Helena Bohle-Szacki. Mode – Kunst – Erinnerung
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Interview mit Helena Bohle-Szacki, 2012
Kunst
Es war Anfang der 1970er Jahre, als sie begann, sich ernsthaft mit der Kunst zu befassen. Bis zu ihrem Tod schuf sie mehr als 300 Zeichnungen auf Papier und Karton. Ihr künstlerisches Oeuvre umfasst mehrere Motivbereiche, die sich zum Teil wesentlich voneinander unterscheiden: Es sind geologisch oder organisch inspirierte Bilder, Bildnisse von Bäumen und Landschaftsausschnitten bis zu abstrakten geometrischen Kompositionen. (Abb. 8-24). Doch die Entwicklung verlief nicht linear, und die Künstlerin griff abwechselnd verschiedene Themen auf, vermischte sie, ließ mal das Erzählerische im Bild den Vorrang gewinnen, mal widmete sie sich betonter abstrakten Fragen. „Ich bemühe mich zum Beispiel mit Hilfe einer falschen, verrückten Perspektive bestimmte Dynamik und Tiefe zu erreichen. Doch mittels dieses formalen Problems möchte ich zugleich meine eigene Welt zum Ausdruck bringen. In allem, was ich mache, steckt große Achtung gegenüber dem Kosmos, zugleich ist es auch eine vage geahnte Mystik und die Erkenntnis, dass unser kleines Dasein nicht so wichtig ist“, meinte die Künstlerin.[11]
Kunstkritiker, Künstler, und Publizisten, die sich zum Werk Helena Bohle-Szackis äußerten, suchten unterschiedliche Zugänge zu ihrer Bilderwelt, zogen Metaphern heran und formulierten ihre eigenen Interpretationen, die manchmal nicht ganz übereinstimmen.
Katarzyna Siwerska, Kunsthistorikerin und Mitkuratorin der Ausstellung „Helena Bohle-Szacka. Mosty / Die Brücken“, die von Juni bis August 2017 in der Białystoker Galeria Sleńdzińskich gezeigt wurde, schreibt über erste Berliner Arbeiten von Bohle-Szacki: „Was die abstrakten Bilder aus den 1970er und dem Anfang der 1980er Jahre auszeichnet, ist ihre offene Komposition. Manche Elemente sehen so aus, als würden sie jeden Augenblick vom Blatt abfließen wollen. Sie zeichnet Kokons, Knoten, biomorphe Flecken, deren stromlinienförmige Umrisse den Formen in der Natur ähneln. Die deformierten Figuren sind wie Auswüchse, Neubildungen, Ausartungen. Die Künstlerin verwischt die Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Pflanzlichen.“[12] Der Schriftsteller und Journalist Andrzej Więckowski, Verfasser des Katalogtextes anlässlich ihrer Berliner Ausstellung im Jahre 1994, bemerkt indes: „In ihren frühen Arbeiten befasste sich die Künstlerin mit der inneren Dynamik der Formen, als ertappte sie die Evolution beim Übergang von der geologischen in die biologische Form“.[13]
Während der ersten Schaffensperiode schuf Helena Bohle-Szacki Bilder in gemischter Technik: sie zeichnete mit der Feder, fertigte Collagen mit weißem Seidenpapier oder Alufolie an, versah die Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit roten fleckartigen Elementen oder Streifen. Mit der Zeit wich das biologisch Abstrakte und das Farbige den in Schwarz und Weiß gezeichneten figurativen Motiven: Auf der Bildfläche erschienen Baumstämme und abgerissene Baumzweige, Felsenformationen, Steine. Gleichzeitig griff die Künstlerin zunehmend auf die Geometrie zurück, die immer öfter das scheinbar Realistische begleitete. Nicht zuletzt schuf sie immer wieder abstrakte geometrische Kompositionen.
Eine große Bildergruppe umfasst Arbeiten mit dem akribisch gezeichneten Motiv des Baumes, natürlich angereichert mit geometrischen Akzenten. „Bäume Helena Bohle Szackis sind immer einzeln dargestellt, manchmal vor dem Hintergrund einer rauen Felsenlandschaft. Einige sind in einem rechteckigen Rahmen eingeschlossen. In der Mitte des Blattes platziert wirken sie desto stärker in ihrer Isoliertheit, in der sie umgebenden Leere. Werden sie durch geometrische Figuren abgegrenzt, so scheinen sie ihres Atems, ihres Bezugs beraubt“, so Katarzyna Siwerska[14], die in der Einsamkeit der nicht selten verkrüppelten Bäume ein fernes Echo des Biographischen sieht.
Anders beschreibt die Beziehung zwischen dem Abstrakten und dem Figurativen Andrzej Więckowski: „Bäume, Steine oder Berglandschaften in diesen Graphiken erzählen nicht von ihrer realistisch aufgefassten Anmut, sondern nehmen, den Dreiecken, Kreisen, Quadraten und geometrischen Körpern gleich, teil an der Genesis der Formen. Sie sind nicht real, sondern ideal. Sie sind eher die Ideen der Bäume, der Steine oder der Berglandschaften, entstanden aus den ursprünglichen und universalen geometrischen Formen.“[15]
[11] Gespräch 1, a.a.O.
[12] Katarzyna Siwerska, Sztuka, in: Helena Bohle-Szacka. Lilka. Mosty / Die Brücken, Hrsg. M. Różyc, Białystok 2017, S. 85–91.
[13] Andrzej Więckowski, Graphische Traktate von Helena Bohle-Szacki, in: Helena Bohle-Szacki, Ausstellungskatalog, o.J., [Polnisches Kulturinstitut Berlin, 1994].
[14] Katarzyna Siwerska, a.a.O.
[15] Andrzej Więckowski, a.a.O.