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Jan de Weryha-Wysoczański

Andere polnische Bildhauer wandten sich bewusst von „edlen“ Materialien ab und verfolgten ungegenständliche Tendenzen. Regelmäßig nahmen sie an Symposien und Ausstellungen im westlichen Ausland teil. Jarnuszkiewicz entwickelte raumgreifende abstrakte Plastiken aus zusammengeschweißten Metallblechen. Magdalena Abakanowicz, die eigentlich Malerei studiert hatte, fand neue abstrakte Gestaltungen in der Textilkunst, indem sie ein „raues“ Material, Sisal, wie es für Schiffstaue verwendet wird, zu raumfüllenden, frei von der Decke hängenden Tapisserien, den „Abakans“, verwebte, für die sie 1965 auf der Biennale von Sao Paulo den Grand Prix erhielt. Auch von den polnischen Akademien ging eine Erneuerung der Textilkunst aus. Dort entstanden dreidimensionale Wandreliefs und raumfüllende Environments, die Bereiche der Bildhauerei besetzten. Die Oberflächen dieser abstrakt und frei gestalteten Arbeiten übertrugen das All-over der Malerei von Jackson Pollock oder des europäischen Informel in Strukturen aus natürlichem Material. Ähnlich rau strukturierte Reliefs findet man zuletzt bei de Weryha bis hin zum wandfüllenden Format, wenn er die eigentlich zugrunde liegenden geometrischen Gitter zu einem All-over aus eng nebeneinander gesteckten Bruchstücken auflöst (Abb. 37, 39, 42, 52, 80, 90).
Zu einem „unedlen“ oder „armen“ Material wird Holz, das in Mitteleuropa bekanntlich seit weit über eintausend Jahren in der figürlichen Bildhauerei verwendet wird, erst, wenn es als Fundstück aus der Natur oder aus dem Alltagsgeschehen Eingang in die Kunst findet. Führende Künstler der italienischen Kunstrichtung der Arte povera arbeiteten seit Beginn der 1960er-Jahre mit gefundenen Materialien aus der Natur, aber auch mit allen nur denkbaren Stoffen aus dem Alltag. Sie zeigten, dass auch „arme“ Materialien mit Mythen, Geschichten, Metaphern und Symbolen aufgeladen werden können und traten damit der traditionellen Hierarchie von Werkstoffen, dem Massenkonsum oder auch der glatten Minimal Art entgegen. Mario Merz arbeitete von Beginn an mit Reisigbündeln, die er zu Gruppen an der Wand aufstellte, auf dem Boden auslegte oder aus ihnen seine bekannten „Iglus“ konstruierte, aber auch mit vielen anderen Materialien. Giuseppe Penone verwendet bis heute für seine Installationen direkt aus der Natur gewonnene Baumstämme, deren natürliche Gestalt auch nach intensiven künstlerischen Eingriffen sichtbar bleibt.
Im Werk von de Weryha haben die vertikal oder horizontal geschichteten Arbeiten, bei denen das Holz nur grob segmentiert ist und seine natürliche Schönheit und Vielfalt offenbart (Abb. 3, 9, 17, 24), dann die bereits erwähnten Bodenarbeiten aus Ästen und Rinde (Abb. 54, 55, 65) sowie das „Hölzerne Objekt“ aus geschichteten Birkenästen und -reisern (Abb. 57) die engste Verbindung zur Arte povera. Dabei muss kaum betont werden, dass de Weryha Holz keineswegs als „armes“ Material empfindet, sondern dessen Reichtum an Formen, Farben und Strukturen geradezu zelebriert. Ähnlich wie die Künstler der Arte povera, die den hohen narrativen und emotionalen Wert der von ihnen verwendeten Materialien betonten, verweist auch er auf den kulturkritischen, gesellschaftlichen Aspekt: Ihm gehe es darum, dass durch seine Arbeit mit dem Material Holz, dem eine wichtige Rolle als Katalysator im Kreislauf der Natur zukomme, „in einer Gesellschaft, die sich leider nur am Konsum und vor allem am Gewinn orientiert, wenigstens für einen kurzen Moment die Menschen zum Nachdenken“ gebracht würden.[9]
Frühere Autoren, die die heute erreichte Bandbreite von de Weryhas Arbeiten noch nicht kennen konnten, haben angesichts seiner kreisrunden und teilweise kegelförmig geschichteten Bodenarbeiten aus Holz- oder Rindensegmenten (Abb. 16, 22, 23, 25, 26, 29) auf Anregungen aus der Land Art, vor allem von Richard Long und Robert Smithson, verwiesen.[10] Ebenfalls Ende der 1960er-Jahre übertrugen US-amerikanische Künstler Formen der Minimal Art in kolossalen Ausmaßen in die Wüsten und Gebirge Nordamerikas. Sie markierten Spuren ihrer Wanderungen, gestalteten mit Baumaschinen Schluchten, Dünen und Wasserläufe um und schufen Steinsetzungen in Gestalt von Kreisen und Spiralen, man denke an „Spiral Jetty“ 1970 von Smithson, die wie prähistorische Kultstätten wirkten. Auch diese Künstler gestalteten einen Gegenentwurf zur industriellen Konsumwelt, indem sie in und mit der Natur arbeiteten, Erdgeschichte freilegten und ihre Arbeiten erneuter Korrosion aussetzten. Hier liegt jedoch der entscheidende Unterschied zu de Weryha: Seine Arbeiten sind grundsätzlich für den Innenraum konzipiert und spielen sich nur in wenigen Fällen und vorübergehend im Außenraum ab (Abb. 60, 61). Einzelne seiner Bodenarbeiten konnte man aber in Ausstellungen aufgrund ihrer Größe nur durch Abwandern erfahren wie „Orońsko“ 2006 (Abb. 53) und „Chilehaus“ 2011 (Abb. 67). Auf der anderen Seite hat Richard Long seine meditativen, Welterfahrung vermittelnden Kreise aus Steinen, Torf, Treibholz, Ästen, Feuer- und Brandholz oder Fluss-Schlamm, den er zu einem kreisrunden Wandtableau verarbeitete, auch für Ausstellungen und Museumsräume konzipiert um sie einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Die Verbindung von de Weryha zur Land Art besteht nicht nur im Formalen, sondern vor allem in der Liebe zu Welt und Natur.
[9] Ebenda
[10] Jan Stanisław Wojciechowski 2005, S. 5/9 (siehe Literatur; Text online verfügbar auf der Webseite des Künstlers, polnisch, Seite 2/englisch, Seite 2); Dorota Grubba 2006, Seite 4112/4115 (siehe Literatur, online verfügbar auf der Webseite des Künstlers). Maryla Popowicz-Bereś bezeichnet in ihrer 2014 entstandenen Magisterarbeit (siehe Literatur) sogar Richard Long als hauptsächliche Inspirationsquelle für de Weryha, Seite 43 (online verfügbar auf der Webseite des Künstlers; deutsche Übersetzung ebenda, Seite 39)