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Helena Bohle-Szacki. Mode – Kunst – Erinnerung

Helena Bohle-Szacki, 1960er Jahre

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  • Abb. 1: Wohnung von Helena Bohle-Szacki in Berlin - Wohnung von Helena Bohle-Szacki in Berlin
  • Abb. 2: Studienbuch von Helena Bole - Studienbuch von Helena Bole, Staatliche Hochschule für bildende Künste in Lodz
  • Abb. 3: Helena Bole während des Studiums, 1950er Jahre - Helena Bole während des Studiums, 1950er Jahre
  • Abb. 4: Entwurf für das Modehaus Telimena - Entwurf für das Modehaus Telimena, Zeichnung von Helena Bohle-Szacki, 1960er Jahre
  • Abb. 5: Sommerkollektion, Modehaus Leda, 1966 - Sommerkollektion, Modehaus Leda, 1966
  • Abb. 6: Helena Bohle-Szacki (2. v. l.) und ihre Models - Helena Bohle-Szacki (2. v. l.) und ihre Models, Modehaus Leda, 1960er Jahre
  • Abb. 7: Plakat zur Veranstaltung in der Topographie des Terrors - Plakat zur Veranstaltung in der Topographie des Terrors am 27.2.2018
  • Abb. 8: Helena Bohle-Szacki, Der Weg, 1973 - Helena Bohle-Szacki, Der Weg, Tusche auf Papier, 1973
  • Abb. 9: Helena Bohle-Szacki, ohne Titel, 1976 - Helena Bohle-Szacki, ohne Titel, Tusche und Papier auf Karton, 1976
  • Abb. 10: Helena Bohle-Szacki, Komposition 1, 1976 - Helena Bohle-Szacki, Komposition 1, Tusche und Papier auf Karton, 1976
  • Abb. 11: Helena Bohle-Szacki, Komposition 2, 1976 - Helena Bohle-Szacki, Komposition 2, Tusche und Papier auf Karton, 1976
  • Abb. 12: Helena Bohle-Szacki, Komposition, 1984 - Helena Bohle-Szacki, Komposition, Tusche und Seidenpapier auf Karton, 1984
  • Abb. 13: Helena Bohle-Szacki, Ödland, 1989 - Helena Bohle-Szacki, Ödland, Tusche auf Karton, 1989
  • Abb. 14: Helena Bohle-Szacki, Dunkler Baum, 1987 - Helena Bohle-Szacki, Dunkler Baum, Tusche auf Karton, 1987
  • Abb. 15: Helena Bohle-Szacki, Weiter nach Osten II, 1990 - Helena Bohle-Szacki, Weiter nach Osten II, Tusche auf Karton, 1990
  • Abb. 16: Helena Bohle-Szacki, Bedrohung II, o.J. - Helena Bohle-Szacki, Bedrohung II, Tusche auf Karton, o.J.
  • Abb. 17: Helena Bohle-Szacki, Öffnung, 1989 - Helena Bohle-Szacki, Öffnung, Tusche auf Karton, 1989
  • Abb. 18: Helena Bohle-Szacki, Gefangen, 1998 - Helena Bohle-Szacki, Gefangen, Tusche auf Karton, 1998
  • Abb. 19: Helena Bohle-Szacki, Weggang, 1990 - Helena Bohle-Szacki, Weggang, Tusche auf Karton, 1990
  • Abb. 20: Helena Bohle-Szacki, Anfang von Ende, 1992 - Helena Bohle-Szacki, Anfang von Ende, Tusche auf Karton, 1992
  • Abb. 21: Helena Bohle-Szacki, Immer weiter, 1995 - Helena Bohle-Szacki, Immer weiter, Tusche auf Karton, 1995
  • Abb. 22: Helena Bohle-Szacki, Nordwind, 1994 - Helena Bohle-Szacki, Nordwind, Tusche auf Karton, 1994
  • Abb. 23: Helena Bohle-Szacki, Leichentuch, 1989 - Helena Bohle-Szacki, Leichentuch, Tusche auf Karton, 1989
  • Abb. 24: Helena Bohle-Szacki, Ausgang II, 1999 - Helena Bohle-Szacki, Ausgang II, Tusche auf Karton, 1999
  • Abb. 25: Zeichnung von Helena Bohle-Szacki, 1944 - Zeichnung von Helena Bohle-Szacki, entstanden 1944 im KZ-Außenlager Helmbrechts, Bleistift auf Papier, Fotografie
  • Abb. 26: Helena Bohle-Szacki, Ohne Titel, 1950er Jahre - Helena Bohle-Szacki, Ohne Titel, Entwurf einer Illustration für Erzählungen von T. Borowski, Lithographie, 1950er
  • Abb. 27: Helena Bohle-Szacki, Ohne Titel, 1950er Jahre - Helena Bohle-Szacki, Ohne Titel, Entwurf einer Illustration für Erzählungen von T. Borowski, Lithographie, 1950er
  • Interview mit Helena Bohle-Szacki, 2012 - Helena Bohle-Szacki. Ausschnitte aus einem vierstündigen Video-Interview von 2005, Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945", Dauer 8:57 Minuten, Konzeption, Bearbeitung und Schnitt: Tobias Kilgus, Cord Pagenstecher (Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945.)

    Interview mit Helena Bohle-Szacki, 2012

    Helena Bohle-Szacki. Ausschnitte aus einem vierstündigen Video-Interview von 2005, Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945", Dauer 8:57 Minuten, Konzeption, Bearbeitung und Schnitt: Tobias Kilgus, Cord Pagenst...
Helena Bohle-Szacki, 1960er Jahre
Helena Bohle-Szacki, 1960er Jahre

Erinnerung
 

Helena Bohle-Szacki beteiligte sich zwar 2005 an einem großen Befragungsprojekt[21], ließ sich mehrmals interviewen und trat öffentlich auf, betrachtete aber nie die Opferrolle als identitätsstiftend. Sie bewahrte stets Distanz zum Erlebten, genauso wie einen gewissen Humor, und stellte das erfahrene Grauen nicht in den Vordergrund. Jahrzehnte lang fand sie kein Bedürfnis, wahrscheinlich auch keine Kraft, ihre dramatischen Erlebnisse der Umwelt mitzuteilen. Verheimlich hat sie sie nicht, doch es war ihr kein besonderes Thema, kein Schwerpunkt ihrer Existenz. Dies änderte sich allmählich im Laufe der Jahre. Ganz bewusst nahm sie die Rolle einer Zeitzeugin erst dann an, als sie wegen der Augenschwäche (späte Folge des Lageraufenthalts) nicht mehr künstlerisch tätig werden konnte. Der wichtigste Grund, ein Zeugnis abzulegen, war aber die Verpflichtung gegenüber den nicht mehr lebenden Opfern und zugleich gegenüber der Nachwelt.

Dieser Lebensweg wurde durch die Geschichte Polens und Europas im 20. Jahrhundert bestimmt. Die 1928 im polnischen Białystok geborene Helena, deren Vater deutscher und Mutter jüdischer Abstammung war, erlebte in Zeiten des Krieges Bedrohung, Angst und Verlust. Ihre Mutter musste im Versteck leben, ihr Vater half waghalsig den Geflüchteten aus dem Białystoker Ghetto, ihre jüdische Halbschwester wurde auf der Straße gefasst und ermordet. Sie selbst, verhaftet im Frühjahr 1944, wurde nach einigen Wochen Gefängnis ins Konzentrationslager Ravensbrück überstellt und ging dann mit einem Transport nach Helmbrechts in Oberfranken, wo ein Außenlager des KZ Flossenbürg eingerichtet wurde. Hunger und Gewalt, Erniedrigung und Entmenschlichung gehörten zum Alltag der Lagerwelt. Möglichkeiten, sich zu bewahren und zu widersetzen, gab es nicht viel, und sie erforderten Mut und Kraft. Helena Bohle-Szacki fand sie in einer Freundschaft, aber auch in der in ihr schlummernden Fähigkeit zu zeichnen. Im kleinen KZ-Außenlager, das eigens dafür eingerichtet wurde, die Arbeitskraft für den örtlichen Rüstungsbetrieb zu sichern, begann sie, kleine Zeichnungen anzufertigen. Das waren vor allem Heiligenbilder mit verklärten, schönen Gesichtern, die den geschundenen Mithäftlingen Trost und Hoffnung spenden sollten. (Abb. 25)Für sie selbst war das möglicherweise der erste Impuls für ihr späteres Schaffen.

Nach einem grauenvollen Todesmarsch am Ende des Krieges wurden die Frauen befreit, und die 17-jährige, abgemagerte und geschwächte Helena schaffte, nicht ohne Schwierigkeiten, nach Polen zurückzukehren. Das Zuhause in Białystok gab es nicht mehr, die Familie musste ihre Existenz in Lodz von Null an aufbauen. Von mehreren Krankheiten geplagt konnte Helena doch das Studium der Graphik aufnehmen und abschließen. Nur einmal befasste sie sich künstlerisch mit der Lagerwelt: Sie fertigte einige Zeichnungen an, die die Erzählungen von Tadeusz Borowski illustrieren sollten. (Abb. 26, 27) „Die Kohlezeichnungen auf Karton wurden nie verwendet, stellen jedoch einen eigenen Stil dar, der sich von dem übrigen Schaffen deutlich unterscheidet. Namenlose, entmenschlichte Häftlinge ohne individuelle Gesichter wurden mit einem unruhigen, vibrierenden Strich konturiert. […] Es ist eine chaotische Schichtung von Bildern und Erinnerungen, die unvorstellbare Furcht erwecken“[22], schreibt Katarzyna Siwerska. Nach dieser einen Episode war die Lagererfahrung für sie Jahrzehnte lang kein Thema mehr – in der Kunst wie auch im Leben. 

Ihre späte, reflektierte Erzählung zielte darauf, das Unmenschliche des nationalsozialistischen Systems vor die Augen zu führen. Sie sagte: „Heute kann ich sagen, es ist gut, dass ich das erlebt habe. Alles war an der Grenze zwischen Leben und Tod, aber ich lebe. Dabei habe ich einiges dazu gelernt. Mit aller Sicherheit weiß ich, dass es unzulässig ist, einen Menschen in extreme Situationen zu versetzen. Mir ist es gelungen, standhaft zu bleiben, doch ich sah, wie wunderbare Menschen zusammenbrachen. Das war das Perfide an der Lagerstruktur. Nicht selten hatten die Menschen nur eine Wahl: entweder eine Gemeinheit oder der Tod. Und dann entschieden sich ganz wenige für den Tod. Das war aber nicht ihre Schuld, es war das System, das den Menschen vernichtete. Das Lager zwang dazu, Entscheidungen zu treffen, die unmenschlich waren.“[23]

Ihre Erinnerung prägte ebenfalls das Gefühl, anders zu sein, von ihrer Kindheit an, da sie nicht zur katholischen Mehrheit der Schülergemeinschaft gehörte, bis zu ihrem Leben in der Fremde. Vielleicht gerade deswegen war sie bedingungslos offen gegenüber allem Andersartigen, und ihr Zuhause wurde zu einem Refugium für Emigranten, Künstler und Unangepasste allerlei Nationalitäten. Obwohl sie sich eindeutig zur polnischen Kultur zugehörig fühlte, wehrte sie jegliche nationale Zuschreibungen ab. Eine Art Brücke zwischen Erinnerung und Kunst im Leben von Helena Bohle-Szacki stellt ein schmaler Bildband „Spuren, Schatten“ dar, den sie herausgegeben hat. Die kurzen notizartigen Texte, die ihre Bilder begleiten, gewähren Einsicht in die Gedankenwelt der Künstlerin. Sie schreibt: „Mitten in der Nacht wache ich schweißgebadet auf, erschrocken, mein eigener Schrei weckt mich auf, ich schaue in die Dunkelheit, horche auf die Geräusche des alten Hauses und zugleich wünsche ich mir so sehr, dass die Geister wieder lebendig wären.“[24] Einige Seiten weiter lesen wir: „Ruhig zu werden, ohne aufzugeben, danach sehne ich mich.“[25] Diesen Zustand hat sie wohl erreicht.

Die Bedeutung Helena Bohle-Szackis lässt sich nicht auf einen Bereich ihres Tuns reduzieren, sie gründet geradezu in der vielschichtigen Komplexität ihres Lebens. So lebt Helena, genannt Lilka, in Erinnerung ihrer Mitmenschen weiter, und so soll sie der Nachwelt erhalten bleiben: als eine außerordentliche, lebensbejahende Frau, deren Geschicke durch Geschichte, Mode und Kunst gekennzeichnet waren. Betonen muss man dabei etwas, wodurch ihre Persönlichkeit besonders stark geprägt war: Sie verfügte über eine seltene Gabe, andere mit ihrer menschlichen Wärme, Freundlichkeit, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt ihrer tätigen Hilfsbereitschaft großzügig beschenken zu können. 

 

Ewa Czerwiakowski, Mai 2018

 
 
Hier finden Sie den Beitrag zu Helena Bohle-Szacki im Atlas der Erinnerungsorte.
 

[21] Im Rahmen vom internationalen Befragungsprojekt unter der Leitung von Alexander von Plato wurden knapp 600 Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen aus 26 Länder geführt. Aus diesem Material entstand das Online-Archive, in dem auch das Interview mit Helena Bohle-Szacki einsehbar ist; siehe: https://zwangsarbeit-archiv.de/archiv

[22] Katarzyna Siwerska, a.a.O.
[23] Im Gespräch mit der Autorin, Berlin, 31. Januar 1999.
[24] Helena Bohle-Szacki, Spuren, Schatten. Zeichnungen und Aufzeichnungen, Berlin 2003.
[25] Ebenda.