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Die Ruhrpolen

Vereinigungen der polnischen Jugend (Towarzystwa Modzieży Polskiej) in Herne-Horsthausen, 1916-1919

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  • Kirchkreuz vor dem Haupteingang der Hl.-Maria-Magdalena-Kirche  - Kirchkreuz vor dem Haupteingang der Hl.-Maria-Magdalena-Kirche in Radlin II (Wodzisław Śląski), 1879 gestiftet von aus der Gemeinde stammenden Ruhrpolen
  • Sockel des Kirchkreuzes vor dem Haupteingang der Hl.-Maria-Magdalena-Kirche - Sockel des Kirchkreuzes vor dem Haupteingang der Hl.-Maria-Magdalena-Kirche in Radlin II (Wodzisław Śląski), 1879 gestiftet von aus der Gemeinde stammenden Ruhrpolen
  • Masurenaufruf - Aufruf eines Agenten aus dem Jahre 1887 zur Anwerbung von Bergarbeitern in Masuren
  • Vereinsfahne des polnisch-katholischen Bergarbeitervereins zu Eving, Vorderseite - Fahne des polnisch-katholischen Bergarbeitervereins zu Eving (zu Dortmund) aus dem Jahr 1898, Schutzheilige: die Heilige Barbara – Leitspruch: Heilige Barbara, bete für uns
  • Vereinsfahne des polnisch-katholischen Bergarbeitervereins zu Eving - Fahne des polnisch-katholischen Bergarbeitervereins zu Eving (zu Dortmund) aus dem Jahr 1898, Schutzheilige: die Heilige Barbara – Leitspruch: Heilige Barbara, bete für uns
  • Vereinsfahne der Bruderschaft des Hl. Rosenkranzes der Frauen in Suderwich, Vorderseite - Fahne der Bruderschaft des Hl. Rosenkranzes der Frauen in Suderwich, gegründet am 1. August 1906, Schutzheiliger: der Heilige Josef – Leitspruch: Bete für uns
  • Vereinsfahne der Bruderschaft des Hl. Rosenkranzes der Frauen in Suderwich, Rückseite - Fahne der Bruderschaft des Hl. Rosenkranzes der Frauen in Suderwich, gegründet am 1. August 1906, Schutzheiliger: der Heilige Josef – Leitspruch: Bete für uns
  • Vereinsfahne des Mickiewicz-Gesangvereins aus Oberhausen 1898, Vorderseite - Fahne des Gesangvereins „Mickiewicz“ aus Oberhausen, gegründet am 30. Mai 1898, rückseitige Inschrift: „Cześć Pieśni” [Ehre dem Lied]
  • Vereinsfahne des Mickiewicz-Gesangvereins aus Oberhausen 1898, Rückseite - Fahne des Gesangvereins „Mickiewicz“ aus Oberhausen, gegründet am 30. Mai 1898, rückseitige Inschrift: „Cześć Pieśni” [Ehre dem Lied]
  • Sokół-Mitgliedskarte von Ludwik Najdecki - Mitgliedskarte der Turnorganisation Sokół (Falke) von Ludwik Najdecki aus Herne, Abteilung Eickel II und Holsterhausen, aufgenommen am 3.4.1921 mit Stempel
  • Mitgliedskarte des Bundes der Polen in Deutschland von Ludwik Najdecki - Mitgliedskarte des Bundes der Polen in Deutschland von Ludwik Najdecki aus dem Jahr 1929, Kreis Gelsenkirchen, Abteilung Wanne-Eickel II, mit Stempel
  • Mitgliedskarte des Bundes der Polen in Deutschland von Josef Najdecki - Mitgliedskarte des Bundes der Polen in Deutschland von Josef Najdecki aus dem Jahr 1923, Kreis Gelsenkirchen, Abteilung Wanne-Eickel II, mit Stempel
  • Knappen-Gesangbuch - Knappen-Gesangbuch, herausgegeben von der Bergarbeiterabteilung der „Polnischen Berufsvereinigung“ in Bochum.
  • Stand der Polenbewegung in Westfalen, Bericht von 1912

    Bericht über den Stand der Polenbewegung in Rheinland und Westfalen und anderen Gebieten des Deutschen Reiches und des nahen Auslands im Jahr 1912, Verfasser: Bochumer Polizeipräsident Gerstein.
  • Polnisches Laientheater in Husen - Laientheatergruppe mit Tafel (Inschrift: Z Teatru Polskiego z Husen dnia 23.3. roku 1919), markiert: Viktoria Wasielewski
  • Gesangsvereinigung in Bochum-Hamme, 1910-1939 - Gesangsvereinigung in Bochum-Hamme, 1910-1939.
  • Polnische Kinder aus Westfalen auf dem Weg ins Sommerlager, 1925 - Polnische Kinder aus Westfalen auf dem Weg ins Sommerlager in Posen, 1925.
  • Polnische Kinder aus Westfalen während des Sommerlagers, 1925-1939 - Polnische Kinder aus Westfalen während des Sommerlagers in Jędrzejów (Polen), 1925-1939.
  • Polnische Kulturschaffende in Westfalen, 1928 - Polnische Kulturschaffende in Westfalen, 1928
  • Gruppe polnischer Kulturschaffender in Westfalen, vor 1939 - Gruppe polnischer Kulturschaffender in Westfalen. U. a. die polnische Schauspielerin Zofia Barwińska. Entstanden vor 1939.
  • Religiöse Zeremonie in Herne, 1930 - Religiöse Zeremonie „Glaube unserer Väter“ im westfälischen Herne, 1930
  • Eine Delegation des II. Kongresses der Polonia in einer Straße in Dortmund, 1934 - Eine Delegation des II. Kongresses der Polonia im Ausland, der 1934 in Warschau stattfand. Hier in einer Dortmunder Straße, 1934.
  • "Bank Robotników" (Arbeiterbank) in Bochum, 1917-1939 - "Bank Robotników" (Arbeiterbank) an der ehemaligen Klosterstraße 2 in Bochum, gegründet von Vertretern der deutschen Polonia, 1917-1939.
  • Der polnische Turnverein „Sokół”, 1920-1939 - Mitglieder des polnischen Turnvereins „Sokół”, 1920-1939.
  • Polnische Gymnasiastinnen aus Westfalen während der Ferienfreizeit, 1936-1937 - Polnische Gymnasiastinnen aus Westfalen während der Ferienfreizeit im schlesischen Ustroń, 1936-1937.
  • Polnisches Laientheater in Castrop-Rauxel, 1929 - Polnisches Laientheater in Castrop-Rauxel, 1929.
  • Kongress der Polen in Westfalen und Rheinland in Bochum, 1935 - Kongress der Polen in Westfalen und Rheinland in Bochum, 1935.
  • Postkarte vom Kongress der Polen in Westfalen und Rheinland in Bochum 1935, Vorderseite - Postkarte vom Kongress der Polen in Westfalen und Rheinland in Bochum 1935 mit Inschrift auf der Rückseite.
  • Postkarte vom Kongress der Polen in Westfalen und Rheinland in Bochum 1935, Rückseite - Postkarte vom Kongress der Polen in Westfalen und Rheinland in Bochum 1935 mit Inschrift auf der Rückseite.
  • Jugendkongress der Polnisch-Katholischen Gesellschaften von Westfalen und des Rheinlandes in Bochum, 1927 - Kongress der Jugendvertretung der Polnisch-Katholischen Gesellschaften von Westfalen und des Rheinlandes in Bochum, 1927.
  • Die „Ruhrpolen“ - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch - In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.

    Die „Ruhrpolen“ - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.
 Vereinigungen der polnischen Jugend in Herne-Horsthausen, 1916-1919
Vereinigungen der polnischen Jugend (Towarzystwa Modzieży Polskiej) in Herne-Horsthausen, 1916-1919

Einleitung


Um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie eng die genealogische Verwandtschaft zwischen Deutschen und Polen ist – zumal der Bevölkerung an Rhein und Ruhr – genügt ein Blick in das zweibändige Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet. Die Autoren dieses Werkes stellten allein auf der Grundlage von Telefonbüchern der Jahre 1994 bis 1996 im Ruhrgebiet mehr als 30.000 polnische Familiennamen fest. Darin unberücksichtigt bleiben sowohl deutsche Varianten polnischer Nachnamen und durchgeführte Namensumwandlungen bzw. germanisierte Formen ursprünglich polnischer Nachnamen als auch die sich hinter den einzelnen Telefonbucheinträgen verbergenden Familienangehörigen und Personen ohne Telefonanschluss bzw. mit verborgener Rufnummer im besagten Zeitraum.[1]

Den Hintergrund für diese enge Verwandtschaft bilden mehrere westwärts gerichtete Migrationsphasen aus Gebieten mit ethnisch polnischer Bevölkerung bzw. eines polnischen Staates seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit, von denen die umfassendste zwischen 1870 und Anfang der 1920er Jahre in das rheinisch-westfälische Industriegebiet stattfand. Bei dieser unter dem Oberbegriff Ost- bzw. Landflucht bezeichneten Migrationsbewegung handelte es sich anders als bei den zur gleichen Zeit stattfindenden und ebenfalls bei den benannten Migrationsprozessen zu verortenden überseeischen Auswanderungen um eine Binnenmigration innerhalb Preußens bzw. des Deutschen Reiches – die Auswanderer waren preußische Staatsangehörige, die ihren Arbeits- und Lebensort auf Grundlage des Reichsgesetzes zur Freizügigkeit von November 1867 frei wählen durften. Laut Berechnungen von Forschern, die auf Grundlage von preußischen Statistiken vorgenommen wurden, wanderten in diesem Zeitraum bis zu einer halben Million polnischstämmige bzw. -sprachige Menschen aus den ländlich geprägten preußischen Ostprovinzen in das Industriegebiet an Rhein und Ruhr aus.[2] Neueste Untersuchungen und Gegenüberstellungen von einzelnen Auswandererzahlen aus bestimmten Regionen, unter anderem Oberschlesien, sowie die Ungenauigkeit und bisweilen gezielte Manipulation der preußischen Statistiken und die darin nicht abgebildete hohe Fluktuation von Zu-, Rück- und Weiterwanderungen deuten allerdings auf eine wesentlich höhere Zahl an Personen hin, die um 1900 zumindest über einen gewissen Zeitraum an Rhein und Ruhr weilten und arbeiteten.[3]

Zu je etwa einem Drittel stammten die Migranten, für die sich in der Forschung der Begriff Ruhrpolen etabliert hat, aus den Provinzen Posen und Ostpreußen, hier vor allem aus den Masuren (polnischsprachige Protestanten),[4] und dem ebenfalls größtenteils polnischsprachigen, jedoch katholisch geprägten, südlichen Ermland. Neben diesen beiden größten Gruppen kamen jeweils mehrere Zehntausend Zuwanderer aus Westpreußen samt der Kaschubei sowie aus der Provinz Schlesien, hier vor allem aus dem südlichen Teil des Regierungsbezirks Oppeln (polnischsprachige, katholische Oberschlesier). Ursächlich für diese Migrationsbewegungen waren vor allem wirtschaftliche Faktoren. Das im 19. Jahrhundert an Dynamik gewinnende Bevölkerungswachstum führte zur Überbevölkerung in den ländlichen Herkunftsregionen, die zudem industriell nur schwach oder gar nicht erschlossen waren (mit Ausnahme Oberschlesiens) und vor allem jungen Männern nur wenige Arbeitsmöglichkeiten, schlechte Existenzbedingungen und kaum Lebensperspektiven boten.[5]

 

[1] Rymut, Kazimierz/Hoffmann, Johannes (Hgg.): Lexikon der Familiennamen polnischer Herkunft im Ruhrgebiet, 2 Bände, Kraków 2006, S. XXXV–XXXVI. 

[2] Vgl. u.a. Murzynowska, Krystyna: Die polnischen Erwerbsauswanderer im Ruhrgebiet während der Jahre 1880–1914, Dortmund 1979, S. 25–26. Auch weitere Wissenschaftler, wie Witold Matwiejczyk oder Valentina-Maria Stefanski, berufen sich auf Murzynowskis Ausführungen und preußische Statistiken.

[3] Skrabania, David: Keine Polen? Bewusstseinsprozesse und Partizipationsstrategien unter Ruhrpolen zwischen der Reichsgründung und den Anfängen der Weimarer Republik, S. 45–47 (noch unveröffentlichte Dissertationsschrift, Bochum 2018, Manuskript einzusehen bei Porta Polonica).

[4] Zur Gruppe der Ruhrpolen gehörten auch die Masuren, die aufgrund ihrer Spezifik im weiteren Verlauf dieses Textes außen vor bleiben. Die Umstände und Ursachen des Migrationsprozesses der Masuren an Rhein und Ruhr wiesen große Ähnlichkeiten mit denjenigen aus den übrigen preußischen Ostprovinzen auf. Auch bei ihnen handelte es sich um eine polnischsprachige und slawische Bevölkerung, die zwar seit dem 17. Jahrhundert politisch in das Königreich Preußen integriert wurde, jedoch sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein ihre Eigenarten beibehielt, etwa im Hinblick auf einen stark mit Elementen des Katholizismus durchsetzten Protestantismus oder die gesprochene Mundart – einen altpolnischen Dialekt. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet sonderten sich die Masuren häufig sowohl von den übrigen polnischsprachigen Migranten, als auch von der deutschsprachigen Mehrheitsgesellschaft ab. Zumindest partiell erleichterten ihre Konfession und eine grundsätzliche königstreue preußische Gesinnung die Integration und Assimilation der Masuren im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Zwei Faktoren scheinen dabei jedoch eine wichtigere Rolle gespielt zu haben: Erstens bot das agrarisch geprägte, sehr dünn besiedelte und wirtschaftlich überaus schwache Masuren kaum Möglichkeiten zur Rückkehr und zum Bestreiten der Existenz, zweitens wurden Dutzende masurische Dörfer mit der Migration an Rhein und Ruhr de facto aufgelöst oder Gemeinden erlitten herbe Bevölkerungsverluste, da sich häufig komplette Dorfgemeinschaften mitsamt Prediger auf den Weg in den Westen machten. Für einen großen Teil der Masuren war damit eine Rückkehr bereits zum Migrationszeitpunkt oder kurz danach praktisch ausgeschlossen. Vgl. Kossert, Andreas: Masuren. Ostpreußens vergessener Süden, Berlin 2001; Jasiński, Grzegorz: Mazurzy w drugiej połowie XIX wieku. Kształtowanie się świadomości narodowej, Olsztyn 1994.

[5] Kleßmann, Christoph: Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870–1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, Göttingen 1978, S. 24–27.

Anfänge der Migrationsbewegung


Zu Beginn der 1870er Jahre kamen nachweislich die ersten Gruppen polnischer Arbeiter in das Ruhrrevier, konkret nach Bottrop. Bei ihnen handelte es sich um gelernte Bergleute aus Oberschlesien, deren Durchschnittsalter bei knapp 30 Jahren lag und die dem Mangel an erfahrenen Arbeitskräften in den neu in Betrieb genommenen Zechen des Ruhrgebiets abhelfen sollten.[6] Nach einigen Jahren konnte der Bedarf an ausgebildeten Bergleuten vornehmlich durch Absolventen der westfälischen Bergschulen gedeckt werden. Der allgemeine Arbeitskräftebedarf war jedoch weiterhin nicht durch Zuwanderung aus den Grenzregionen Westfalens oder aus weiter entfernt liegenden deutschsprachigen Regionen, wie etwa dem Hunsrück, zu decken, daher drängten Zehntausende junge Männer – zum Teil noch minderjährig – aus den ostpreußischen ländlichen Regionen in das rheinisch-westfälische Industrierevier zwecks Arbeitsaufnahme in den hiesigen Zechen und Industriebetrieben. Die Mutigeren, die sich aus den Dörfern im Osten Preußens auf den Weg machten, waren die Vorbilder und die „großen Helden“ für die nachfolgenden Generationen, denen sie den Weg in den Westen ebneten: „Hatte man (die) 20 Mark [für ein Eisenbahnticket, Anm. d. Aut.] beisammen, fuhr man nach Westfalen. Die jüngeren warteten, bis sie 16 Jahre alt waren, um nach Westfalen aufzubrechen und ‚das große Geld‘ zu machen.“[7] Denn wurden die ersten Bergarbeiter noch fast ausschließlich von professionellen Werbern zur Arbeit an die Ruhr angeworben, so etablierte sich nach nur wenigen Jahren parallel dazu die Anwerbung neuer Arbeitskräfte durch Mundpropaganda in den Heimatdörfern der Pionierwanderer, über einen regen Briefwechsel zwischen Ziel- und Herkunftsorten sowie über Familienangehörige, Nachbarn oder Bekannte der ersten Zuwanderer. Dieses weit über den soziologischen Fachbegriff der Kettenwanderung hinausgehende Migrationsmuster lässt sich am besten mit dem Begriff der Pionierwanderung umschreiben. 

Ermöglicht wurden die Massenmigrationen durch das seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer dichter werdende Eisenbahnnetz in Mittel- und Mittelosteuropa. Mit der Einführung der 4. Klasse wurden die Fahrkarten erschwinglich und die Eisenbahn förderte die Mobilität der Massen in einer nie zuvor dagewesenen Art und Weise. Die Kosten für eine Fahrkarte für die zweitägige Reise von einem Bahnhof in den Ostprovinzen nach Westfalen entsprachen etwa dem Wochenlohn eines einfachen Bergarbeiters und wurden häufig von Familienangehörigen, Bekannten oder den einstellenden Zechen vorgestreckt.[8] Das rheinisch-westfälische Industriegebiet wurde zum Sehnsuchtsort für Abertausende junge Männer (und mit der Zeit auch Frauen), die nicht nur nach einer Existenzsicherung, sondern auch nach einem besseren Leben strebten: „Manch junger Mensch, voll Wanderdrang nach reicheren Ländern […] besann sich nicht lange, sondern machte sich auf in das Land seiner Sehnsucht. Lobeshymnen für dieses unbekannte Land schossen aus seinem Munde; jeder Pole in Posen oder Schlesien, der sich in beklagenswerter Lage befand, empfand beim Hören solcher Lobpreisungen große Freude und gleichfalls Verlangen nach diesem glücklichen Land.“[9]

 

[6]Vgl. Budraß, Lutz: Von Biertultau (Biertułtowy) nach Batenbrock. Oberschlesier in Bottrop, in: Budraß, Lutz/Kalinowska-Wójcik, Barbara/Michalczyk, Andrzej (Hg.): Fallstudien zur Geschichte des oberschlesischen Industriereviers im 19. und 20. Jahrhundert, S. 124–127.

[7]Hurski, Ludwik: Z pamiętnika Westfaloka, hrsg. und mit einer Einführung versehen von Henryk Olszar (Źródła do dziejów Kościoła Katolickiego na Śląsku, Nr. 5, Red. Jerzy Myszor), Katowice 2014, S. 39 [Übersetzung: David Skrabania]. 

[8]Kurek, Jacek: Kolej i tożsamość . Kilka sugestii ze Śląskiem i Galicją w tle, in: Keller, Dawid (Hg.): Znaczenie kolei dla dziejów Polski. Studia z historii kolejnictwa, Rybnik 2012, S. 16; Hurski: Z pamiętnika, S. 45–48. 

[9]Geschichte einer polnischen Kolonie in der Fremde. Jubiläumsschrift des St. Barbara-Vereins in Bottrop, Oberhausen 1911 (Kirche und Religion im Revier. Beiträge und Quellen zur Geschichte religiöser und kirchlicher Verhältnisse im Werden und Wandel des Ruhrgebiets, 1968; Übersetzung aus dem Jahre 1954, S. 1–2.

Landsmannschaftliche Prägung der Zuwanderer


Bei dem Großteil der ruhrpolnischen Zuwanderer handelte es sich um Angehörige einer ländlich geprägten, westslawischen Bevölkerung, die Mundarten bzw. Dialekte des Polnischen sprach. Im Hinblick auf Brauchtum und Traditionen waren die Menschen in den Herkunftsregionen fest eingebettet in den jeweiligen regionalen und lokalen Kontext, wohingegen sie kaum Kontakt zu den deutschsprachigen Eliten hatten. Der dörfliche Raum blieb relativ isoliert und besaß innere Hierarchien, Regeln und Rituale. Der Jahresablauf war durch die kirchlichen Sonn- und Feiertage strukturiert und die physische Mobilität des Einzelnen stark eingeschränkt.[10] Hinzu kam die spezifische Volksreligiosität in den ländlichen polnischen Teilungsgebieten, die die Moral- und Wertvorstellungen der Menschen, ihr Handeln und Denken bestimmte, und damit einen der entscheidenden bewusstseinsprägenden Faktoren darstellte.[11] Trotz aller oder vor allem wegen der Einschränkungen bot die Heimat allerdings auch Sicherheit; und so führte die erstmalige Migration der Arbeitswanderer zur vollständigen Entwurzelung aus dem bekannten sozialen und kulturellen Umfeld. Fremdheitserfahrungen, fehlende Sprachkenntnisse und Unverständnis für die vor Ort herrschenden Zustände und Bedingungen sowie der gleichzeitige Mangel an eigenen Eliten, die Struktur, Orientierung und auch Seelsorge bieten können, führten vor allem in den Anfangsjahren der Zuwanderung zu sozialen Problemen,[12] die durch die schwere, den meisten bis dahin unbekannte Arbeit unter Tage, noch verstärkt wurden: „Die ganzen physischen Schmerzen waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu den moralischen Leiden […] Ich hatte Angst vor der mich umgebenden Dunkelheit. Ständig musste ich an die ‚Geister‘ denken, mit denen man uns durch Erzählungen und Märchen geängstigt hatte. Ich habe mir vorgestellt, dass solche Geister, wenn es sie denn gab, nur in einer solchen Dunkelheit existieren konnten.“[13]

Vor dem Hintergrund lokaler und regionaler Bindungen und Mentalitätsprägungen, der aus der Heimat mitgebrachten Volksreligiosität, sowie bedingt durch die spezifische Migrationsform der Pionierwanderung entwickelten sich einerseits landsmannschaftlich geprägte Wohnbezirke, andererseits ein zunächst durch die regionale Herkunft bestimmtes Vereinswesen mit religiöser Ausrichtung. Die weitgehende Kontinuität in der Siedlungsstruktur zwischen Herkunfts- und Zielregion wurde durch den Bau von Zechensiedlungen und das sich entwickelnde Kostgängerwesen forciert. Gelang es Arbeiterfamilien, eigenen Wohnraum anzumieten, so versuchten sie, ihr Einkommen durch die Aufnahme und Versorgung von Untermietern zu erhöhen. Aufgenommen wurden in erster Linie Familienangehörige, Bekannte und Nachbarn aus der Heimat oder Personen, die aus dem eigenen Milieu stammten, über einen guten Leumund verfügten und konfessionell mit der aufnehmenden Familie übereinstimmten. Der darüber entstehende Vertrauensmechanismus weitete sich nur sehr langsam und mit zunehmender Verweildauer am Aufenthaltsort im rheinisch-westfälischen Industriegebiet auf potenzielle Kostgänger aus anderen Herkunftsregionen aus. Auf diese Weise entstanden am Zielort ganze Straßenzüge, Siedlungen und Stadtteile, die in hohem Maße von Zuwanderern aus bestimmten Regionen im Osten Preußens bewohnt waren.[14] Generell konzentrierten sich beispielsweise die Zuwanderer aus der Provinz Posen insbesondere auf bestimmte Bezirke von Dortmund, Bochum und Essen, der Gelsenkirchener Raum bildete den Kernsiedlungsbereich der Masuren,[15] während Oberschlesier vor allem im nördlichen Ruhrgebiet in und um Bottrop, Gladbeck, Borbeck und Osterfeld anzutreffen waren.[16]

 

[10] Skrabania: Keine Polen?, S. 93–95.

[11] Ebenda, S. 104–105.

[12] Matwiejczyk, Witold: Katolickie towarzystwa robotników polskich w Zagłębiu Ruhry 1871–1894. Rozwój organizacyjny a świadomość narodowa, Bd. 1, Lublin 1999, S. 87.

[13] Pamiętniki emigrantów 1878–1958, mit einem Vorwort von: Kazimierz Koźniewski, Warszawa,  S. 23 [Übersetzung: David Skrabania].

[14] Vgl. Budraß: Von Birtultau, S. 127–133.

[15] Kornatowski, Wiktor/Malczewski, Kazimierz (Hgg.): Wspomnienia Opolan, Warszawa 1960, S. 103–104.

[16] Kleßmann, Christoph: Integration und Subkultur nationaler Minderheiten. Das Beispiel der „Ruhrpolen“ 1870–1939, in: Bade, Klaus J. (Hg.): Auswanderer. Wanderarbeiter. Gastarbeiter. Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Ostfildern 1984, S. 491.

Ruhrpolnisches Vereinswesen zwischen nationaler polnischer Einflussnahme und behördlicher Diskriminierung


Ähnlich gelagert war die Entwicklung des ruhrpolnischen Vereinswesens. In Reaktion auf fehlende soziale Strukturen und aufgrund des Bedürfnisses nach Kommunikation und Freizeitgestaltung außerhalb der Arbeitswelt entstanden seit 1877 innerhalb der ruhrpolnischen Community eigene Vereine. Zwischen 1885 und 1893, als das Paderborner Bistum nacheinander die Pfarrer Józef Szotowski und Franciszek Liss für die Polenseelsorge an Rhein und Ruhr abstellte, nahmen die Vereinsgründungen unter Anleitung der beiden aus Westpreußen stammenden polnischen Priester stark zu und erhielten einen explizit religiösen Charakter, was sich u.a. in der Vereinssymbolik und der Wahl von Heiligen zu Schutzpatronen der Vereine widerspiegelte. Politische Betätigung war in den Vereinen ausgeschlossen, sie dienten neben religiösen Zwecken der Hebung der Volksmoral und Sittlichkeit, der Traditionspflege und boten ihren Mitgliedern überdies Schutz und Unterstützung:[17]„Die Vereine richteten den Emigranten auf, verschafften ihm etwas Abwechslung von der Eintönigkeit des Alltags und seinem schweren Los. Und ganz besonders der Industriearbeiter braucht mehr denn irgendjemand seelischen Beistand, da ihn der monotone Alltag ansonsten in eine Maschine verwandeln würde.“[18]

Über viele Jahre hinweg wiesen die polnisch-katholischen Vereine einen regionalen Charakter mit Rückbezug auf die Herkunftsregion ihrer Mitglieder auf. So konnte im St. Barbara-Verein zu Schalke nur Mitglied werden, wer gemäß Paragraf 2 der Vereinssatzung „ein unbescholtener oberschlesischer Arbeiter katholischer Religion“ war.[19]Selbst wenn dieses, eine bestimmte regionale Herkunft voraussetzende Element nach und nach aus den Satzungen der Vereine verschwand, so blieben sie aufgrund der oben beschriebenen Siedlungsstrukturen in den einzelnen Bezirken des Ruhrreviers dennoch häufig weiterhin stark regional geprägt. Mit der Abberufung von Pfarrer Liss als polnischem Seelsorger 1893 und der Übernahme der von ihm gegründeten und geleiteten Zeitung „Wiarus Polski“ durch Jan Brejski, einem polnischen Verleger und Politiker, wurde der nationale polnische Charakter der Vereine immer stärker betont. Nationale Eliten versuchten, ihren Einfluss auf die Vereine auszuweiten, etwa über die Abhaltung von Vorträgen und Lesungen zur Geschichte und Kultur Polens oder durch die Organisation von Feierlichkeiten unter nationalen Vorzeichen, wie beispielsweise „Kościuszko-Feiern” oder die Begehung des Jahrestages der Konstitution vom 3. Mai. Der katholische Charakter der Vereine sollte zu einem Bestandteil nationaler polnischer Identität herabgestuft werden.[20]

Mitunter trugen diese Bemühungen Früchte und unter einem Teil der ruhrpolnischen Zuwanderer begann sich ein nationalpolnisches Bewusstsein zu entwickeln, das die bestehenden lokalen, regionalen und religiösen Bewusstseinsinhalte überformte. Von erheblicher Bedeutung war dabei auch die Tatsache, dass vor allem die polnischen Vereinsstrukturen zum Ziel diskriminierender Maßnahmen vonseiten der preußischen Behörden wurden. Nachdem die Erfahrungen von Bismarcks Kulturkampf im Allgemeinen und die Abberufung der polnischen Seelsorger Szotowski und Liss auf Betreiben preußischer Behörden im Speziellen das Misstrauen der Ruhrpolen gegenüber staatlichen Institutionen verstärkt hatten, führten immer umfangreichere polizeiliche Überwachungsmaßnahmen der Sitzungen ruhrpolnischer Vereine seit den späten 1890er Jahren zu Konsolidierungstendenzen unter der ruhrpolnischen Bevölkerung. Das behördliche, gegen die polnischen Strukturen gerichtete Vorgehen fand in der Schaffung der „Zentralstelle für die Überwachung der Polenbewegung“ – der sogenannten Polenüberwachungsstelle – 1909 in Bochum ihren vorläufigen Höhepunkt. Nicht einmal mehr den Satzungen der Vereine, die eine politische Betätigung ausschlossen, wurde mehr Glauben geschenkt: „Obwohl nach den Satzungen dieses Vereins Politik nicht getrieben werden soll, ist anzunehmen, daß er, wie die übrigen Polenvereine, für die polnische Nationalsache in auffälliger Weise Anhänger werben wird.“[21]

 

[17] Matwiejczyk, Witold: Zwischen kirchlicher Integration und gesellschaftlicher Isolation. Polnische Katholiken im Ruhrgebiet von 1871 bis 1914, in: Dahlmann, Dittmar/Kotowski, Albert S./Karpus, Zbigniew (Hgg.): Schimanski, Kuzorra und andere. Polnische Einwanderer im Ruhrgebiet zwischen der Reichsgründung und dem Zweiten Weltkrieg, Essen 2005, S. 13–14.

[18] Wachowiak, Stanisław: Polacy w Nadrenii i Westfalii, Poznań 1917, S. 108 [Übersetzung: David Skrabania].

[19] STAM-RA I Nr. 124, zitiert nach: Brandt: Die Polen, S. 61.

[20] Skrabania: Keine Polen?, S. 79–82.

[21] StA Recklinghausen, AA1723, Der Landrat zu Recklinghausen an die Ortsbehörden des Kreises vom 15. März 1909, Bl. 157.

Bereits in den Jahren zuvor war die behördliche Diskriminierung der polnischen Bevölkerung stark ausgeweitet worden. Der sogenannte „Sprachen- und Maulkorbparagraf“, ein Bestandteil des Reichsvereinsgesetzes von 1908, schränkte die Verwendungsmöglichkeiten der polnischen Sprache in der Öffentlichkeit in Landkreisen, in denen nachweislich der letzten Volkszählung weniger als 60 Prozent der ortsansässigen Bewohner polnischer Muttersprache waren, stark ein.[22] Überdies machte die Novelle zum Ansiedlungsgesetz aus dem Jahr 1904 in Verbindung mit der 1908 eingesetzten Kolonisationskommission in einigen ostpreußischen Gebieten, in die man deutsche Siedler zu locken versuchte, den Landerwerb für den Häuserbau in den Ostprovinzen für polnische Preußen nahezu unmöglich und zerstörte die Träume vieler Ruhrpolen von einer Rückkehr in die Heimat und den Erwerb von Haus und Hof.[23] Im Alltag und Vereinsleben der Ruhrpolen kam es bisweilen zu absurden Maßnahmen, wie etwa 1904 in Wanne, wo ein Verbot der Verwendung der polnischen Sprache beim Kommunionsunterricht, bei der Beichte, bei Taufen und Trauungen sowie Begräbnissen mit dem Kampf gegen die „politisch-polnische Agitation“ begründet wurde.[24] Der Begriff des Politischen wurde von manchen Behörden willkürlich auf nahezu alle Bereiche des sozialen und religiösen Lebens ausgeweitet, bis hin zu den oben genannten Verboten im religiösen Raum, was bei großen Teilen der sehr religiösen ruhrpolnischen Bevölkerung auf Unverständnis stieß und bisweilen heftige Erregung auslöste.

Im Jahr 1912 gab es im rheinisch-westfälischen Industrierevier nahezu 900 von polnischen Zuwanderern gegründete Vereine mit insgesamt mehr als 80.000 Mitgliedern.[25] Diese Zahl wird durch den hohen Anteil an Mehrfachmitgliedschaften jedoch relativiert, denn nicht selten war eine Person zugleich Mitglied mehrerer Vereine.[26] Zudem ist die Tatsache erwähnenswert, dass ein großer Teil der Gesamtzahl an Vereinsmitgliedern auf die 1902 gegründete Polnische Berufsvereinigung (Zjednoczenie Zawodowe Polskie, ZZP) entfiel – zehn Jahre nach ihrer Gründung hatte sie allein im Ruhrrevier etwa 30.000 Mitglieder.[27] Ihr Erfolg beruhte einerseits auf der flachen Struktur mit zahlreichen Filialen in einzelnen Ortschaften und Stadtteilen des rheinisch-westfälischen Industriereviers, andererseits auf ihrem vielfältigen Angebot. Die Mitgliedschaft bot eine umfangreiche arbeits- und versicherungsrechtliche Absicherung des Mitglieds und – im Todesfall – auch seiner Familie, sowie zusätzlich die Möglichkeit zu geselligen Treffen und Feiern.[28] In den Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren auch die militärisch organisierten und als Gymnastikvereine geltenden, national-polnisch ausgerichteten Sokół-Vereine mit ca. 6.000 Mitgliedern an Rhein und Ruhr recht erfolgreich. Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg verloren sie jedoch zügig an Einfluss und der Gesamtverband der Sokół-Vereine in Rheinland und Westfalen löste sich 1927 auf. Zwei Faktoren waren dafür ausschlaggebend: einerseits verließen viele aktive Mitglieder nach 1918 das Ruhrrevier, andererseits verloren die Sokół-Vereine massenhaft Mitglieder zugunsten der seit den 1920er Jahren zahlreich entstehenden Fußballvereine in den einzelnen Ortschaften und Stadtteilen des Ruhrgebiets.[29]

 

[22] Oenning, Ralf Karl: „Du da mitti polnischen Farben…“. Sozialisationserfahrungen von Polen im Ruhrgebiet 1918 bis 1939, Münster/New York 1991, S. 19.

[23] Peters-Schildgen, Susanne: „Schmelztiegel“ Ruhrgebiet. Die Geschichte der Zuwanderung am Beispiel Herne bis 1945, Essen 1997, S. 36.

[24] Matwiejczyk: Zwischen kirchlicher Integration, S. 31.

[25] Peters-Schildgen, Susanne: Das polnische Vereinswesen in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik. Ein Vergleich, in: Dahlmann u.a.: Schimanski, S. 61.

[26] Wachowiak: Polacy, S. 99.

[27] Kleßmann, Christoph: Zjednoczenie Zawodowe Polskie ZZP – polnische Berufsvereinigung und Alter Verband im Ruhrgebiet (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 15. Jg. 1979,, Heft 1), S. 69.

[28] StA Hattingen, SHC01-397, Übersetzungen..., Nr. 6, Jg. 1913, 7. Februar 1913, Was lehren die christlichen Gewerkschaften den polnischen Arbeiter, in: Wiarus Polski, Nr. 22, 28. Januar 1913; Wachowiak: Polacy, S. 117 und 162–163.

[29] Skrabania: Keine Polen?, S. 132–134.

Zunehmende Integrationsbereitschaft und wirtschaftlicher Erfolg


Nichtsdestotrotz entzogen sich große Teile der Ruhrpolen dem polnischen Vereinsnetz und schlossen sich mit der Zeit immer häufiger örtlichen deutschen Vereinen an. Neben preußischen Kriegervereinen, in denen ehemalige Soldaten die Erinnerung an ihren Wehr- und Kriegsdienst unabhängig von ihrer regionalen Herkunft wachhielten, oder den Rosenkranzvereinen der örtlichen Gemeinden, erfreuten sich nach der Jahrhundertwende die zahlreich entstehenden Schützenvereine auch unter den Zuwanderern aus dem Osten Preußens wachsender Beliebtheit, sehr zum Ärger polnischer nationaler Kreise: „Vor kurzem haben hier die Festlichkeiten des deutschen oder [sollte man besser sagen] des gemischten Schützenvereins stattgefunden, weil sich sehr viele Polen an diesen Festlichkeiten beteiligt haben. Ein Unbehagen befällt mich, wenn ich hier schreiben muss, daß an diesem Manöver sich auch die Söhne solcher Landsleute beteiligten, die hier als tüchtige Polen gelten wollen. Ebenso beteiligten sich dort auch Landsleute mit grauen Häuptern. Umso trauriger erscheint der Fall, als jene Teilnehmer oder vielmehr aktive Mitglieder Polen sind, die bereits 20 Jahre lang Mitglieder polnischer Vereine und einige von ihnen sogar den Vorständen angehören.“[30] Schützenvereine übten insbesondere auf junge Männer eine große Anziehungskraft aus. Dezidiert polnische Schützenvereine gab es nicht, sodass es nicht einmal eine potenzielle Alternative zu den bestehenden örtlichen Schützenvereinen gab. Die polnisch-katholischen Vereine betrachtete man dagegen mehr und mehr als Orte der Pflege heimatlicher Bräuche und der Muttersprache. Offenbar waren multiple, wandelbare und auf Neuerungen reagierende Bewusstseinsmuster entstanden, die sich mit der Zeit verfestigt hatten. 

Große Teile der Ruhrpolen standen der nationalen Sache gleichgültig gegenüber. Für sie waren sozialer Aufstieg, wirtschaftliche Verbesserung und die Hoffnung auf ein wenig materiellen Wohlstand Triebfedern des Handelns. Bot sich neben dem bereits geschilderten Kostgängerwesen beispielsweise die Möglichkeit, seinen Verdienst durch einen Arbeitsplatzwechsel zu steigern, wurde sie gern genutzt. So verbesserte der aus Oberschlesien stammende Bergarbeiter Paweł Grzonka, der 1906 nach Bottrop kam, zwischen 1904, als er als 16-jähriger auf der Emmagrube im oberschlesischen Radlin eingestellt wurde, und 1912, als er von der Zeche „Arenberg Fortsetzung“ als Hauer auf die Zeche „Prosper III“ in Bottrop wechselte, sein Gehalt von 1,50 Mark auf 7,80 Mark pro Schicht – trotz allgemeiner Lohnsteigerungen und unter Beachtung der damaligen Inflation ein bemerkenswerter Lohnanstieg.[31] So wie Grzonka sich von dem verdienten Geld seine Wohnungseinrichtung und weiteres Inventar kaufen konnte,[32] waren auch andere Ruhrpolen stolz darauf, nach relativ kurzer Zeit im rheinisch-westfälischen Industrierevier eine eigene Wohnung mieten und die Wohnungseinrichtung ohne die Aufnahme von Krediten erwerben zu können.[33]

 

[30] StA Hattingen, SHC01-398, Übersetzungen…, Nr. 25, Jg. 1913, 20. Juni 1913, Aus Hörde wird uns geschrieben, in: Wiarus Polski, Nr. 220, 21. September 1913.

[31] Żywirska, Maria (Hg.): Życiorysy górników, mit einem Vorwort von Gustaw Morcinek, Katowice 1949, S. 276–277.

[32] Ebenda, S. 277.

[33] Księga rodziny Klonów / Bernard Klon o sobie, o.O., o.J., S. 5 [unveröffentlicht, Kopie im Besitz des Autors].

Aufgrund der beschriebenen restriktiven Maßnahmen der preußischen Behörden im Hinblick auf den Immobilienerwerb in Teilen der ostpreußischen Heimatgebiete begannen viele Ruhrpolen, ihr angespartes Geld im rheinisch-westfälischen Industriegebiet in Immobilien anzulegen oder sie suchten den Weg in die Selbstständigkeit. So gab es um 1911 nachweislich etwa 130 ruhrpolnische Immobilienbesitzer in Bottrop,[34] und derer 36 in Gladbeck.[35] Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges sollen mehr als 1.000 Immobilien an Rhein und Ruhr im Besitz von Ruhrpolen gewesen sein.[36] Zeitgleich betrieben mehr als 2.000 Ruhrpolen ein Gewerbe an Rhein und Ruhr – vor allem Handwerker und Händler, es befanden sich allerdings auch Metzger, Bäcker, Tischler, Buchhändler und Betreiber von Druckereien darunter.[37]

Die Integrationstendenzen unter der ruhrpolnischen Bevölkerung nahmen mit der Aufenthaltsdauer im Ruhrrevier, mit der Geburt von Kindern und dem wachsenden behördlichen und teils auch gesellschaftlichen Druck zu. Häufig waren es die Frauen – in aller Regel aus den Herkunftsgebieten ihrer Ehemänner stammend – die zu den Antriebsmotoren der Integration wurden. Zunächst emanzipierten sie sich erfolgreich auf beruflicher und sozialer Ebene. Sie organisierten neben dem Führen des eigenen Haushaltes und der Erziehung der Kinder das Kostgängerwesen mit ca. 35.000 Kostgängern um 1910 und trugen damit erheblich zum Einkommen vieler Familien bei. Überdies gingen um 1912 an Rhein und Ruhr etwa 19.000 ruhrpolnische Frauen und Mädchen einer Beschäftigung nach, u.a. als Haushaltshilfen und Dienstmädchen, aber auch in der Landwirtschaft und im Textilgewerbe.[38] Auch die Leitung der mit der Zeit entstehenden Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe sowie insbesondere Läden, die nach ihrer Gründung häufig parallel zur abhängigen Hauptbeschäftigung des Ehemannes in einem Bergwerk oder Industriebetrieb geführt wurden, oblag sehr oft den Ehefrauen und erwachsenen Töchtern.[39]

 

[34] Klon, Zygmunt: Historia Rogowa nad Olzą, Heft 2, Bielsko-Biała 1990, S. 28.

[35] Schmidt, Georg: Kaiser Wilhelms Gastarbeiter. Die polnischen Erwerbsauswanderer in Gladbeck während der Jahre 1874–1914, Gladbeck 1990, S. 39.

[36] Molenda, Jan: Miejsce kobiet wśród polskiego wychodźstwa w reńsko-westfalskim okręgu przemysłowym na początku XX wieku (Przegląd Historyczny, Bd. LXXXVIII, 1997, Heft 1) S. 124.

[37] Molenda, Jan: Das Zusammenleben von Deutschen und Polen im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Maier, Robert/Stöber, Georg (Hgg.): Zwischen Abgrenzung und Assimilation. Deutsche, Polen und Juden. Schauplätze ihres Zusammenlebens von der Zeit der Aufklärung bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges, Hannover 1996, S. 200; Wachowiak: Polacy, S. 82–83.

[38] Molenda: Miejsce kobiet, S. 122.

[39] Schmidt: Kaiser Wilhelms Gastarbeiter, S. 38.

 

Auf sozialer Ebene erkämpften sich viele ruhrpolnische Frauen durch den Anschluss an die örtlichen Rosenkranzbruderschaften und die Elisabethvereine Freiräume abseits der Familie und der häuslichen Pflichten. Diese Vereine, die in der Regel von den örtlichen Pfarrern initiiert und unterstützt wurden, waren religiös ausgerichtet und boten die Möglichkeit zu sozialen Kontakten innerhalb der sowie über die Eigengruppe hinweg und somit auch Anschluss an eine deutschsprachige weibliche Community. Polnische nationale Kreise kritisierten die Etablierung vor allem der Elisabethvereine unter den polnischstämmigen Frauen scharf, boten zugleich aber lange Zeit keine Antwort darauf – polnisch-national ausgerichtete Frauenvereine entstanden erst kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.[40] Die Kritik nationaler polnischer Kreise an den ruhrpolnischen Frauen nahm mit den wachsenden Tendenzen zur Akkulturation an die einheimische (deutsche) Gesellschaft, mit dem Streben nach Teilhabe und sozialem Aufstieg sowie dem Desinteresse an der nationalen Sache mit der Zeit stark zu: „Leider muß man zugeben, daß unsere Frauen und besonders die polnischen Mädchen geradezu das polnische Buch verachten […] Andere entäußern sich der Muttersprache aus dem Grunde, weil sie von der sogen. deutschen ‚Feinheit‘ überzeugt sind.“[41]

Nachdem man sich in nationalen polnischen Kreisen dessen gewahr geworden war, dass sich die Tendenzen zu Integration und Akkulturation auch auf die nachfolgenden Generationen auswirkten, wurde die Kritik an den ruhrpolnischen Frauen und Müttern, die in den Argumentationsmustern nationaler Aktivisten als Garant für die Entwicklung eines polnischen Nationalbewusstseins und das Fortbestehen der Nation in der Pflicht standen, grob und schroff: „Wie elend sieht es aus, wenn eine Mutter, die kein Wort Deutsch versteht, sich freudig dessen rühmt, daß ihre Kinder zu Hause nur deutsch sprechen. [Was] kann man von einer solchen Familie jemals, wenn auch nur einen kleinen Funken Liebe zu dem, was uns teuer und edel ist, erwarten? […] Auf einer guten Kindererziehung beruht die Macht der nationalen Wiedergeburt.“[42]

In der Tat waren nach drei oder vier Jahrzehnten des Zuzugs Akkulturations- und Assimilationstendenzen unter den Ruhrpolen unverkennbar. Zahlreiche Kinder und bisweilen sogar Enkelkinder der Auswanderer waren bereits an Rhein und Ruhr geboren worden und kannten die Heimat ihrer (Groß-)Eltern nur von Besuchen oder Erzählungen. Laut einer preußischen Geburtenstatistik wurden bis zum Jahr 1914 79.000 Kinder in polnischstämmige Familien in Westfalen hineingeboren.[43]Die tatsächliche Zahl mag aufgrund der eingangs geschilderten Problematik mit den preußischen Statistiken noch weitaus höher gelegen haben. Im Verlauf der Zeit und vor dem Hintergrund der sinkenden reellen Chance auf eine Rückkehr in die Heimat stellten sich zahlreiche Ruhrpolen auf den Verbleib im Westen Deutschlands ein und handelten dementsprechend. Dies wirkte sich unter anderem negativ auf die sprachlichen Fähigkeiten der nachwachsenden Generationen aus, was nationale Aktivisten geradezu zur Weißglut trieb: „Wir wissen, daß zugleich mit dem Schwinden der Sprache die Nation untergeht […] Das ist einem jeden Polen bekannt und doch – wie viele tausend polnische Kinder entarten nicht Jahr für Jahr. Wir beklagen uns mit Recht über die Bedrückung durch die Preußen, wir weisen auf die barbarischen Forderungen der Polenfresser hin. Noch größere Feinde sind indessen die polnischen Eltern, die in eine Verdeutschung ihrer Kinder willigen.[44]

 

[40] Puhl, Bertinus: Die polnischen Vereine im rheinisch-westfälischen Industriegebiet und die katholischen Seelsorger, Freiburg i. Br. 1918 (Kirche und Religion im Revier. Beiträge und Quellen zur Geschichte religiöser und kirchlicher Verhältnisse im Werden und Wandel des Ruhrgebiets, 1968), S. 48; StA Hattingen, SHC01-397, Übersetzungen…, Nr. 11, Jg. 1913, Kindererziehung – Deutsche Bücher – Elisabethvereine, in: Narodowiec, Nr. 57, 10. März 1914.

[41] StA Hattingen, SHC01-395, Übersetzungen…,Bericht über den Verlauf der am 27. April 1913 in Dortmund, Hirtenstr. 17, im Saale des Wirts Tobien stattgefundenen öffentlichen Polenversammlung.

[42] Stadtarchiv Hattingen; SHC01-398 Polnischer Wahlverein 1911–1928; Abschrift, Übersetzungen…, Nr. 24, Jahrgang 1911 vom 9. Juni 1911, Denken wir an unsere Kinder!, in Postemp, Nr. 130 vom 9. Juni 1911.

[43] Wachowiak: Polacy, S. 36.

[44] StA Recklinghausen, Übersetzungen…, Nr. 5, Jg. 1910, Wer gräbt Polen das Grab?, in: Wiarus Polski, Nr. 25, 1. Februar 1910, Bl. 215–216.

Remigration in das wiedererstandene Polen – zwischen erfolgreicher Wiedereingliederung und Ernüchterung 


Als nach Kriegsende 1918 ein polnisches Staatswesen wiedererrichtet wurde, kam es zu Rückwanderungsprozessen in die nun fast gänzlich polnisch gewordenen Heimatgebiete der Ruhrpolen. Sie erfassten etwa ein Viertel der in den Jahrzehnten zuvor an Rhein und Ruhr ausgewanderten polnischen Bevölkerungsschichten, also ca. 150.000 Personen. Angetrieben von der allgemeinen Euphorie kündigten viele Rückwanderer ihre Arbeitsstellen und gaben ihre Wohnungen auf. Viele Menschen waren sich einerseits über die tatsächliche Lage im gerade in der Entstehung begriffenen polnischen Staat nicht im Klaren und vertrauten häufig viel zu sehr auf die Versprechen nationaler polnischer Aktivisten, die in den Jahrzehnten zuvor Hoffnungen auf ein wirtschaftlich prosperierendes Polen geweckt hatten, in dem den zurückkehrenden Ruhrpolen eine führende Rolle zuteilwerden sollte. Die Wirklichkeit sah vielfach anders aus: nicht nur Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot erwarteten viele Ruhrpolen, sondern auch die ablehnende Haltung der eingesessenen bzw. aus anderen Landesteilen zugewanderten Bevölkerung, die in den Rückkehrern von Rhein und Ruhr Konkurrenten um die knappen Arbeitsplätze und Wohnungen sah. Auch die polnische Regierung war sich über die bestehenden Probleme im Klaren und versuchte unter anderem über das Konsulat in Essen, die Kontrolle über die Rückkehrerzahlen zu gewinnen und sie einzudämmen, nicht zuletzt, um ein Gegengewicht zu der nun großen Minderheit der Deutschen in Polen zu schaffen – die Ruhrpolen wurden zu einem Spielball der großen Politik.[45]

In der Tat führten Nachrichten über die Lage in Polen, Informationsveranstaltungen und Rückmeldungen der Rückkehrer bei Familienangehörigen, Bekannten und Nachbarn an Rhein und Ruhr zu einem Abebben der Rückkehrbewegungen.[46] Um die Rückkehr nach Polen bzw. den Verbleib im Westen Deutschlands in geregelte, international akzeptierte Bahnen zu lenken und den potenziellen Rückkehrern Rechtssicherheit zu bieten, wurde ein Optionsverfahren beschlossen. In den Artikeln 91 und 278 des Versailler Vertrages wurden die rechtlichen Grundlagen zu Option und Staatsangehörigkeit fixiert. Die Möglichkeit zur Option sollte am 22.01.1922 enden.[47] Nach der Option für Polen blieben den Optanten zwölf Monate Zeit, um Deutschland zu verlassen, danach konnte eine Zwangsausweisung erfolgen. Persönliches bewegliches Hab und Gut konnte zollfrei über die Grenze gebracht, Immobilienbesitz behalten werden. Nutzte ein Optionsberechtigter seine Optionsmöglichkeit nicht und blieb in Deutschland, wurde er durch Unterlassung  deutscher Staatsangehöriger, ging er allerdings ohne zu optieren nach Polen und wurde polnischer Staatsangehöriger, verlor er seine zugesicherten Rechte, unter anderem die Rentenansprüche.[48] Aufgrund fehlender Akten aus dem Konsulat in Essen ist nur schwer rekonstruierbar, wie viele Menschen von ihrem Optionsrecht Gebrauch gemacht haben, allerdings gehen Schätzungen davon aus, dass die Optionsentscheidung nicht mehr als 75.000 Personen – also Optionsberechtigte plus Familienangehörige – betraf.[49]

Häufig war ein im Ruhrrevier entwickeltes polnisches Nationalbewusstsein die Triebfeder für die Rückkehrentscheidung. Allerdings reichte dies keinesfalls aus, um eine erfolgreiche und nachhaltige Rückkehr nach Polen in die Tat umzusetzen. Anhand der Untersuchung konkreter Beispiele können folgende notwendige Faktoren benannt werden, die ebenfalls erfüllt sein mussten: 1. Wirtschaftliche Unabhängigkeit, d.h. die Rückkehrer waren zumindest in den ersten Jahren nach ihrer Auswanderung nach Polen durch Ersparnisse finanziell abgesichert; 2. Immobilienbesitz, d.h. die Rückkehrer besaßen durch Kauf oder Erbe Haus und/oder Hof und waren nicht auf eine kommunale Wohnungszuteilung angewiesen; 3. Selbstständige Tätigkeit, etwa durch den Besitz von Ackerland oder Vieh und/oder eine (gleichzeitige) Tätigkeit in einem Bergwerk (in Oberschlesien)/Industriebetrieb, in Handel/Handwerk oder als Staatsbedienstete (etwa bei der Polizei); 4. Vorhandene Netzwerke, also Familienstrukturen oder Nachbarn, die Unterstützung und Schutz boten.[50]Waren einer oder gar mehrere dieser Faktoren nicht gegeben, konnte es infolge von Arbeitslosigkeit und des Abdriftens in die Armut auch zu Erschütterungen des zuvor entwickelten Nationalbewusstseins kommen, was im Extremfall zur erneuten Ausreise in den Westen Deutschlands und teils zur Weiterwanderung in belgische, französische oder niederländische Industriereviere führte. Bisweilen wurden aufgrund der allgemeinen Ernüchterung ob der angetroffenen Situation in Polen verbitterte Briefe an ehemalige Nachbarn an Rhein und Ruhr verfasst: „Ach, wäre es bloß möglich, würde ich am liebsten wieder nach Köln zurückkehren. Ich muss immerzu an Köln denken und würde am liebsten all unsere Sachen packen, denn dort ist es viel besser […] Wenn ich Ihnen also einen Rat geben darf, dann bleiben Sie mit ihrer Familie dort, behalten Sie ihre Arbeitsstelle und hören Sie auf, ein solch überzeugter Pole zu sein, wie es viele andere waren, denn die Polen hier machen sich nichts daraus […] Hier laufen alle traurig durch die Gegend, sie haben sich auch geirrt mit diesem Polen […].“[51]

 

[45] Piotrowski, Mirosław: Reemigracja Polaków z Niemiec 1918–1939, Lublin 2000, S. 134–137 und 169–170.

[46] Ebenda, S. 118.

[47] Ebenda, S. 8–9.

[48] Ebenda, S. 117–118 und 297–298.

[49] Ebenda, S. 293.

[50] Skrabania: Keine Polen?, S. 176.

[51] Zitiert nach: Piotrowski: Reemigracja, S. 203 [Übersetzung: David Skrabania].

Der junge polnische Staat, seit seinem Gründungstag in zahlreiche militärische Konflikte verstrickt und in dem Bemühen, drei ehemalige Teilungsgebiete zu einem funktionierenden Staatsgebilde zusammenzuführen, konnte die Erwartungen vieler rückkehrender Ruhrpolen nicht erfüllen. Viele eigentlich rückkehrwillige Ruhrpolen taten es ihren, bereits in den Jahrzehnten zuvor den Weg der Integration einschlagenden, Landsleuten gleich – sie arrangierten sich mit der Situation und gingen den Weg der Integration. Dazu trug in gewissem Maße auch der zunehmende politische und gesellschaftliche Druck infolge der gesellschaftlichen Rückwirkungen der Grenzkonflikte zwischen Deutschland und Polen, der Plebiszite in Ermland und Masuren sowie Oberschlesien und der Ruhrbesetzung durch das mit Polen verbündete Frankreich 1923 bei. Andere wiederum nutzten die sich bietende Gelegenheit und zogen in den 1920er Jahren nach Frankreich, Belgien oder in die Niederlande. Dem allgemeinen Druck widerstanden nur einige Tausend nationalbewusste Ruhrpolen, die in Westfalen blieben und sich weiterhin innerhalb ihrer eigenen Strukturen organisierten, wie etwa in dem 1922 in Berlin gegründeten Bund der Polen in Deutschland, der in Bochum einen Regionalsitz hatte. Führenden Köpfen der polnischen Minderheitsorganisationen wurden ihre Aktivitäten mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im Herbst 1939 zum Verhängnis – sie wurden festgesetzt und in Konzentrationslagern interniert, die viele von ihnen nicht überlebten.[52] Das Gros der an Rhein und Ruhr verbliebenen Ruhrpolen allerdings ging spätestens in der Zwischenkriegszeit in der durch Zuwanderung auch aus anderen Regionen Deutschlands und Europas geprägten Gesellschaft an Rhein und Ruhr auf.

 

David Skrabania, Mai 2018