestätigte Marcoussis, er habe polnische und französische Künstlerkollegen informiert, und berichtete über aktuelle französische Zeitschriften der künstlerischen Avantgarde. Außerdem schickte er Reproduktionen von Werken in Paris lebender polnischer Künstler nach Krakau, unter anderem von seiner Frau, Alicja Halicka, von Moise Kisling, Henryk Hayden, sowie ein von ihm selbst geschaffenes Porträt von Apollinaire, die in der Zeitschrift abgebildet wurden.[56] 1919, 1921 und 1923 reisten er und Halicka nach Polen.

 

[54] U. Makowska: Marcoussis, Louis, in: De Gruyter Allgemeines Künstlerlexikon, Band 87, Berlin, Boston, 2015, Seite 169 f.; Nieszawer 2015 (siehe Literatur), Seite 228-230 / 437; Irena Kossowska: Louis Marcoussis (Ludwik Kazimierz Markus), auf: polona.pl (2004), https://culture.pl/pl/tworca/louis-marcoussis-ludwik-kazimierz-markus; Kindlers Malerei Lexikon im dtv, Band 9, München 1976. – Arbeiten von Marcoussis in deutschen Museen: Stillleben (Le Pyrogène Byrrh), 1914, Öl auf Leinwand, 41 x 27 cm, Inv. Nr. B 288, Kunsthalle Bielefeld; Stillleben mit Schädel, um 1925, Öl auf Leinwand, 65 x 54 cm, Inv. Nr. 876-1963/4, Kunsthalle Bremen; La Grappe de Raisins (Die Weintraube), 1920, Gouache, 30,5 x 43 cm, Wallraf-Richartz-Museum, Köln; Stillleben mit Messer, 1928, Öl auf Leinwand, 73 x 116 cm, Inv. Nr. 458/45, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen; Stillleben, 1920, Hinterglasmalerei, 51,5 x 35 cm, Inv. Nr. NI 1514, Saarlandmuseum, Saarbrücken (Hans F. Schweers: Gemälde in Museen. Deutschland, Österreich, Schweiz, Teil I, Band 2, München 2008).

[55] Im Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie befinden sich 41 satirische Zeichnungen von Marcoussis/Markus aus der Zeit 1900-1905 (U. Makowska 2015, siehe Anmerkung 54).

[56] Przemyslaw Strożek: The Magazine Formiści and the Early International Contacts of the Polish Avant-Garde (1919–1921) [zuerst publiziert 2013 in: Rocznik Historii Sztuki, Band XXXVIII], auf der Webseite des Courtauld Institute of Art, London, https://courtauld.ac.uk/research/courtauld-books-online/a-reader-in-east-central-european-modernism-1918-1956/7-the-magazine-formisci-and-the-early-international-contacts-of-the-polish-avant-garde-1919-1921-przemyslaw-strozek#_ednref32