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Jesekiel David Kirszenbaum (1900–1954). Ein Bauhaus-Schüler

Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

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Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm
Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

Kirszenbaum ging stattdessen 1925 nach Berlin und arbeitete dort in den folgenden acht Jahren als freier Künstler. In Verbindung blieb er mit seinen Studienkollegen vom Bauhaus, dem Maler, Zeichner und Fotografen Paul Citroen (1896-1983), mit dem zusammen er im Vorkurs bei Itten studiert hatte, der aus Berlin stammte, dort ebenfalls ab 1925 als freischaffender Maler tätig war und 1927 über Paris und Basel nach Amsterdam ging, sowie mit dessen Schwägerin, Ruth Citroën (1906-2002),[8] geborene Margarete Vallentin, die bis 1923 in der Teppichweberei des Bauhauses gearbeitet hatte und 1925 den angehenden Berliner Pelzhändler Hans Citroen (1905-1985), Pauls Bruder, heiratete. Im Dezember 1925 erschien von Kirszenbaum in der Berliner Zeitschrift Gebrauchsgraphik. Illustratoren. Monatsschrift zur Förderung künstlerischer Reklame, offizielles Organ des Bundes Deutscher Gebrauchsgraphiker, die Radierung „Im Beth Hamedrasch“ (Abb. 7 . ), allerdings mit dem Titel „Illustrationen zu jüdischen Novellen“ und unter dem neuen Pseudonym „J. Duwdiwani“, dem hebräischen Wort für „Kirschbaum“, sowie der in Klammern hinzugesetzten deutschen Schreibweise des Nachnamens, „Kirschenbaum“.[9] Ansässig war der Künstler in Charlottenburg in der Kantstraße 114.[10] Im selben Jahr schuf er zahlreiche weitere Zeichnungen und Radierungen mit Szenen aus dem jüdischen Leben (Abb. 6 . , 8-10 . ).

Zum Jahresbeginn 1926 erhielt der Künstler den Auftrag, künftig für die Satirezeitschrift Ulk, einer selbstständigen Wochenschrift des liberalen Berliner Tageblatts, Illustrationen und Karikaturen zu liefern. Beide Organe erschienen im Berliner Verlagskonzern Rudolf Mosse und standen der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) nahe. Der Ulk existierte bereits seit 1872, von 1918 bis 1920 unter der Leitung von Kurt Tucholsky, und erschien bis 1922 als Gratisbeilage zum Berliner Tageblatt und zur Berliner Volks-Zeitung. Weil das Tageblatt ab 1926 Verluste erwirtschaftete, wurde der Ulk gelegentlich wieder kostenlos beigelegt. Die ersten vier Illustrationen von Kirszenbaum mit den Signaturen „D“ und „Duwdiwani“ erschienen am 19. Februar 1926, harmlose Gesellschaftssatiren, darunter ein „expressionistischer Politiker“,[11] zu denen für gewöhnlich die Redaktion die Texte und Bildunterschriften erfand. Während der über dreijährigen Zusammenarbeit erschienen bis zum 17. Mai 1929 29 Seiten im Ulk, auf denen eine oder mehrere satirische Illustrationen oder Karikaturen von Kirszenbaum abgedruckt waren (Abb. 15-31 . ).[12] Die Beendigung der Mitarbeit hatte vermutlich finanzielle Gründe, denn der Ulk galt zu diesem Zeitpunkt bereits als zahlungsunfähig.

Weitere Illustrationen von Kirszenbaum erschienen seit Juli 1926 in dem 1921 von Alfred Flechtheim gegründeten und seit 1924 von Hermann von Wedderkop bei Hermann Ullstein im Propyläen-Verlag herausgegebenen führenden Kultur- und Zeitgeist-Magazin Der Querschnitt.[13] Dies waren vor allem stilisierte Figuren in russischer oder jüdischer Tracht, die zu den jeweiligen literarischen Artikeln passten wie etwa zu dem Essay von Darius Milhaud, „Das musikalische Leben in Sowjetrussland“,[14] Mutter und Kind sowie eine Trinkszene in einem Artikel von Adam Olearius, „Die erste russische Revolution (1656)“,[15] ein Wasserträger im selben Text (Abb. 12 . ), ein Harmonikaspieler als Illustration zu einem Essay von S. Dimitrijewski, „Stalin – Aufstieg eines Mannes“ (Abb. 13 . ), und ein jüdischer Geiger, wie Kirszenbaum ihn aus seiner Zeit in Staszów kannte, in einer russischen Novelle von Ramon Gomez de la Serna, „Maria Wassiljewna“ (Abb. 14 . ). Insgesamt erschienen im Querschnitt zehn Illustrationen in den Jahren 1926, 1927, 1929 und 1931, zuletzt zwei vollwertige Karikaturen, „Der Stammtisch“ (Abb. 35 . ) und eine Zeichnung mit offiziell gekleideten alten Herren vor der alten Reichsflagge (Abb. 36 . ) zu der mehrseitigen Glosse „Matadore des Reichstags“ von einem Autor mit dem Pseudonym „O.B. Server“. Möglicherweise hatte die Redaktion des Querschnitts zu einem frühen Zeitpunkt ein ganzes Konvolut von Kirszenbaums Zeichnungen erworben, denn der Geiger aus Staszów (Abb. 14 ) und ein Bauer mit Schwein und Gänsen im Korb[16] sind in den schwer leserlichen Signaturen mit dem Kürzel „JDK“ offenbar „26“ datiert, erschienen jedoch erst 1929 und 1931 in passenden Zusammenhängen.

 

[8] Brief von Ruth Cidor-Citroën an das Goethe-Institut Paris vom 23.9.1969, Archiv Nathan Diament, Tel Aviv. Die freundschaftliche Verbindung belegen außerdem Briefe und Postkarten von Kirszenbaum an Paul Citroen in Amsterdam aus dem Jahr 1930 im Bauhaus-Archiv, Inv. Nr. 8034/119, 120, 122; ausführlich hierzu Goudz 2012 (siehe Literatur), Seite 533 f.

[9] Gebrauchsgraphik. Monatszeitschrift zur Förderung künstlerischer Reklame, Band 2, Heft 6, Berlin 1925, Seite 82, online-Ressource: https://www.arthistoricum.net/werkansicht/dlf/157261/88/?tx_dlf%5Bhighlight_word%5D=Kirschenbaum. Das Pseudonym ist dort fälschlich mit „Duwdiwam“ wiedergegeben.

[11] Ulk. Wochenschrift des Berliner Tageblatts, 55. Jahrgang, Nr. 8, 19.2.1926, Seite 62, online-Ressource: Universitätsbibliothek Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ulk1926/0062

[12] Die Suche in der Zeitschrift Ulk in den Heidelberger historischen Beständen, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ulk, hier Bände 1925-1930, ist nur Seite für Seite möglich, da eine Volltextsuche nicht zur Verfügung steht. Die Abbildungen in der unten angeordneten Mediathek zeigen nur eine Auswahl.

[13] Alle Illustrationen von Kirszenbaum in den Zeitschriften Gebrauchsgraphik und Der Querschnitt sind auf dem Webportal Illustrierte Magazine der Klassischen Moderne in der Volltextsuche unter den Stichwörtern „Kirschenbaum“ und „Duwdiwani“ zu finden, https://www.arthistoricum.net/themen/textquellen/illustrierte-magazine-der-klassischen-moderne/kollektion/suche/

[14] Der Querschnitt, Band 6, Heft 7, Berlin, Juli 1926, Seite 526, online-Ressource: https://www.arthistoricum.net/werkansicht/dlf/73192/48/?tx_dlf%5Bhighlight_word%5D=Kirschenbaum

[16] Der Querschnitt, Band 11, Heft 3, Berlin, März 1931, Seite 163, online-Ressource: https://www.arthistoricum.net/werkansicht/dlf/73271/31/?tx_dlf%5Bhighlight_word%5D=Kirschenbaum