Jan de Weryha-Wysoczański
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Sogar Verbindungen von de Weryhas Arbeiten zur Aktionskunst und zu Happenings der 1970er-Jahre sind gezogen worden.[16] Der polnische Bildhauer Jerzy Bereś trat ab 1968 auch als Aktionskünstler auf, setzte seine ethnografisch inspirierten hölzernen Assemblagen und dadaistisch anmutenden Fahrzeuge in rituellen Happenings und Performances ein oder bearbeitete in künstlerischen Aktionen, die sich gegen die Naturzerstörung richteten, Fundstücke aus der Natur, die noch Jahrzehnte später als Einzelobjekte in Ausstellungen zu sehen waren. Von Tadeusz Kantor, der seit 1961 auf dem Theater mit „armen“ und „dürftigen“ Requisiten als Träger lebensnaher Objektivität arbeitete, blieben von Bühnenaufführungen und Happenings Assemblagen wie seine Werkgruppe der „Emballages“ übrig, aus den Happenings von Edward Krasiński konstruktivistisch anmutende Objekte, die mit Bedeutungen aufgeladen waren und „Energien freisetzen“ sollten. Auch diese Objekte gelangten später in Ausstellungen, Sammlungen und Museen, ähnlich wie zahlreiche Objekte von Joseph Beuys, die nach dessen Aktionen aufgehoben und dadurch zu autonomen Kunstwerken wurden. De Weryha hat zwar weder Aktionen, Happenings noch Performances veranstaltet, jedoch wirken vor allem seine in aufwändiger Kleinarbeit platzierten Bodenarbeiten nicht zuletzt durch den rauen Charakter des Materials und durch die Verwendung von Fundstücken aus der Natur als Ergebnisse prozessualer künstlerischer Vorgänge.
Wojciechowski hat wohl als erster darauf hingewiesen, dass de Weryha in einigen seiner Wandobjekte das Holz wie Bücher anordnen und so „kraftvolle, mysteriöse Bibliotheken“ gestalten würde (Abb. 32 . , 35 . , 45 . , 46 . ).[17] Eine Ausstellung in der Patio Kunstgalerie/Patio Galeria Sztuki in Łódź im selben Jahr, in der Bodenarbeiten und freistehende Objekte zu sehen waren, trug dann auch den Titel Drewno-archiwum (dt. Holz-Archiv), eine Ausstellung 2009 in der Städtischen Galerie in Danzig/Gdańska Galeria Miejska die Überschrift Tabularium, ein Begriff, der in römischer Zeit Räume und Gebäude zum Aufbewahren von Urkunden und Archivalien bezeichnete. Einige der „Hölzernen Tafeln“, so Urszula Usakowska-Wolff im Katalog der Ausstellung in Łódź, würden bei näherer Betrachtung wie Holzbibliotheken, Xylotheken, des 18. Jahrhunderts wirken. Andere Arbeiten, die aus Tausenden vielleicht Jahrhunderte alten Holzstücken bestünden, seien ein „einzigartiges Archiv der zeitlosen Zeit“.[18] Zur Ausstellung in Danzig schrieb Grażyna Tomaszewska-Sobko, de Weryhas Arbeit sei „ein Versuch, das aus der Welt der Natur stammende Material zu archivieren“. Katarzyna Rogacka-Michels bemerkte, es entstehe „der Eindruck einer Morphologie des Holzes oder eines Holzarchivs.“[19]
Auch diese Konnotationen zu de Weryhas Werk haben eine Entsprechung in der Kunst des 20. Jahrhunderts. In der Folge von Post Minimal Art und Arte povera begannen Künstler in den 1970er-Jahren Spuren zu sichern und Relikte privater oder gesellschaftlicher Lebensäußerungen zu sammeln. Nikolaus Lang trug Fundobjekte von Verstorbenen, Christian Boltanski Überreste seiner Kindheit, Raffael Rheinsberg Hinterlassenschaften aus industriellen Arbeitsprozessen zusammen. Aus dieser Sammeltätigkeit entstanden „Archive“ und „Inventare“ als Bodenarbeiten, in Schränken und Regalen, von Boltanski sogar fiktive Archive aus beschrifteten, aber leeren Metallkästen, die Schicksale von Menschen repräsentieren und die Erinnerung an sie bewahren sollten. De Weryha hat Holz jedoch weder systematisch gesammelt noch die verwendeten Materialien didaktisch oder in Reihen präsentiert. Seine künstlerischen Überlegungen konzentrieren sich darauf, das Material in seinem Ursprung zu ergründen, im „Begreifen seiner Struktur und seines Kerns“. Er versucht es durch einfachste Eingriffe so zu beeinflussen, dass es seine Identität nicht verliert und mit diesen Aktionen, wie er selbst sagt, das „Archaische im Holz“ zu zelebrieren.[20] Durch die Arbeit über Jahrzehnte ist dann so etwas wie ein „Archiv“, eher eine museale Sammlung seiner Werke, entstanden, die dann folgerichtig über die Erscheinungsformen des Materials und die Arbeitsschritte des Künstlers Auskunft gibt.
Im Rückblick auf die zurückliegenden zwei Jahrzehnte seiner Arbeit zeigt sich, dass nicht nur der Begriff des „Archivs“, sondern auch die genannten Verbindungen seiner Arbeiten zu den vorangegangenen Kunststilen der Moderne immer nur vorübergehend als Denkmodell für die Interpretation seiner Arbeiten taugen. De Weryha nutzt den Fundus der Moderne mit ihren vielfach verzweigten polnischen, deutschen und internationalen Entwicklungssträngen, um jene Tendenzen zu extrahieren, die ihm eine objektvierte Darstellung des von ihm verwendeten Materials Holz ermöglichen. Dadurch gelingt es ihm, diesen teils historischen, teils immer noch lebendigen Stilen und Bewegungen neue künstlerische Lösungen in dem von ihm bevorzugten Material hinzuzufügen.
[16] Maryla Popowicz-Bereś, Magisterarbeit 2014, Seite 53 (siehe Literatur; online verfügbar auf der Webseite des Künstlers, deutsche Übersetzung, Seite 48)
[17] Jan Stanisław Wojciechowski 2005, S. 5/9 (siehe Literatur; Text online verfügbar auf der Webseite des Künstlers, polnisch, Seite 2/englisch, Seite 2)
[18] Urszula Usakowska-Wolff 2005, letzter Absatz (siehe Literatur; Katalog polnisch/englisch verfügbar auf der Webseite des Künstlers)
[19] Ausstellungs-Katalog Tabularium 2009, Seite 7, 11/13 (siehe Literatur; Text von Grażyna Tomaszewska-Sobko verfügbar auf der Webseite des Künstlers, polnisch, deutsch; Text von Katarzyna Rogacka-Michels ebenda, polnisch, deutsch, Seite 5)
[20] De Weryha im online-Interview mit Helga König, 2015, http://interviews-mit-autoren.blogspot.de/2015/03/helga-konig-im-gesprach-mit-dem.html