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Jesekiel David Kirszenbaum (1900–1954). Ein Bauhaus-Schüler

Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

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Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm
Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

Damit einher ging Waldens begeisterte Förderung für Künstler aus Osteuropa. Entgegen seiner Ablehnung des Konstruktivismus förderte er den polnischen Künstler Henryk Berlewi (1894-1967) 1924 durch den Abdruck von dessen Manifest „Mechano-Faktur“[26] sowie durch eine Ausstellung in der Sturm-Galerie, ebenso die Künstler der von Berlewi mit gegründeten Warschauer Gruppe Blok, Teresa Żarnowerówna (1897-1949) und Mieczysław Szczuka (1898-1927). Als Szczuka im August 1927 bei einer Bergwanderung in der Tatra tödlich verunglückte, schrieb Walden im Sturm einen engagierten Nachruf.[27] Insofern war Kirszenbaum im April 1927 ein weiterer für Walden willkommener Künstler, der eine Herkunft aus dem zuvor russisch regierten Teil Polens mit expressiven Bildmotiven des chassidischen Judentums vereinigte. Kirszenbaum selbst berichtete noch 1930 in einem Brief an Paul Citroen, der Kunstkritiker Max Osborn (1870-1946), Redakteur der bürgerlichen Vossischen Zeitung, habe ihn als einen „sehr starken Maler“ bezeichnet, jedoch bedauert, dass er nicht „in den Jahrgang von Marc Chagall“ gehöre oder vor ihm auf den Markt gekommen sei.[28] Collin wiederum bemerkte im Ausstellungs-Katalog der Galerie Fritz Weber, die Kirszenbaums Arbeiten ab November 1931 in der Derfflingerstraße 28 im Bezirk Tiergarten zeigte, dass der Künstler sich in den zurückliegenden vier Jahren „von seinem Vorbild Chagall freigemacht“ und zu einem selbstständigen stilistischen Ausdruck gefunden habe.[29]

Den Verlust des Ulks als Auftraggeber konnte Kirszenbaum 1929 vorübergehend kompensieren, indem er die Münchner Zeitschrift Jugend, ein seit 1896 als Wochenschrift für Kunst und Leben erscheinendes vielseitiges Unterhaltungsblatt mit zahlreichen Karikaturen und Wiedergaben von Kunstwerken, für sich interessieren konnte. Wie der Kontakt zustande kam, ist nicht bekannt. Jedoch weiß man von anderen Karikaturisten der Zeit, dass es für Künstler üblich war, sich bei unterschiedlichen Zeitschriften zu bewerben oder dass die Zeichner durch Agenten und Schriftsteller, die für verschiedene Publikationsorgane tätig waren, vermittelt wurden.[30] Die erste Zeichnung von Kirszenbaum für die Jugend, zwei Herren in konspirativem Gespräch, erschien unter dem Pseudonym „J. Duwdiwani“ im Juli 1929.[31] Bis zum Juli 1931 konnte Kirszenbaum dort allerdings nur sieben Zeichnungen (Abb. 32-34 . ) platzieren, die meist in kleinem Format und auf unattraktiven Seiten erschienen und zu denen sicherlich die Redaktion die satirischen Textzeilen erfand.[32] Karikaturen, die Kirszenbaum sicherlich in keiner der bislang genannten Zeitschriften hätte veröffentlichen können, finden sich 1932 und 1934 in Briefen an Paul Citroen in der Sammlung des Bauhaus-Archivs in Berlin, darunter eine Karikatur auf Hitler: „Der schöne Adolf als Akrobat“ sowie eine Zeichnung „Professor der Rassenkunde im Dritten Reiche“.[33]

Ob Kirszenbaum nach seiner Ausstellung in der Sturm-Galerie mit Herwarth Walden in Kontakt blieb, ist ungewiss. 1929 war er jedoch mit mindestens einem Werk in der Jubiläumsausstellung 10 Jahre Novembergruppe im Rahmen der Juryfreien Kunstschau im Berliner Landes-Ausstellungsgebäude am Lehrter Bahnhof vertreten.[34] Die Novembergruppe, eine 1918 als Reminiszenz an die Novemberrevolution gegründete Vereinigung mit durchschnittlich 120 bis 170 Mitgliedern, rekrutierte sich zum großen Teil aus den Künstlern des Sturm-Kreises.[35] Spätestens zu dieser Zeit knüpfte Kirszenbaum enge Kontakte zu radikal linken Kreisen. Er wurde Mitglied der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands (ARBKD), kurz Asso genannt, die im März 1928 von jungen Künstlern aus Kreisen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), dem kommunistischen Künstlerbund Rote Gruppe um George Grosz, John Heartfield und Rudolf Schlichter und kommunistischen Mitgliedern anderer Künstlerverbände nach dem Vorbild der Assoziation der Künstler des revolutionären Russlands (AChRR) gegründet worden war. Der KPD soll Kirszenbaum ebenfalls beigetreten sein.[36]

1930 heiratete er Helma Joachim (1904-1944 in Auschwitz ermordet), die als Sekretärin für die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger arbeitete. Zunächst wohnte das Ehepaar in Eichwalde bei Berlin, Anfang 1932 in Berlin-Adlershof.[37] Im Juli 1930 wandte sich Kirszenbaum aus Eichwalde mehrfach an Paul Citroen in Amsterdam mit der Frage, ob dieser sich nicht für Veröffentlichungen seiner Werke in jüdischen Zeitschriften oder für eine „graphische Ausstellung in Amsterdam“ einsetzen könnte, aus dem Grunde, „dass ich arm war und es noch bin“.[38] Vermutlich durch die Vermittlung von Citroen stellte der Kunsthändler Carel van Lier (1897-1945 im KZ-Außenlager Hannover-Mühlenberg) Zeichnungen von Kirszenbaum 1931 in seiner Galerie in Amsterdam aus.[39]

 

[26] Der Sturm, 15. Jahrgang, 3. Heft, Berlin, September 1924, Seite 155-159, online-Ressource: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/sturm1924/0173/image

[27] „Die neue Kunst Polens hat ihren größten Vertreter verloren.“ Herwarth Walden: Mieczyslaw Szczuka, in: Der Sturm, 19. Jahrgang, 1. Heft, Berlin, April 1928, Seite 185 f., gefolgt von einem „Architektonischen Projekt“ des polnischen Konstruktivisten, Seite 187-193, online-Ressource: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/sturm1928_1929/0007/image

[28] Brief J.D. Kirszenbaum an Paul Citroën vom 21.10.1930, Bauhaus-Archiv 8034/120, zitiert nach Inna Goudz 2012 (siehe Literatur), Seite 534

[29] Zitiert nach Goudz 2012 (siehe Literatur), Seite 534

[30] Beispielsweise wurde der Flensburger Karikaturist Herbert Marxen 1928 von dem Berliner Schriftsteller Reinhard Koester, der unter dem Pseudonym Karl Kinndt für die Satire-Zeitschriften Ulk und Simplicissimus schrieb, sowohl an den Verlag von Rudolf Mosse in Berlin und damit an die Zeitschrift Ulk als auch an die Münchner Jugend vermittelt. (Axel Feuß: Herbert Marxen – Ein Leben für die Karikatur, in: Politisch inkorrekt. Der Flensburger Karikaturist Herbert Marxen (1900-1954), Ausstellungs-Katalog Museumsberg Flensburg, 2014, Seite 19)

[31] Jugend, 34. Jahrgang, München 1929, Nr. 27, Seite 437, online-Ressource: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/jugend1929/0440

[32] Der Umgang der Redakteure mit den satirischen Zeichnungen auf den regelmäßig stattfindenden Redaktionskonferenzen ist für Herbert Marxen (siehe Anmerkung 30, Feuß 2014, Seite 20 f.) gut dokumentiert. Alle Zeichnungen von Kirszenbaum in der Jugend sind mit dem Suchwort „Duwdiwani“ in den Heidelberger historischen Beständen – digital zu finden, https://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/digilit.html

[33] „Der schöne Adolf als Akrobat“, Brief an Paul Citroen vom 2.1.1932, Inv. Nr. 8034/134; „Professor der Rassenkunde im Dritten Reiche“, Brief an Paul Citroen vom 23.4.1934, Inv. Nr. 8034/161, beide Bauhaus-Archiv, Berlin

[34] Beteiligung von Künstler*innen und Architekt*innen an Ausstellungen der Novembergruppe 1919-1932. Version 1.3. Stand: 2. April 2019, herausgegeben von der Berlinischen Galerie. Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin, Seite 53, online: https://www.berlinischegalerie.de/fileadmin/content/bilder/sammlungen/kuenstlerarchive/findbuecher/beteiligung_von_k%C3%BCnstler_innen_u._architekt_innen_an_ausst.pdf. Danach war Kirszenbaum (Kirschenbaum) jedoch nicht auf den beiden bekannten Mitgliederlisten der Novembergruppe von 1925 und 1930 verzeichnet.

[35] Brühl 1983 (siehe Anmerkung 24), Seite 66-69

[36] Revolution und Realismus 1978 (siehe Literatur), Seite 49 f.

[37] Geschichte der Berliner Kirschenbaumstraße, https://berlin.kauperts.de/Strassen/Kirschenbaumstrasse-12524-Berlin. Vergleiche außerdem das Zeugnisblatt des Cousins von Helma Kirschenbaum, geborene Joachim, für Yad Vashem. Martyrs‘ and Heroes‘ Remembrance Authority, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de&s_lastName=Kirschenbaum&s_firstName=Helma&s_place=&s_dateOfBirth=, ebenso den Eintrag im Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung …, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1089586

[38] Brief J.D. Kirszenbaum an Paul Citroen vom 5.7.1930, Bauhaus-Archiv 8034/122; Postkarte J.D. Kirszenbaum an Paul Citroen vom 31.7.1930, Bauhaus-Archiv 8034/119; zitiert nach Goudz 2012 (siehe Literatur), Seite 533 f.

[39] Der Kunstzaal Van Lier, Rokin 126, in Amsterdam, war auf Realismus, Magischen Realismus und Expressionismus spezialisiert. Im Museum de Fundatie in Zwolle befindet sich eine Zeichnung mit dem Porträt von Kirszenbaum, die Paul Citroen 1934 vermutlich in Paris angefertigt hat, online: https://www.museumdefundatie.nl/nl/collectie/object/?pagina=77&id=1542&#menu