Jan de Weryha-Wysoczański
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Regelmäßige Gitter und Ordnungen, die aus seriell angeordneten Modulen bestehen, sind heute noch in den zuletzt entstandenen „Hölzernen Tafeln“ von de Weryha zu beobachten (Abb. 78 . , 91 . , 92 . ). Allerdings liegen seinen Kompositionen kein ausgeklügeltes mathematisches System, sondern einfache Messungen und eine aus der Erfahrung gewonnene Arbeit mit Proportionen zugrunde, die sich zudem an den Möglichkeiten der aus dem Holz gewonnenen modularen Bauteile orientiert.[2] Eugen Gomringer, Sekretär von Bill und Erfinder der Konkreten Poesie, hat darauf hingewiesen, dass seit den 1990er-Jahren verschiedene Künstler dem zunächst strengen System der Konkreten Kunst weitere „Felder“ hinzugefügt haben, die auf erweiterte Blickwinkel, neue Wahrnehmungen und Erfahrungen mit anderen Materialien zurückzuführen sind.[3] De Weryha kommt für diesen Traditionsstrang eine sich auf den Werkstoff Holz konzentrierende Rolle zu, indem er auf der Grundlage konkreter Strukturen die Wahrnehmung des Materials optimiert.
Jene Reliefs und Objekte von de Weryha, deren Erscheinung durch eine weitgehend monochrome geometrische Oberflächenstruktur charakterisiert ist, greifen aber auch auf Erfahrungen und Erkenntnisse der 1957 von Otto Piene und Heinz Mack gegründeten Gruppe ZERO zurück, der wenig später Günther Uecker beitrat und die mit weiteren internationalen Künstlervereinigungen wie der niederländischen Gruppe Nul (dt. Null) um Jan Schoonhoven kooperierte. ZERO war kein unmittelbarer Reflex auf den Konstruktivismus und die Konkrete Kunst, agierte aber doch mit dem Hintergrundwissen der dort entwickelten Erkenntnisse. Die seriellen Lochbilder von Piene und die daraus entwickelten Objekte und Installationen dienten ebenso wie die geometrisch strukturierten und gegeneinander rotierenden, häufig kreisrunden Aluminiumreliefs von Mack dem Sichtbarmachen von Licht in Kreis-, Spiral-, Feld- und Wellenbewegungen, gefolgt von den mit weißer Farbe überzogenen Nagelbildern und -objekten von Uecker und den aus Pappe gefertigten, stereometrisch strukturierten weißen Reliefs von Schoonhoven. In Polen konstruierte Jerzy Jarnuszkiewicz Mitte der 1960er-Jahre freistehende Metallplastiken mit geometrisch angeordneten Gittern, Stäben und Lamellen, mit denen er Probleme des Raums in Bezug auf das Licht und auf rhythmische Bewegungen untersuchte. In der Grafik arbeitete seit 1968 Jerzy Grabowski mit reinweißen geometrischen Prägedrucken, die an Blindprägungen von Uecker, Schoonhoven und der Bauhaus-Lehrerin Anni Albers erinnern.
Ähnliche Strukturen und Lichteffekte kann man bei de Weryha auf dessen gelegentlich ins Weiße changierenden „Hölzernen Tafeln“ (Abb. 71 . , 79 . , 92 . ) und den runden „Hölzernen Objekten“ (Abb. 82 . , 85 . ) wiederfinden. Wer will, wird in einzelnen Arbeiten sogar Nachfolger von Ueckers Nagelbildern sehen (Abb. 68 . , 77 . ), wobei für de Weryha optische und haptische Qualitäten und Effekte des Materials Holz im Mittelpunkt stehen. Piene führte 1959 mit seinen „Rauch“- und „Feuerbildern“ die Verwendung von Feuer als künstlerische Technik ein. De Weryha, initiiert durch die Terroranschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001, beschritt diesen Weg weiter, indem er die Verkohlung von Holz einsetzte, um einzelne Objekte zweifarbig zu gestalten (Abb. 28 . , 32 . , 33 . , 35 . , 43-47 . , 59 . , 62 . , 66 . , 70 . ). Auch hierbei ging es ihm nicht in erster Linie um den Farbkontrast, sondern um das Hinzufügen einer weiteren, in natürlichem Prozess gewonnenen Erscheinungsform des Materials Holz.[4]
De Weryha hat Interpreten seines Werks berichtet, dass ihn die Kunstrichtung der Minimal Art, die sich seit 1960 mit den Protagonisten Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd und Sol LeWitt in New York entwickelte, besonders fasziniert.[5] Tatsächlich erinnern seine frühen, aus Holzquadern bestehenden Objekte und Bodenarbeiten, alle „ohne Titel“ (Abb. 3 . , 10 . , 14 . , 19 . ), an die aus geschichteten Bauholz-Blöcken entstandenen Objekte von Carl Andre, der jedoch ebenso mit reihenweise verlegten Metallplatten, Bauziegeln, Betonklötzen oder Drähten gearbeitet hat. Die Künstler der Minimal Art verwendeten industriell gefertigte, standardisierte Materialien wie eloxiertes Aluminium, rostfreien Stahl, Plexi- und Fiberglas, Styropor, Kupfer und Zink, Andre maschinell produzierte Werkstücke aus Holz, die jedermann als Elemente für eigene künstlerische Produktionen im Baustoffhandel hätte erwerben können. Ihnen ging es um die Wahrnehmung differenzierter Strukturen im Raum und die Wirkung von Objekt und Raum auf den Betrachter. De Weryhas Werke zeigen jedoch deutliche Spuren handwerklicher Bearbeitung mit Motorsäge, Axt oder Beitel. Bei ihm ist keine Kante der einzelnen Module gerade, industriell produzierte Werkstoffe sind ihm fremd. Vielmehr verschafft er der individuellen künstlerischen Bearbeitung des Materials Holz mit dessen optischen, haptischen und olfaktorischen Qualitäten neue Geltung.
[2] De Weryha im Gespräch mit dem Verfasser im März 2018
[3] Anlass für Gomringers Analyse war das Werk des in Kiel tätigen Grafikers und Objektkünstlers Ulrich Behl (*1939), der konkrete Objekte aus Papier und neuerdings aus Plexiglas schafft. Eugen Gomringer: Die Prozesse der Wahrnehmung neu optimieren, in: Ulrich Behl. Modulare Ordnungen, Ausstellungs-Katalog Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg 1997, Seite 10 f.
[4] Polnische Autoren haben Kongruenzen von de Weryha zur Gruppe ZERO bislang nicht gesehen. Die Galerie Kellermann in Düsseldorf, die den Künstler vertritt, zeigte ihn 2016 in einer Ausstellung mit dem Titel Zero 2.0 zusammen mit Piene, Mack und Uecker und führt ihn als ZERO-Künstler der zweiten Generation
[5] Wohl zuerst ausführlich erwähnt und diskutiert von Rafał de Weryha-Wysoczański, Kunsthistoriker und Sohn des Künstlers, in dessen Eröffnungsrede zur Ausstellung Jan de Weryha – Objekte, Galerie Kunst im Licht 1998 in Hamburg; PDF-Auszug verfügbar auf der Webseite des Künstlers